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21.08.25- Schott Music: Spät im digitalen Rennen – und vielleicht schon zu spät?

Schott Music hat sich im Juli 2025 an der Plattform OKTAV beteiligt, wie das Unternehmen am 19. August mitteilte. OKTAV, 2018 gegründet, ist seit Jahren ein dynamisch wachsender Player im Bereich digitaler Noten und abonnementbasierter E-Learning-Angebote für Klavier. Mit über 20.000 lizenzierten Arrangements, interaktiven Lernmodulen und einer stetig wachsenden Nutzerbasis hat sich die Plattform längst als ernsthafte Alternative zu traditionellem Notenvertrieb etabliert. Nun soll die Partnerschaft mit Schott das Angebot auf weitere Instrumente ausweiten und die Verzahnung von Notenliteratur und E-Learning vertiefen.
Doch so zukunftsgerichtet die Ankündigung klingt – sie wirft auch Fragen auf. Denn während OKTAV seit Jahren konsequent auf digitale Transformation setzt, hat Schott Music den neuen Medien bislang eher von der Seitenlinie aus zugesehen. Lange wirkte der Mainzer Verlag im digitalen Wettbewerb zögerlich, während internationale Player bereits Standards setzten. Die Beteiligung an OKTAV ist daher weniger ein Aufbruch als vielmehr der Versuch, den versäumten Anschluss nachzuholen.
Auch die kleine Schott-Filiale in der Great Marlborough Street (Bild) in London wirkt wie ein Symbol für die Zögerlichkeit des Verlags: ein charmantes, aber etwas angestaubtes Refugium für Notenliebhaber, das im digitalen Zeitalter kaum Strahlkraft entfaltet. Während die Musikpädagogik längst auf Apps, Streaming und interaktive Plattformen setzt, erinnert der Laden eher an eine Kultur vergangener Jahrhunderte – gemütlich, traditionsbewusst, aber weit entfernt von der Geschwindigkeit, mit der heute Lern- und Vertriebsmodelle wachsen.
Ob diese späte Digitalstrategie aufgeht, bleibt ungewiss. Zwar bringt Schott ein wertvolles Repertoire und hohes Renommee mit, doch die Dynamik liegt längst bei den spezialisierten Plattformen, die ihre Nutzer an flexible, interaktive Lernumgebungen gewöhnt haben. Für Schott könnte der Einstieg daher eher wie ein Rettungsanker wirken – in einem Markt, in dem die entscheidenden Weichen schon gestellt sind.

20.08.25- KI im Kreuzfeuer: Neue Piraterie-Vorwürfe aus der Musikbranche gegen Anthropic

Die Kontroverse um die Nutzung urheberrechtlich geschützter Werke durch Künstliche Intelligenz hat einen neuen Höhepunkt erreicht. Nachdem Anthropic, das Unternehmen hinter dem Sprachmodell Claude, im Sommer einen Teilerfolg vor Gericht erzielte, sehen sich die Kalifornier nun mit noch schwerwiegenderen Vorwürfen konfrontiert: Musik- und Buchverlage werfen der Firma vor, Millionen von Werken nicht nur ohne Erlaubnis genutzt, sondern in vielen Fällen auch aus Pirateriequellen beschafft zu haben.
Ursprünglich stand im Mittelpunkt des Prozesses die Frage, ob das Training von KI-Systemen mit urheberrechtlich geschützten Texten unter das „Fair Use“-Prinzip fällt. Ein US-Bundesgericht bejahte dies – allerdings nur, wenn die Werke auf legalem Weg erworben wurden. Diese Klarstellung hätte Anthropic zum Befreiungsschlag verhelfen können, doch dann kamen neue Details ans Licht: Eine interne Datenbank des Unternehmens soll rund sieben Millionen Bücher enthalten, die von Plattformen wie LibGen oder Books3 stammen – allesamt bekannte Pirateriequellen. Der Vorwurf wiegt schwer, denn nach Ansicht des Gerichts lässt sich der illegale Ursprung auch durch nachträgliche Käufe nicht rechtfertigen. Ein Prozess im Dezember soll nun die Frage klären, welche Schadenssummen auf das Unternehmen zukommen – von Millionen bis zu Milliarden ist die Rede.
Während die Literaturverlage ihre Position gefestigt sehen, verschärfen nun auch Musikverlage den Druck. Branchengrößen wie Universal Music Publishing Group, Concord und ABKCO werfen Anthropic vor, nicht nur Songtexte ohne Genehmigung in seine Modelle eingespeist, sondern diese auch über BitTorrent-Netzwerke illegal heruntergeladen und weiterverbreitet zu haben. Damit steht erstmals der Vorwurf im Raum, dass ein KI-Unternehmen selbst aktiv in die Verbreitung von Raubkopien verstrickt ist. Für die Musikindustrie, die schon seit Napster-Zeiten einen langen Kampf gegen Piraterie führt, kommt dies einem Affront gleich.
Die Auseinandersetzung ist damit längst zu mehr als einem Rechtsstreit zwischen Konzernen geworden: Sie entwickelt sich zu einem Grundsatzkonflikt über den Wert geistigen Eigentums im Zeitalter der Künstlichen Intelligenz. Während KI-Firmen betonen, dass maschinelles Lernen ohne Zugriff auf breite Datenmengen kaum möglich ist, sehen Autoren, Komponisten und Verleger ihre Werke enteignet und ihre Rechte missachtet.
Wie das Gericht am Ende entscheiden wird, bleibt offen. Klar ist jedoch schon jetzt: Der Fall Anthropic ist zu einem Präzedenzfall geworden, dessen Ausgang Signalwirkung für die gesamte Kreativbranche haben dürfte – von der Literatur bis zur Musik.

19.08.25- Megadeth – Das letzte Kapitel einer Metal-Legende

Ingo Hoffmann
CC BY 2.0 Wikimedia Commons

Dave Mustaine hat das Ende seiner legendären Karriere angekündigt. Mit dem kommenden Album, das zugleich das letzte in der Geschichte von Megadeth sein wird, schließt sich ein Kreis, der 1983 nach seinem Rauswurf bei Metallica begann. Eine Abschiedstournee im Jahr 2026 soll den Schlusspunkt setzen. „Seid nicht traurig, feiert mit mir“, fordert Mustaine seine Millionen Fans weltweit auf – Worte, die den Geist eines Musikers spiegeln, der wie kaum ein anderer das Genre des Thrash Metal geprägt hat.
Megadeth gehören zu den „Big Four“ des Thrash, neben Metallica, Slayer und Anthrax. Ihr kompromissloser Sound, geprägt von halsbrecherischen Gitarrenriffs, politischen Texten und Mustaines markantem Gesang, hat das Genre in den 1980er-Jahren entscheidend weiterentwickelt. Alben wie Peace Sells... But Who’s Buying? oder Rust in Peace sind längst Klassiker und haben der Band einen festen Platz in der Rockgeschichte gesichert.
Doch der Weg war steinig. Mustaine selbst hat nie ein Geheimnis aus seinen jahrzehntelangen Kämpfen mit Alkohol und Drogen gemacht. Mehrfach stand die Band kurz vor dem Aus, Tourneen wurden abgesagt, Reha-Aufenthalte bestimmten die Schlagzeilen. Kritiker bemängelten zudem, dass Megadeth in den 1990er-Jahren mit Alben wie Risk den Thrash-Kurs zugunsten eines kommerzielleren Sounds verließen – ein Schritt, der viele Fans enttäuschte, aber zugleich auch die Vielseitigkeit und den Mut Mustaines zeigte.
Auch musikalisch scheiden sich die Geister. Während die einen Megadeths präzises Gitarrenspiel und technische Brillanz feiern, werfen andere der Band Kälte und eine gewisse Sterilität vor. Mustaines bissige Texte und seine unverwechselbare Stimme haben über die Jahrzehnte polarisiert – für die einen sind sie Markenzeichen, für die anderen Schwachpunkt. Doch genau diese Reibung hat Megadeth immer unverwechselbar gemacht.
Dass Mustaine nun das Ende verkündet, markiert nicht nur den Abschied einer Band, sondern das Ende einer Ära. Mit Megadeth verschwindet einer der letzten großen Namen jener Generation, die den Metal aus den Clubs in die Stadien getragen hat. Ob das letzte Album als Vermächtnis glänzen oder als schwacher Abgesang kritisiert wird, bleibt abzuwarten. Doch unbestritten ist: Ohne Dave Mustaine und Megadeth sähe die Geschichte des Metal anders aus.

18.08.25- Shakti – A Handful of Beauty: Ein Meisterwerk zwischen Dunkelheit und Glanz

LP Cover: A Handful of Beauty
1976 Columbia – COL 494448 2

Als John McLaughlin 1977 mit seiner Formation Shakti das Album Handful of Beauty veröffentlichte, war die Reaktion seiner bisherigen Anhängerschaft zwiespältig. Viele seiner frühen Fans stammten aus der Rockszene und taten sich schwer mit einem Werk, das im Titel und auf dem Cover zu sehr nach Esoterik und spiritueller Selbstfindung aussah. Das Bild von McLaughlin, freundlich lächelnd und in beinahe guruartiger Pose, schreckte jene ab, die den Gitarristen vor allem als Pionier des Jazzrock kannten. Doch wer sich auf die Musik einließ, entdeckte eines der herausragendsten Alben seiner gesamten Karriere – vielleicht sogar das stärkste innerhalb der Shakti-Trilogie.
Handful of Beauty ist ein Werk voller Tiefe, das seine Faszination gerade aus den Spannungen zwischen Licht und Schatten zieht. Zwar beginnt die Platte mit dem lebhaften und heiteren „La Danse du Bonheur“, doch im weiteren Verlauf entfalten die Kompositionen eine Schwere und Ernsthaftigkeit, die zur inneren Einkehr einlädt. Der unbestrittene Höhepunkt ist das Stück „India“, in dem McLaughlins Gitarre bedrohlich biegende Töne anstimmt, während L. Shankars Violine in dunklen Registern verweilt. Hier gelingt eine Musik, die nicht exotische Oberflächen abbildet, sondern tiefer bohrt und das Fremde, Rätselhafte und Unheimliche auslotet.
Gerade McLaughlins Spiel erreicht auf diesem Album eine außergewöhnliche Intensität. Unterstützt wird er von den beiden indischen Perkussionsmeistern Zakir Hussain und T. S. Vinayakaram, die den rhythmischen Puls unerschütterlich tragen und das dynamische Fundament legen. Shankars virtuoses Violinspiel verleiht der Musik ihre seelische Dimension. Zusammen erschaffen sie eine Klangwelt, die gleichermaßen meditativ wie fordernd ist.
Ein weiteres Glanzlicht ist die exzellente Klangqualität der Studioaufnahme, die bereits bei Erscheinen Maßstäbe setzte. Am besten lässt sich das Album spät in der Nacht hören, in gedämpftem Licht, mit einer Tasse Tee zur Hand – ein Ritual, das die kontemplative Kraft der Musik noch verstärkt.
Wer die Band damals live erlebte, machte zudem eine überraschende Entdeckung: Stücke, die im Studio zur Selbstreflexion anregten, entfalteten auf der Bühne eine geradezu eruptive Energie. Die Konzerte waren ekstatische Erlebnisse voller Freude, Intensität und musikalischem Feuer.
Heute gilt Handful of Beauty als ein Höhepunkt der Indo-Jazz-Fusion und als eines jener Werke, die den Mut belohnen, eingefahrene Hörgewohnheiten zu verlassen. Für McLaughlin selbst bedeutete es zwar den Verlust vieler Rockfans, doch zugleich sicherte es ihm einen Platz in der Musikgeschichte als Brückenbauer zwischen Kulturen, der den Dialog von Ost und West auf eine bis dahin unerhörte Weise hörbar machte.

17.08.25- Der Groove des Hard Bop und die Kunst von Horace Silver

Brianmcmillen
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In den 1950er-Jahren entstand eine Spielweise des Jazz, die sich vom intellektuellen Anspruch des Bebop löste und zugleich die Wärme des Blues, den Schwung des Gospel und die Direktheit des Rhythmus in den Vordergrund stellte. Dieser Stil, bekannt als Hard Bop, entwickelte sich zu einer der einflussreichsten Strömungen innerhalb des modernen Jazz.
Eine zentrale Figur in dieser Bewegung war der Pianist und Komponist Horace Silver. Sein Spiel verband kantige, treibende Akkorde mit melodischer Klarheit und einer erdigen, fast tänzerischen Energie. Anders als viele seiner Zeitgenossen verließ er sich nicht allein auf virtuose Läufe, sondern suchte stets nach einer Balance aus eingängigen Themen und improvisatorischer Freiheit. Seine Stücke wirkten dadurch zugleich anspruchsvoll und unmittelbar zugänglich.
Besonders charakteristisch war sein Umgang mit Form und Struktur. Während manche Jazzmusiker jener Ära ihre Kompositionen stark ausdehnten, bevorzugte Silver kompakte Stücke mit markanten Riffs und klarer Dramaturgie. Dies verlieh seiner Musik eine unverwechselbare Handschrift, die bis heute in unzähligen Aufnahmen nachhallt.
Der Einfluss von Horace Silver reicht weit über das Klavier hinaus. Seine Kompositionen gehören zum festen Repertoire vieler Ensembles und haben Generationen von Musikerinnen und Musikern inspiriert, den Jazz nicht nur als Kunstmusik, sondern auch als eine zutiefst kommunikative, lebensnahe Ausdrucksform zu verstehen.
Sein Vermächtnis zeigt, wie stark Groove, Melodie und rhythmische Spannung den Jazz prägen können – und wie ein einzelner Künstler die Sprache dieser Musik entscheidend formen konnte.
Ein besonderes Ereignis stellt die Veröffentlichung (Oktober 2025) von Silver in Seattle: Live at the Penthouse dar. Die Aufnahmen stammen aus dem Jahr 1965 und dokumentieren Horace Silver in einer Phase, in der seine Musik voller Energie, Spielfreude und kompositorischer Klarheit erstrahlte. Mitreißende Versionen von Klassikern wie Song for My Father, The Cape Verdean Blues oder No Smokin’ zeigen ihn in Höchstform und machen deutlich, warum seine Werke bis heute zum Kernrepertoire des Hard Bop gehören. Die nun zugänglich gemachten Bänder fangen nicht nur den unverwechselbaren Klang des Pianisten ein, sondern vermitteln auch die Atmosphäre eines intimen Clubkonzerts, das nach fast sechs Jahrzehnten eine neue Generation von Hörerinnen und Hörern erreichen kann.

16.08.25- Peter Green: Songdokument unter dem Hammer – und die Wiederentdeckung seiner Solo-Kunst

Ein Stück Musikgeschichte kommt unter den Hammer: Die handschriftlichen Noten und Textzeilen von Man of the World, einem der bekanntesten Songs von Fleetwood Mac, werden am Donnerstag im Auktionshaus Ewbank’s in Woking, Surrey, versteigert. Das Dokument stammt aus der Hand von Peter Green, Mitbegründer, Sänger und Leadgitarrist der Band, der 1969 mit diesem Stück Platz zwei der britischen Charts erreichte.
Green gründete Fleetwood Mac 1967 gemeinsam mit Mick Fleetwood und John McVie, verließ die Gruppe jedoch bereits 1970 – nicht zuletzt aufgrund seiner zunehmend labilen seelischen Verfassung, die sich auch in Songs wie Man of the World widerspiegelte. Der Titel gehört, neben Albatross und Black Magic Woman (später weltberühmt durch Santana), zu Greens größten Kompositionen.
Das versteigerte Manuskript zeigt seine akribische Arbeitsweise: in blauer Kugelschrift notiert, mit Korrekturen in Schwarz, veränderte Green mehrere Zeilen und fügte eine ganze Strophe hinzu. Es belegt nicht nur die Tiefe seines Schaffens, sondern auch die Melancholie, die ihn künstlerisch wie persönlich prägte.
Während Fleetwood Mac den Song nach Greens Ausstieg jahrzehntelang nicht mehr live spielten, erlangte sein Werk auf andere Weise neue Bedeutung – vor allem durch seine Solokarriere. Besonders das Album In the Skies von 1979 gilt heute als ein Meisterstück: voller lyrischer Gitarrenlinien, subtiler Blues-Atmosphäre und einer berührenden Leichtigkeit, die gleichzeitig von Schmerz und Sehnsucht getragen wird. Viele Kritiker sehen darin Greens späte Sternstunde, in der er noch einmal all seine Ausdruckskraft und musikalische Tiefe bündelte.
Peter Green verstarb 2020 im Alter von 73 Jahren. Sein Erbe lebt jedoch weiter – nicht nur in den Klassikern von Fleetwood Mac, sondern auch in jenen leisen, poetischen Solomomenten, die zeigen, dass er einer der sensibelsten und zugleich größten Gitarristen seiner Zeit war.

15.08.25- Kontrapunkt – Die Kunst der selbstständigen Stimmen in der Musik

Source: J.S.Bach
CC BY-SA 3.0 Wikimedia Commons

In der Musik bezeichnet man als Kontrapunkt die Kunst, zwei oder mehr eigenständige Melodien so miteinander zu verbinden, dass sie gleichzeitig erklingen und dennoch harmonisch zusammenpassen. Dabei hat jede Stimme ihren eigenen melodischen Verlauf, folgt also nicht einfach nur den Akkorden einer Begleitung, sondern ist selbstständig und interessant. Der Komponist achtet darauf, dass sich die Stimmen in Rhythmus, Tonhöhe und Richtung ergänzen, ohne sich gegenseitig zu verdecken. Oft bewegen sie sich gegensätzlich – steigt die eine Melodie, kann die andere fallen –, was für Spannung und Ausgleich sorgt. Kontrapunkt wird seit der Renaissance eingesetzt, etwa in den Werken von Johann Sebastian Bach, dessen Fugen mehrere Themen kunstvoll ineinander verweben. Auch in moderner Musik findet man ihn, zum Beispiel in Filmmusik, wenn ein Hauptthema von einer Gegenmelodie umspielt wird, oder im Jazz, wenn Instrumente improvisierend aufeinander reagieren. Der Effekt ist stets derselbe: Aus mehreren einzelnen Linien entsteht ein dichtes, lebendiges Klanggeflecht, das reicher wirkt als jede einzelne Stimme für sich.
In der musikalischen Ausbildung spielt die Lehre des Kontrapunkts eine zentrale Rolle, besonders in Studiengängen für Komposition und Musiktheorie. Studierende lernen dabei nicht nur historische Stile wie den strengen Kontrapunkt der Renaissance oder den freien Kontrapunkt der Barockzeit kennen, sondern auch die dahinterliegenden Regeln für Stimmführung, Intervalle und harmonische Verbindungen. Diese Regeln dienen zunächst als Übungsrahmen, um ein Gespür für Ausgewogenheit und Eigenständigkeit der Stimmen zu entwickeln. Im Unterricht wird oft mit einfachen zweistimmigen Übungen begonnen, bevor komplexere Strukturen wie dreistimmige Sätze oder Fugen folgen. Ziel ist es, nicht bloß theoretisches Wissen anzuhäufen, sondern ein Handwerk zu beherrschen, das in allen Epochen und Stilrichtungen anwendbar ist – von der Analyse alter Meisterwerke bis hin zur Gestaltung eigener Kompositionen, die auf den Grundlagen des Kontrapunkts aufbauen.

14.08.25- Arnold Schönbergs „Harmonielehre“ – ein Jahrhundertwerk der Musiktheorie

Arnold Schönberg (1874–1951) ist nicht nur als Komponist und Wegbereiter der Moderne in die Musikgeschichte eingegangen, sondern auch als einer der produktivsten Musikschriftsteller seiner Zeit. Neben seinen bahnbrechenden kompositorischen Leistungen hinterließ er ein theoretisches Werk, das bis heute als Standard gilt: die Harmonielehre, erstmals 1911 veröffentlicht und Gustav Mahler „zum geheiligten Andenken“ gewidmet – eine ironische Note, wenn man bedenkt, dass Mahler stets betonte, seine Musik gründe vor allem auf Kontrapunkt.
Schönbergs Harmonielehre entstand in einer Zeit, in der er die üppige, harmonisch dichte Klangwelt von Brahms und Wagner noch fortführte, aber bereits am Übergang zu seiner „pantonal“ genannten Tonsprache stand. Das Werk umfasst 22 Kapitel und mehr als 400 Seiten, in denen er die Grundlagen und Feinheiten der Harmonik systematisch darlegt: von Konsonanz und Dissonanz über Akkordbildung, Modi und Skalen, Modulation, Tonalität, Rhythmus-Harmonie-Beziehungen bis hin zu den Vorboten der späteren Zwölftontechnik. Auffällig ist, dass Schönberg auch in diesem theoretischen Rahmen seine fortschrittlichen Ideen nur schrittweise entfaltet – die radikaleren Ansätze erscheinen erst in den späteren Kapiteln.
Zu den markantesten Thesen des Buches zählt die Gleichstellung von Konsonanz und Dissonanz – beides unterscheidet sich, so Schönberg, nur im Grad, nicht im Wesen („Zwei ist nicht das Gegenteil von Zehn“). Nicht-harmonische Töne gibt es folglich nicht. Zudem fordert er, das Verhältnis von Intuition, Freiheit und Innovation zu den überlieferten harmonischen Regeln kritisch zu überprüfen – und, wenn nötig, zu stürzen. Eine weitere, zukunftsweisende Idee ist die Aufwertung der Klangfarbe (tone color) zur gleichberechtigten musikalischen Dimension neben Tonhöhe und Rhythmus – ein Gedanke, der weit ins 20. Jahrhundert hineinwirkte und sich mit den ästhetischen Umbrüchen der Zeit, etwa bei Freud, Einstein oder Kandinsky, parallel entwickelt.
Trotz seiner Dichte und hohen intellektuellen Ansprüche bewahrt der Text einen lebendigen, fast persönlichen Ton, der aus seiner Entstehung im pädagogischen Umfeld Wiens um 1900 herrührt. Die neueren Ausgaben – etwa die von Roy Carter betreute englische Übersetzung – sorgen mit klarer Typografie, gut lesbaren Notenbeispielen und präziser Kommentierung dafür, dass die komplexen Inhalte auch heute zugänglich bleiben.
Schönbergs Harmonielehre ist damit weit mehr als ein historisches Dokument: Sie ist ein lebendiges Fundament für Komponisten, Musiker und Hörer, die Harmonie nicht nur als Handwerk, sondern auch als Ausdrucks- und Denkform verstehen wollen. Das Buch steht in einer Reihe mit Klassikern wie Hindemiths Unterweisung im Tonsatz oder Walter Pistons Harmony, verbindet aber einzigartig die Strenge der deutsch-österreichischen Tradition mit dem Blick auf die revolutionären Strömungen, die die Musik des 20. Jahrhunderts nachhaltig geprägt haben. Ein Werk, das man nicht nur besitzen, sondern auch gelesen haben sollte.

13.08.25- Robin Trower – Der Mann mit dem Hendrix-Ton

Carl Lender
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Robin Trower gehört zu den Gitarristen, deren Klang man schon nach wenigen Takten erkennt. Seine Spielweise trägt unüberhörbar die Handschrift von Jimi Hendrix – von den fließenden Bendings über den expressiven Einsatz von Vibrato bis zu den atmosphärischen Klangflächen. Dabei blieb Trower stets mehr als nur ein Epigone: Er nahm den Sound seines großen Vorbilds als Fundament und entwickelte daraus eine ganz eigene, oft bluesgetränkte Klangsprache.
Bekannt wurde der 1945 geborene Brite zunächst als Gitarrist der Rhythm-and-Blues-Formation The Paramounts und ab 1967 mit Procol Harum, deren Mischung aus Rock und Barock-Pop er mit markanten Gitarrenfarben bereicherte. 1971 verließ Trower die Band, um eigene Wege zu gehen. Nach einem kurzen Intermezzo mit der Gruppe Jude gründete er 1973 das Robin Trower Band Project. Die ersten drei Alben, produziert von Ex-Procol-Harum-Kollege Matthew Fisher, trugen klar die Spuren des Hendrix-Einflusses – nicht nur im Gitarrenton, sondern auch in der Freiheit des Songaufbaus.
Bis 1981 feierte Trower in den USA große Erfolge. Sein Album Bridge of Sighs gilt bis heute als Meilenstein des Gitarrenrocks, getragen von langen, schwebenden Soli und warmem, röhrendem Stratocaster-Sound. Ab den 1980er Jahren arbeitete er mit wechselnden Musikern, darunter Jack Bruce, mit dem er kraftvolle Bluesrock-Alben einspielte. 1991 schloss er sich kurzzeitig wieder Procol Harum an und wirkte am Comeback-Album The Prodigal Stranger mit, bevor er sich erneut ganz auf seine Soloarbeit konzentrierte.
Auch im neuen Jahrtausend blieb Trower aktiv. An seinem 60. Geburtstag spielte er ein gefeiertes Konzert in Bonn, aufgezeichnet vom WDR und als DVD sowie CD veröffentlicht. Wer Robin Trower live erlebt, versteht sofort, warum sein Name seit Jahrzehnten unter Gitarrenfans einen besonderen Klang hat: Er ist einer der wenigen, die den Geist von Jimi Hendrix nicht kopieren, sondern in eine eigene, unverwechselbare Sprache übersetzen konnten.

12.08.25- Daniil Trifonow – Ein Ausnahmepianist zwischen Virtuosität und Komposition

Daniil Trifonow, 1991 in Nischni Nowgorod geboren, stammt aus einer hochmusikalischen Familie. Beide Eltern sind Pianisten – der Vater zudem Komponist, die Mutter Musiktheorie-Dozentin. Bereits mit fünf Jahren begann Trifonow Klavier zu spielen und erste eigene Stücke zu schreiben. Um ihm die bestmögliche Förderung zu ermöglichen, zog die Familie nach Moskau, wo er von 2000 bis 2009 am renommierten Gnessin-Institut bei Tatjana Zelikman Klavier und ab 2006 zusätzlich Komposition studierte. Anschließend setzte er seine Ausbildung am Cleveland Institute of Music bei Sergei Babayan fort.
Seinen internationalen Durchbruch erlebte Trifonow 2010 mit dem dritten Preis beim Warschauer Chopin-Wettbewerb. 2011 folgte der sensationelle Doppelerfolg: Innerhalb von nur sechs Wochen gewann er sowohl den Arthur-Rubinstein-Wettbewerb in Tel Aviv als auch den Tschaikowski-Wettbewerb in Moskau, wo er neben der Goldmedaille im Fach Klavier auch den Grand Prix des Gesamtwettbewerbs erhielt.
Seither gastiert Trifonow in den bedeutendsten Konzertsälen der Welt – von Wien, Berlin und London bis New York, Tokio und Peking. Sein 2013 erschienenes Album The Carnegie Recital bei der Deutschen Grammophon festigte seinen Ruf als einer der führenden Pianisten seiner Generation. Kritiker überschlagen sich seitdem mit Lob: Helmut Mauró sprach von „einem der unbegreiflichsten Klaviertalente der letzten Jahrzehnte“, Norman Lebrecht nannte ihn „einen Pianisten für den Rest unseres Lebens“. Auch Kollegen wie Alfred Brendel und Martha Argerich zählen zu seinen Bewunderern – letztere schwärmt von der seltenen Kombination aus Zärtlichkeit und dämonischer Kraft in seinem Anschlag.
Neben seiner Virtuosität am Klavier widmet sich Trifonow auch der Komposition. Seine Suite Rachmaniana, während der Studienzeit in Cleveland entstanden, fand Eingang in sein 2015 veröffentlichtes Studioalbum Rachmaninov Variations. Weitere Meilensteine seiner Karriere waren Auftritte beim Nobelpreis-Konzert in Stockholm 2015, sein Debüt mit den Berliner Philharmonikern unter Sir Simon Rattle 2016 sowie die Berufung in den Verwaltungsrat der New Yorker Philharmoniker.
Heute lebt Trifonow mit seiner Frau Judith Ramirez, die im Verlagswesen tätig ist, und dem gemeinsamen Sohn in New York. Ob als Solist, Kammermusiker oder Komponist – Daniil Trifonow gilt längst nicht mehr nur als Wunderkind, sondern als einer der prägenden Künstlerpersönlichkeiten der klassischen Musik unserer Zeit.

11.08.25- Chief Xian aTunde Adjuah – Der visionäre Klangarchitekt des modernen Jazz

Katherine Vulpillat
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Chief Xian aTunde Adjuah, geboren am 31. März 1983 in New Orleans als Christian Scott, gilt als eine der prägendsten Persönlichkeiten des zeitgenössischen Jazz. Der US-amerikanische Trompeter, Multiinstrumentalist, Komponist und Produzent hat im Laufe seiner Karriere nicht nur zahlreiche Auszeichnungen erhalten, sondern auch die stilistischen Grenzen seines Genres immer wieder neu gezogen. Mit sechs Grammy-Nominierungen, zwei Edison Awards und Ehrungen wie dem Jazz FM Innovator of the Year oder dem Herb Alpert Award in the Arts ist er längst zu einer festen Größe der internationalen Jazzszene geworden. Doch Adjuah ist nicht allein Musiker – als Chieftain der Xodokan Nation of Maroons und Grand Griot von New Orleans versteht er seine Kunst immer auch als kulturelle Mission.
Seine musikalische Reise begann früh. Unter der Anleitung seines Onkels, des renommierten Saxophonisten Donald Harrison Jr., entdeckte er mit zwölf Jahren die Welt des Jazz. An der New Orleans Center for Creative Arts vertiefte er sein Können und stand bereits mit 16 im Quintett seines Onkels auf der Bühne. Ein Stipendium führte ihn an das Berklee College of Music in Boston, wo er nicht nur sein Studium abschloss, sondern auch seine ersten Aufnahmen veröffentlichte und mit internationalen Musikern arbeitete.
Nach seinem Major-Label-Debüt Rewind That im Jahr 2006 entwickelte Adjuah 2010 das Konzept der Stretch Music. Darin verbindet er Elemente des Jazz mit Einflüssen aus Trap, westafrikanischen Rhythmen und afro-indigenen Traditionen seiner Heimatstadt. Diese musikalische Philosophie brachte ihn zu Projekten wie den in Kuba entstandenen Ninety Miles-Aufnahmen mit David Sánchez und Stefon Harris und prägte Alben wie die 2017 erschienene Centennial Trilogy, die an das hundertjährige Jubiläum der ersten Jazz-Aufnahmen erinnerte. Auch spätere Werke wie Ancestral Recall und Axiom unterstrichen seine Fähigkeit, den Jazz in neue Klangräume zu führen. Mit Bark Out Thunder Roar Out Lightning wagte er 2023 einen weiteren Schritt, verzichtete erstmals komplett auf die Trompete und setzte auf selbst entworfene Instrumente, um noch näher an seine klangliche Vision zu gelangen.
Adjuah ist nicht nur Musiker, sondern auch ein kreativer Instrumentenbauer. Seine Zusammenarbeit mit Adams Musical Instruments führte zu einer Reihe außergewöhnlicher Trompeten- und Flügelhorn-Designs, darunter die Adjuah Trumpet und der Reverse Flugel. Zudem entwickelte er den Adjuah Bow, ein doppelseitiges elektrisches Harfeninstrument, das von traditionellen westafrikanischen Instrumenten inspiriert ist.
Seine Wurzeln liegen tief in der afro-indigenen Kultur von New Orleans, die er seit seiner Kindheit lebt. Als Mitglied der Guardians of the Flame, einer von seinem Großvater geführten Black-Indian-Gruppe, lernte er, wie eng Musik, Geschichte und kulturelle Identität miteinander verwoben sind. 2012 änderte er seinen Künstlernamen, um diese Herkunft stärker zu betonen, und seit 2023 tritt er offiziell als Chief Xian aTunde Adjuah auf. In seiner Arbeit verschmelzen Tradition und Innovation zu einem unverwechselbaren Ausdruck, der den Jazz nicht nur bewahrt, sondern ihn in die Zukunft führt.

10.08.25- Meshuggah – Architekten des kontrollierten Chaos

Die schwedischen Meister der Polyrhythmik haben den Metal neu vermessen – und klingen dabei bis heute so radikal wie am ersten Tag.

Seit Ende der 1980er-Jahre gilt Meshuggah als Synonym für kompromisslose Innovation im Metal. Mit ihrem unverwechselbaren Mix aus technischer Präzision, tonaler Radikalität und rhythmischem Wahnsinn haben die Schweden ein eigenes Klanguniversum geschaffen und dabei ein ganzes Subgenre geprägt. Der Name Meshuggah – abgeleitet vom hebräischen meschuga („verrückt“) – passt perfekt zu ihrer musikalischen Vision. Die Wurzeln reichen bis 1985 zurück, als Gitarrist Fredrik Thordendal in der Band Metallien spielte. 1987 gründete Sänger Jens Kidman die erste Version von Meshuggah, bevor Thordendal hinzustieß und den Namen übernahm. 1989 erschien die auf 1000 Exemplare limitierte Debüt-EP Psykisk Testbild, die den Weg zum Vertrag mit Nuclear Blast ebnete. Mit dem Debütalbum Contradictions Collapse (1991) und dem späteren Klassiker Destroy Erase Improve (1995) etablierte sich die Band als technische Ausnahmeerscheinung, vor allem durch die Verbindung von polyrhythmischen Gitarrenriffs und präzisen Schlagzeugmustern, die auf den ersten Blick aus verschiedenen Welten zu stammen scheinen, sich aber zu einem zwingenden Ganzen fügen.
Mit Chaosphere (1998) und Nothing (2002) trieben Meshuggah ihre Experimente weiter. Der Einsatz achtsaitiger Gitarren, deren tiefste Saiten fast eine Oktave tiefer als Standard gestimmt werden, veränderte den Bandsound nachhaltig und legte den Grundstein für das spätere Subgenre „Djent“. Das Konzeptalbum Catch Thirtythree (2005) setzte auf programmiertes Schlagzeug, während obZen (2008) mit dem ikonischen Track „Bleed“ und der Rückkehr zum organischen Drumming von Tomas Haake einen Meilenstein markierte. Mit Koloss (2012) und der EP Pitch Black (2013) festigten die Schweden ihren Status als unverwechselbare Institution des modernen Metal.
Der Sound von Meshuggah ist eine präzise konstruierte Herausforderung. Polymetrik und Polyrhythmik bestimmen das Geschehen, während die Becken oft einen stoischen Puls geben und Bassdrum, Snare sowie Gitarren in verschachtelten Zählzeiten agieren, die sich erst nach vielen Takten wieder synchronisieren. Harmonisch arbeitet die Band freitonal und verzichtet bewusst auf klassische Tonarten. Das Ergebnis ist ein Sound, der gleichzeitig mathematisch exakt und ungestüm brachial wirkt.
Obwohl Meshuggah nie den Mainstream eroberten, genießen sie in der Metal-Szene Kultstatus. Kritiker loben ihre technische Virtuosität und die Fähigkeit, Metal „auf das Wesentliche zu reduzieren, um ihn dann neu zu erfinden“. Der Rolling Stone zählt sie zu den zehn besten Hard- und Heavy-Bands, und Musikwissenschaftler widmen ihren Strukturen ganze Fachartikel. Eine ungewöhnliche Ehrung gab es 2022, als der schwedische Geologe Mats E. Eriksson ein fossiles Meereslebewesen nach Drummer Tomas Haake benannte: Muldaster haakei. Meshuggah bleiben ein seltenes Beispiel dafür, wie man im extremen Metal über Jahrzehnte relevant bleibt, kompromisslos experimentiert und dennoch dem eigenen, unverwechselbaren Sound treu bleibt.

09.08.25- Messy Girl vs. Clean Girl – das Styling-Duell, das keiner gewinnen kann

Da steht sie, die Messy Queen: Eyeliner wie nach einem Sturzflug durch drei Clubs, Haare, als hätte sie in einem Ventilator geschlafen, und das Shirt – garantiert aus dem Stapel „sauber genug“. In der Hand eine Kippe, daneben ein Bier, auf dem Schoß ein Burger. Sie tanzt, sie schwitzt, sie postet – oder eben nicht, denn angeblich ist sie „kaum online“. Klingt nach Rebellion, nach Anti-Perfektion, nach einer schmutzigen Ohrfeige für die Clean-Girl-Fraktion. Aber Moment – ist das wirklich so punk, wie es aussieht?
Clean Girls sind das genaue Gegenteil: Poren wie Porzellan, Körper wie aus dem Pilates-Studio, Wohnungen wie aus einem Duftkerzen-Katalog. Sie führen ein Leben in Pastellfarben, Matcha Latte inklusive. Jede Bewegung ist kalkuliert, jeder Schritt Teil einer 12-Schritte-Beauty-Choreografie. Das ist nicht Rock’n’Roll, das ist Corporate Wellness.
Messy Girls wollen all das sprengen. „Scheiß auf Regeln“, ruft die Ästhetik, „scheiß auf Kontrolle!“ – und Charli XCX liefert mit „brat summer“ den Soundtrack. Doch das vermeintlich echte Chaos entpuppt sich schnell als Social-Media-taugliche Maske. Das verknitterte Bandshirt? Designerware. Das „I woke up like this“-Make-up? Länger in der Mache als eine Studioaufnahme von Fleetwood Mac. Und fast alle Protagonistinnen? Dünne, weiße Models – exakt so selektiv wie die Clean-Girl-Bubble.
Wer jetzt denkt: „Ja, aber Clean Girls sind doch auch unrealistisch!“ – klar. Nur, bei denen ist es wenigstens offensichtlich. Messy Girls tarnen denselben alten Dünnsein- und Selbstzerstörungs-Kult als lässige Befreiung. Das ist nicht Grunge, das ist Hochglanz-Grunge. Nirvana hätte dafür keine MTV-Unplugged-Bühne betreten, Courtney Love hätte es höchstens ironisch zerrissen.
Unterm Strich sind beide Trends Teil desselben Spiels: Vermarktbare Weiblichkeit, hübsch verpackt fürs nächste Reel. Clean Girls verkaufen dir den Traum von makelloser Selbstkontrolle, Messy Girls den Traum vom kontrollierten Kontrollverlust. Und ganz gleich, für welchen Look du dich entscheidest – am Ende hat immer der Algorithmus gewonnen.

08.08.25- Terry Reid – Der Musiker, der den Rock-Olymp gleich zweimal vorbeiziehen ließ

Dina Regine
CC BY-SA 2.0 Wikimedia Commons

Manchmal entscheidet ein einziger Moment über den Lauf der Musikgeschichte – und bei Terry Reid gab es gleich mehrere solcher Augenblicke. Ende der 1960er-Jahre fragte ihn ein gewisser Jimmy Page, ob er Sänger seiner neuen Band werden wolle. Reid musste ablehnen: Er war bereits mit den Rolling Stones auf Tournee verpflichtet, nachdem er zuvor schon mit Ike und Tina Turner sowie den Yardbirds unterwegs gewesen war. Stattdessen empfahl er Page zwei Bekannte – Robert Plant und John Bonham. Mit ihnen gründete Page wenig später Led Zeppelin.
Einige Zeit später erhielt Reid ein weiteres Angebot, das den Rockhimmel hätte öffnen können: Er sollte zu Deep Purple stoßen. Wieder sagte er Nein. Das große Rampenlicht blieb damit anderen vorbehalten, während Reid seinen eigenen, weniger bekannten, aber ebenso respektierten Weg ging.
Sein Name tauchte in den Programmen großer Kollegen auf, er war gern gesehener Gast auf deren Alben und Konzerten. The Hollies nahmen seine Songs auf, und Musiker wie Crosby, Stills, Nash & Young, Jack White oder Rumer schätzten seine Arbeit. Seine Lieder besaßen eine seltene Mischung aus rauer Direktheit und sanfter Harmonie – Musik, die klang, als würden Folk-Poeten und Rockgrößen im selben Raum träumen.
Erst vor kurzer Zeit hatte Reid eine Tour abgesagt, da er an Krebs erkrankt war. Nun ist er im Alter von 76 Jahren gestorben – als einer, der den Ruhm nie suchte, aber für Eingeweihte stets zu den ganz Großen gehörte.

07.08.25- Eddie Palmieri – Der „Sun of Latin Music“ ist verstummt

Jens Vajen
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Die Musikwelt trauert um eine Legende: Eddie Palmieri, der einflussreiche Pianist, Komponist und Orchesterleiter, ist im Alter von 88 Jahren gestorben. Mit seiner einzigartigen Mischung aus Afrokaribik, Jazz und Salsa prägte er über Jahrzehnte hinweg das Klangbild der Latin Music – und setzte Maßstäbe, die bis heute nachwirken.
Palmieri wurde nicht nur als brillanter Musiker gefeiert, sondern auch als stilprägender Innovator. Sein Durchbruch gelang 1975, als er als erster Latino den begehrten Grammy Award in der Kategorie Latin Music gewann – für das bahnbrechende Album The Sun of Latin Music. Der Titel wurde zum Synonym für Palmieris musikalisches Schaffen. Insgesamt erhielt er acht Grammys und wurde 14-mal nominiert – ein beeindruckendes Zeugnis seiner künstlerischen Ausstrahlung und Vielseitigkeit.
In einer Karriere, die sich über mehr als sechs Jahrzehnte erstreckte, veröffentlichte Palmieri rund 40 Alben. Mit seiner Band La Perfecta revolutionierte er in den 1960er-Jahren das Genre, indem er die traditionelle Bläserbesetzung um Posaunen ergänzte und so einen kraftvolleren, jazzigeren Sound kreierte.
Eddie Palmieri war nicht nur ein gefeierter Solist und Bandleader, sondern auch ein musikalischer Brückenbauer zwischen Kulturen. Er verband die rhythmischen Wurzeln seiner puerto-ricanischen Herkunft mit dem improvisatorischen Geist des Jazz und beeinflusste Generationen von Musikern auf beiden Seiten des Atlantiks.
Sein musikalisches Vermächtnis lebt weiter – in Clubs, auf Festivals, in Plattensammlungen und Herzen von Millionen Fans weltweit. Mit Eddie Palmieri verliert die Welt einen der großen Architekten der Latin Music.

06.08.25- Alte Geigen – Klangschätze mit Charakter und Geschichte

Pianoplonkers
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Für viele Musiker ist die Violine weit mehr als ein Werkzeug des Ausdrucks – sie ist ein treuer Begleiter, ein Spiegel der eigenen Klangvorstellungen, manchmal sogar eine Lebenspartnerin. Besonders alte Geigen, deren Hölzer über Jahrzehnte gereift sind, entfalten eine klangliche Tiefe, die modernen Instrumenten oft fehlt. Ihr individueller Charakter, ihr nuancenreicher Ton und ihre handwerkliche Qualität machen sie zu begehrten Instrumenten im Orchester, in der Kammermusik und auf der Solobühne. Darüber hinaus gelten sie als wertstabile und stilvolle Investitionen.
Wer sich für eine solche Violine interessiert, findet heute online eine erlesene Auswahl an restaurierten, spielfertigen Instrumenten aus verschiedenen Ländern und Epochen. Jedes einzelne Exemplar ist ein Unikat, aufbereitet von qualifizierten Geigenbauern und mit einer Klangprobe versehen, um dem Musiker die Entscheidung zu erleichtern. Vom erschwinglichen Schülerinstrument bis zur kostbaren Meistergeige reicht das Angebot – stets mit Fokus auf guter Spielbarkeit, klanglicher Qualität und einem breiten Preisspektrum, das vom ambitionierten Nachwuchsmusiker bis zum Profi reicht.
Auch der Kaufprozess ist längst nicht mehr an ein physisches Geschäft gebunden: Die Möglichkeit, eine Geige online auszuwählen und in vertrauter Umgebung auszuprobieren, ist heute gängiger Standard. Begleitende Beratung, umfassende Informationen zur Klangästhetik, Herkunft oder zum Zustand eines Instruments sowie großzügige Rückgaberechte geben Käufern zusätzliche Sicherheit.
Der Reiz alter Geigen liegt dabei nicht nur in ihrem oft warmen, reifen Klang, sondern auch in der Geschichte, die sie in sich tragen. Viele dieser Instrumente wurden über Generationen gespielt, gepflegt und weitergegeben. Ihre klanglichen Eigenschaften entwickeln sich mit der Zeit – Holz, das Jahrzehnte oder gar Jahrhunderte abgelagert wurde, reagiert auf den Bogenstrich mit besonderer Resonanz und Tiefe. Dabei ist eine alte Violine keineswegs zwangsläufig teurer als eine neue Geige in vergleichbarer handwerklicher Qualität.
Der Kauf einer solchen Violine sollte jedoch stets mit Bedacht erfolgen. Entscheidend ist, dass das Instrument auf mögliche Mängel wie Stimmrisse oder unsachgemäße Reparaturen geprüft wurde – eine Aufgabe, die erfahrene Geigenbauer mit Sorgfalt übernehmen. Nur so kann sichergestellt werden, dass das Instrument nicht nur klanglich, sondern auch strukturell überzeugt.
Ein Blick auf den Aufbau der Geige macht deutlich, warum sie so facettenreich klingt: Sie besteht aus einem Korpus aus Fichte und Ahorn, einem filigran gearbeiteten Steg, einem Bassbalken und einem präzise eingesetzten Stimmstock. Diese akustisch sensiblen Komponenten entscheiden maßgeblich über die Klangfarbe und Dynamik. Der Lack – oft nach historischen Rezepturen aufgetragen – schützt nicht nur, sondern trägt auch zum Klang bei. Die Schnecke, Zargen und der Boden, meist aus geflammtem Ahorn gefertigt, vollenden das optische und klangliche Gesamtbild.
Die Geige hat ihre Ursprünge im 16. Jahrhundert im Norden Italiens und wurde durch die großen Namen der Geigenbaukunst wie Amati, Guarneri und Stradivari zur Perfektion geführt. Noch heute gelten diese Instrumente als Maßstab – aber auch weniger bekannte Werkstätten vergangener Jahrhunderte haben wahre Schätze hervorgebracht.
Ob als klangvolles Werkzeug, historisches Kunstwerk oder emotionale Wegbegleiterin: Eine gut erhaltene, alte Geige eröffnet neue musikalische Dimensionen. Sie fordert den Musiker heraus – und belohnt ihn mit einem Klang, der weit über das Alltägliche hinausreicht.

05.08.25- Heinz und Michael Teuchert – Ein musikalisches Erbe in zwei Generationen und vier Händen

LP: Details
Michael Teuchert & Olaf Van Gonnissen

Wenn man über die Entwicklung der klassischen Gitarre im deutschsprachigen Raum spricht, führt kaum ein Weg an Heinz Teuchert (1914–1998) vorbei. Als Pionier der Gitarrenpädagogik, Professor an der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst Frankfurt am Main, Herausgeber zahlreicher Bearbeitungen und Autor der weithin bekannten Neuen Gitarrenschule, prägte er eine ganze Epoche des Gitarrenunterrichts.
Doch sein bedeutendstes Vermächtnis liegt nicht nur in seinen Publikationen, sondern auch in der Weitergabe seiner musikalischen Haltung – insbesondere an seinen Sohn Michael Teuchert. Dieser wuchs in einem Umfeld auf, in dem Musik nicht nur gelernt, sondern gelebt wurde. Früh entwickelte er sich selbst zu einem hochklassigen Musiker und Pädagogen – und wurde damit nicht nur Fortführer, sondern auch Gestalter des väterlichen Erbes.
Eine besonders wichtige Rolle spielte dabei das Frankfurter Gitarrenduo, das Michael Teuchert gemeinsam mit Olaf Van Gonnissen gründete. Diese kammermusikalische Formation wurde über Jahrzehnte hinweg zu einem Aushängeschild deutscher Gitarrenkultur. Mit ihrem differenzierten Zusammenspiel, ihrer Repertoirewahl und stilistischen Vielseitigkeit setzten Teuchert und Van Gonnissen Maßstäbe.
Das Duo widmete sich neben Originalwerken für zwei Gitarren auch Bearbeitungen, viele davon stammten aus dem reichen Notenschatz von Heinz Teuchert – darunter barocke Lautenstücke, Tänze aus der Renaissance, aber auch klassische und romantische Literatur. Dabei gingen die beiden Gitarristen nie dogmatisch vor: Historische Werktreue verband sich mit interpretatorischer Freiheit, musikalischer Intelligenz mit klanglicher Sensibilität.
Ihre Konzerte – unter anderem in der Alten Oper Frankfurt, bei internationalen Gitarrenfestivals oder in Rundfunkproduktionen – zeigten, wie zwei Gitarren zu einer atmenden Einheit verschmelzen können. Besonders in Erinnerung bleiben Einspielungen von Werken Bachs, von spanischer Musik (z. B. Albéniz und Granados), aber auch zeitgenössischer Kompositionen.
Parallel dazu engagierte sich Michael Teuchert als Lehrer – unter anderem an der Frankfurter Musikhochschule –, ganz in der Tradition seines Vaters. Dabei legte er großen Wert auf die Verbindung von Technik und Ausdruck, auf Musikalität jenseits bloßer Virtuosität.
Die Geschichte von Heinz und Michael Teuchert – und des Frankfurter Gitarrenduos mit Olaf Van Gonnissen – ist mehr als nur eine biografische Abfolge. Sie erzählt von einem lebendigen Erbe, von familiärer und kollegialer Weitergabe, von Klangkultur und pädagogischem Ethos.
Ein Erbe, das weiterklingt – nicht mehr in Konzertsälen, vielleicht in Unterrichtsräumen, in den Händen der vielen Gitarristinnen und Gitarristen, die mit ihren Ausgaben und Aufnahmen aufgewachsen sind.

04.08.25- Vassilios „Nick“ Nikitakis – Der kölsche Grieche mit der Bouzouki im Herzen

LP: A Fat Morgana
Chlodwig Musik – 210 077 (privat)

Die Kölner Musikszene hat eine ihrer prägenden Persönlichkeiten verloren: Vassilios „Nick“ Nikitakis ist am 4. August im griechischen Thessaloniki nach kurzer, schwerer Krankheit verstorben. Der 1955 geborene Musiker war weit mehr als ein herausragender Bouzouki-Spieler und Gitarrist – er war kultureller Brückenbauer, politisch engagierter Künstler und eine feste Größe in der Kölner Kulturlandschaft.
Bekannt wurde Nikitakis als Gründungsmitglied der Künstlerinitiative Arsch huh, die sich 1992 gegen Rassismus und Neonazismus formierte. Bei der legendären Kundgebung auf dem Chlodwigplatz mit rund 100.000 Menschen erklang erstmals der Titel „Arsch huh, Zäng ussenander“ – mit Musik von Nikitakis, der damit seine künstlerische Stimme auch politisch erhob. Der Text stammte von Wolfgang Niedecken. Die Aktion markierte einen Wendepunkt im kulturellen Widerstand gegen rechte Tendenzen in der Stadt – und „Nick“ stand im Zentrum.
Doch sein Wirken ging weit über diesen Tag hinaus. Mit Projekten in Schulen und in der Flüchtlingshilfe setzte er sich über Jahrzehnte hinweg für kulturelle Vielfalt und gesellschaftlichen Zusammenhalt ein. Für dieses Engagement wurde er 2021 mit dem Verdienstorden des Landes Nordrhein-Westfalen geehrt. Die Initiative Arsch huh beschreibt ihn in ihrer Mitteilung als „den kölschen Griechen“, der es verstand, die Melancholie des Rebetiko mit dem Feeling des amerikanischen Blues zu verschmelzen. Seine Lieder schrieb er in Griechisch, Englisch und Kölsch – eine musikalische Dreisprachigkeit, die seine Identität perfekt widerspiegelte.
Nikitakis kam 1960 im Alter von fünf Jahren mit seinen Eltern aus Thessaloniki nach Köln und fand dort seine Heimat – sowohl menschlich als auch musikalisch. In den 1970er- und 80er-Jahren erarbeitete er sich schnell einen Namen in der lokalen Szene. Mit seiner Bouzouki und Gitarre begeisterte er in unzähligen Formationen und Projekten.
Ein schwerer Schlag traf ihn 2014, als er mit 58 Jahren einen Schlaganfall erlitt. Drei Wochen lag er im Koma, das Gitarrenspiel war danach nicht mehr möglich. Fortan war er auf den Rollstuhl angewiesen – seine Energie, Lebensfreude und sein Witz blieben jedoch ungebrochen.
„Wann immer man ihn traf, strahlte er – trotz allem – Wärme, Humor und Zuversicht aus“, heißt es in der Mitteilung seiner Weggefährten. Vassilios Nikitakis hinterlässt seine Frau und zwei Töchter – sowie ein beeindruckendes musikalisches und menschliches Vermächtnis.
Die Kölner Musikszene verneigt sich vor einem, der nie laut, aber immer klar war. Ein Künstler, ein Aktivist, ein Freund.

03.08.25- David Roach (1965–2025) – Junkyard-Sänger stirbt mit 59 Jahren an Hautkrebs

CD: Sixes, Sevens & Nines
1991 - BAD111001 (privat)

Die Rockwelt trauert um David Roach, den charismatischen Frontmann der 1980er-Jahre-Band Junkyard, der im Alter von nur 59 Jahren verstorben ist. Der Sänger erlag einer besonders aggressiven Form von Hautkrebs – einem sogenannten Plattenepithelkarzinom, das in den oberen Hautschichten entsteht und sich oft rasch ausbreiten kann.
Trotz medizinischer Behandlungen und einer öffentlich initiierten Spendenkampagne, mit der Roach’ Familie die hohen Kosten seiner Therapie zu decken versuchte, verlor der Musiker seinen kräftezehrenden Kampf gegen die Krankheit.
Die Nachricht über seinen Tod wurde am Sonntag, dem 3. August, über den offiziellen Instagram-Account der Band veröffentlicht. In dem emotionalen Statement heißt es:
„Mit großer Trauer müssen wir den Tod von David Roach bekannt geben. Nach einem mutigen Kampf gegen den Krebs ist David letzte Nacht friedlich zu Hause im Arm seiner liebevollen Ehefrau verstorben. Er war ein talentierter Künstler, Performer, Songwriter und Sänger, aber vor allem ein hingebungsvoller Vater, Ehemann und Bruder.“
David Roach war das Gesicht und die Stimme von Junkyard, einer Band, die den rauen Sound des Southern Rock mit Punk-Attitüde und klassischem Hardrock verband. Ihre selbstbetitelte Debütplatte von 1989 sowie das Folgealbum Sixes, Sevens & Nines (1991) verschafften ihnen internationale Aufmerksamkeit – Roachs raue Stimme war dabei ein Markenzeichen des Bandsounds.
Abseits der Bühne galt David Roach als warmherzig, humorvoll und bodenständig. Freunde und Weggefährten erinnern sich an einen Menschen mit großer Leidenschaft für Musik und tiefer Loyalität gegenüber seiner Familie.
Mit seinem Tod verliert die Rockszene nicht nur einen Musiker, sondern auch eine authentische Stimme, die bis zuletzt für das stand, woran sie glaubte – Ehrlichkeit, Herzblut und den unbedingten Willen, weiterzumachen.
Die Musikwelt verneigt sich vor einem Sänger, der mit seiner Stimme und seinem Wesen Spuren hinterlässt.

02.08.25- Jeannie Seely – Abschied von einer Grand Dame des Country

ChrisTofu11961
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Die Country-Musik hat eine ihrer prägendsten Stimmen verloren: Jeannie Seely ist tot. Die Grammy-Preisträgerin starb im Alter von 85 Jahren in Nashville, Tennessee, an den Folgen einer Darminfektion. Mit ihr geht nicht nur eine außergewöhnliche Sängerin und Songwriterin, sondern auch eine Pionierin, die über sechs Jahrzehnte hinweg die amerikanische Country-Szene mitgeprägt hat.
Geboren am 6. Juli 1940 in Titusville, Pennsylvania, fand Seely früh zur Musik. Noch während ihrer Tätigkeit bei einer Bank in Kalifornien wagte sie den Sprung ins Musikgeschäft und zog nach Nashville – eine Entscheidung, die ihr Leben und die Szene entscheidend verändern sollte. Mit einem Plattenvertrag bei Challenge Records begann ihre professionelle Karriere, doch es war die Zusammenarbeit mit Songwriter Hank Cochran, die sie 1966 schlagartig berühmt machte: Mit dem Hit Don't Touch Me erreichte sie Platz 2 der Country-Charts und gewann ihren ersten Grammy. Insgesamt wurde sie dreimal für den renommierten Musikpreis nominiert.
Ein Jahr nach diesem Erfolg wurde sie als Mitglied in die legendäre Grand Ole Opry aufgenommen – und schrieb Geschichte: Als erste Frau moderierte sie regelmäßig Teile der berühmten Radioshow und trat über 5000 Mal auf deren Bühne auf. Ihr charismatisches Auftreten und ihr musikalisches Gespür machten sie zur festen Größe im "heiligen Tempel" der Country-Musik.
Doch Seely war mehr als nur Interpretin: Auch als Songwriterin zeigte sie großes Talent. Zu ihren Kompositionen gehören unter anderem Can I Sleep in Your Arms – später von Willie Nelson gecovert – und Leavin' and Sayin' Goodbye, ein Hit für Faron Young. Ende der 60er-Jahre verband sie eine erfolgreiche musikalische Partnerschaft mit Jack Greene. Ihr Duett Wish I Didn't Have to Miss You wurde zu einem Klassiker jener Ära.
Bis ins hohe Alter blieb Seely kreativ. 2020 erschien ihr letztes Studioalbum An American Classic, auf dem sie u. a. mit Willie Nelson, Lorrie Morgan und Ray Stevens sang. Auch als Radiomoderatorin blieb sie präsent – mit ihrer SiriusXM-Show Sundays With Seely, die sie 2018 startete. Ihren letzten Auftritt in der Grand Ole Opry hatte sie noch im Februar dieses Jahres – ein letzter Beweis ihrer unermüdlichen Leidenschaft für die Musik.
Die Anteilnahme aus der Musikszene ist groß. Country-Sänger Tim Atwood sagte: „So gut die Opry auch sein mag, ohne Jeannie wird ihr Licht nie mehr so hell strahlen.“ Besonders ergreifend fiel der Abschied von Dolly Parton aus, die mit Seely seit den Anfängen ihrer Karriere eng befreundet war: „Jeannie war eine meiner liebsten Freundinnen. Wir haben so viel zusammen gelacht – und geweint. Sie wird uns fehlen.“
Mit dem Tod von Jeannie Seely endet ein Kapitel Country-Geschichte. Sie hinterlässt eine Lücke, die kaum zu schließen ist – künstlerisch wie menschlich. Nur wenige Monate zuvor war ihr Ehemann Gene Ward an Krebs gestorben. Nun ist auch sie gegangen – doch ihre Lieder, ihre Stimme und ihr Lächeln bleiben.

01.08.25- Paul Mario Day – Der erste Sänger von Iron Maiden ist tot

Paul Mario Day (2. v. links)
LP Cover: Unofficial Release (Rare)

Die Rockwelt trauert um Paul Mario Day, den ersten Sänger der britischen Metal-Legende Iron Maiden. Der Musiker starb im Alter von 69 Jahren in Australien an den Folgen einer Krebserkrankung. Laut Berichten des Magazins Parade sei Day in seinem Haus friedlich eingeschlafen. Auch seine spätere Band More bestätigte seinen Tod auf Instagram und würdigte ihn als „großartigen Sänger“ und „beliebte Figur in der britischen Rockmusik“.
Paul Mario Day war ein Mann der Anfänge – und vielleicht gerade deshalb eine oft übersehene Figur in der Geschichte des Heavy Metal. 1975 war er gerade 19 Jahre alt, als ihn Bassist Steve Harris in das frisch gegründete Projekt Iron Maiden holte. Day wurde damit zum allerersten Frontmann einer Band, die später Musikgeschichte schreiben sollte. Doch sein Engagement währte nur rund ein Jahr. Bereits im Herbst 1976 wurde er durch Dennis Wilcock ersetzt – offiziell wegen mangelnder Bühnenpräsenz.
In der Dokumentation Iron Maiden: The Early Days wurde diese Entscheidung später näher beleuchtet. Day selbst zeigte sich in einem Interview mit Blabbermouth im Jahr 2019 selbstkritisch: „Steve sagte: 'Du musst näher ans Publikum ran. Du musst ein Held sein.' Ich wusste, dass er recht hatte, aber ich hatte keine Ahnung, wie ich das umsetzen sollte.“ Rückblickend bezeichnete Day die Trennung dennoch als wichtige Lebenserfahrung – „die schlimmste und zugleich die beste Lektion meines Lebens“, wie er sagte.
Nach seinem kurzen, aber bedeutsamen Kapitel bei Iron Maiden ließ Day sich nicht entmutigen. 1980 gründete er die Band More, deren Debütalbum Warhead im Jahr darauf für Aufsehen sorgte. Die Band spielte auf dem legendären Donington Monsters of Rock-Festival 1981 – ein Ritterschlag in der damaligen Hardrock- und Metal-Szene.
Auch in den Folgejahren blieb Day aktiv: Zwischen 1983 und 1984 war er Sänger der Band Wildfire, bevor er 1985 zu The Sweet stieß – jener Glam-Rock-Band, die in den 70er-Jahren mit Hits wie Ballroom Blitz bekannt geworden war. In der neu formierten Besetzung mit Andy Scott feierte Day auch außerhalb der Metal-Szene Erfolge.
The-Sweet-Gitarrist Scott drückte via Facebook sein Mitgefühl aus: „Ein trauriger Tag für alle Fans von The Sweet.“ In der Tat verliert die Musikgemeinschaft mit Paul Mario Day eine Stimme der Anfänge, einen Wegbereiter, der – auch wenn er nie die ganz großen Bühnen eroberte – den Geist des Rock 'n' Roll lebte.
Er mag nicht der berühmteste Sänger von Iron Maiden gewesen sein – doch ohne ihn hätte die Geschichte dieser Band und vielleicht auch des Metal-Genres anders begonnen.

31.07.25- „Ruhe in Frieden“ – aber nicht ohne kritische Worte: Zum Tod von Jock McDonald, Sänger der Bollock Brothers

Michael Koschinski
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Die Punk-Szene verliert eine ihrer exzentrischsten Stimmen: Jock McDonald, Frontmann der Bollock Brothers, ist bei einem Badeunfall in Irland gestorben. Die offizielle Darstellung spricht von einem tragischen Unfall, doch hinter dem Schock liegt auch eine Geschichte aus Exzess, Rebellion und musikalischer Provokation – eine Geschichte, die man nicht romantisieren sollte.
McDonald war kein glatter Musiker – und wollte es auch nie sein. Seit der Gründung der Bollock Brothers 1979 verkörperte er eine Art groteske Karikatur des Punk: anarchisch, respektlos, laut. Die Band coverte Klassiker von Led Zeppelin, Bowie oder Steppenwolf – nicht aus Ehrfurcht, sondern als Akt der Aneignung und Zerstörung. Ihre Version von Alex Harveys „Faith Healer“ wurde zum Underground-Hit, doch die Provokation war oft größer als der musikalische Anspruch. Die Ironie: Viele hielten sie für eine reine Satire-Truppe – dabei war McDonald durchaus ernst, wenn es um seine radikale Haltung zum Establishment ging.
Doch Punk war für ihn nicht nur Pose. Es war auch ein Leben am Limit. In Interviews kokettierte McDonald mit Alkohol- und Drogenexzessen, mit Ausschweifung und Chaos. Auftritte der Bollock Brothers waren nicht selten chaotisch – die Grenze zwischen Show und Absturz war fließend. Die Szene feierte das lange als Ausdruck von Authentizität. Aber sie übersah zu oft die Selbstzerstörung dahinter. In dieser Hinsicht war McDonald auch ein Kind seiner Zeit: Wie viele Künstler seiner Generation wurde das Lebensgefühl „Sex, Drugs and Rock’n’Roll“ nie hinterfragt – auch wenn es zerstörte Karrieren, Beziehungen und letztlich Leben zur Folge hatte.
Sein Tod mit 69 Jahren bei einem Badeunfall in Bundoran wirkt beinahe wie ein Sinnbild: ein unkontrollierbares Element, ein Moment der Unachtsamkeit, ein tragisches Ende abseits der Bühne. Und auch wenn kein direkter Zusammenhang zu Alkohol oder Drogen öffentlich bestätigt wurde – der Lebensstil McDonalds wirft Fragen auf. Wie viele seiner Generation lebte er am Rand – und manchmal darüber hinaus.
Die Trauer in der Szene ist verständlich, die Schockstarre seiner Familie und Bandkollegen nachvollziehbar. Doch ein Nachruf auf McDonald darf nicht nur in Nostalgie schwelgen. Er muss auch Raum für Kritik bieten: an einer Musikindustrie, die Exzesse feiert, solange sie sich vermarkten lassen; an einer Szene, die Selbstzerstörung allzu oft als rebellischen Akt verklärt; und an einem Bild von Männlichkeit, das sich über Grenzüberschreitung definiert.
McDonald war ein Unikat – und ein Spiegel einer Ära, die sich selbst für unsterblich hielt. Jetzt ist einer ihrer lautesten Vertreter verstummt. Vielleicht ist das ein Moment, innezuhalten – und sich zu fragen, welchen Preis der Mythos vom „echten Rockerleben“ wirklich fordert.

30.07.25- Die Musik von Leroy Anderson: „The Typewriter“ – Geschichte und Hintergründe

Georges Biard
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Wenn man das Klackern einer alten Schreibmaschine hört, denkt man selten an Musik – es sei denn, man kennt „The Typewriter“, das legendäre Orchesterstück des amerikanischen Komponisten Leroy Anderson. Entstanden 1950 und uraufgeführt 1953, gehört dieses humorvolle Werk zu den bekanntesten musikalischen Miniaturen des 20. Jahrhunderts. Oft wird es – fälschlich – mit einem gewissen „J. Lewis“ in Verbindung gebracht, was vermutlich auf den Komiker Jerry Lewis zurückzuführen ist, der das Stück in einer berühmten Szene als pantomimischer Sekretär parodierte. Doch die Musik stammt eindeutig aus der Feder von Anderson, einem Meister der musikalischen Unterhaltungskunst.

Die Entstehung von „The Typewriter“
Leroy Anderson war bekannt für seine Fähigkeit, Alltagsgeräusche in musikalische Kontexte einzubinden. Schon in Stücken wie „The Syncopated Clock“ oder „Sandpaper Ballet“ hatte er mit ungewöhnlichen Klangquellen experimentiert. Für „The Typewriter“ entschied er sich, eine echte mechanische Schreibmaschine in den Orchesterapparat zu integrieren – als Soloinstrument.
Das Stück wurde speziell für das Boston Pops Orchestra unter Arthur Fiedler geschrieben, mit dem Anderson eng zusammenarbeitete. Die Uraufführung 1953 machte Furore: Eine Schreibmaschine als Orchesterinstrument – das war neu, witzig und brillant umgesetzt. Die klingelnden Wagenrückläufe, das Tippen der Tasten und die rhythmische Präzision der Orchestrierung machten das Werk zu einem Paradebeispiel orchestralen Humors.

Aufbau und musikalische Mittel
„The Typewriter“ ist ein kurzes Orchesterstück im Stil einer schnellen Polka oder Galopp. Der „Solist“ bedient die Schreibmaschine mit nahezu tänzerischer Präzision. Die Anschläge der Typenarme übernehmen den perkussiven Part, während das Orchester schwungvolle, leicht ironisch gefärbte Melodien beisteuert. Besonders charakteristisch ist das Ding! der Glocke am Zeilenende – ein Geräusch, das jeder kennt, der je an einer Schreibmaschine gearbeitet hat.
Musikalisch lebt das Stück von Timing, Leichtigkeit und einem feinen Sinn für Ironie. Es ist Unterhaltungsmusik im besten Sinne – anspruchsvoll in der Ausführung, aber zugänglich und humorvoll in der Wirkung.

Popkultur, Parodie und Jerry Lewis
Der Mythos um „J. Lewis“ und die Schreibmaschine stammt wohl von einem legendären TV-Auftritt Jerry Lewis’ in den 1960er Jahren. In einer Slapstick-Nummer synchronisierte er pantomimisch das Spiel eines imaginären Büroangestellten zur Musik von Anderson – mit übertriebener Mimik und Körpersprache, aber exakt im Takt. Der Sketch wurde weltberühmt und führte dazu, dass viele das Stück automatisch mit Lewis verbanden – eine klassische Verwechslung von Performer und Komponist.

Bedeutung und Vermächtnis
„The Typewriter“ ist ein Klassiker der orchestralen Komik. Es wird regelmäßig von Sinfonieorchestern gespielt – sei es bei Familienkonzerten, bei Neujahrsgalas oder als humoristischer Zwischengang in klassischen Programmen. Neben dem Unterhaltungswert zeigt das Werk aber auch, wie offen und kreativ sich das 20. Jahrhundert mit Klangquellen und Instrumentation auseinandersetzte. Es ist ein musikalisches Dokument dafür, dass Humor und Ernsthaftigkeit in der Musik keine Gegensätze sein müssen.
Leroy Anderson, dessen Werk oft unter dem Label „leichte Muse“ geführt wird, war ein Virtuose der Miniatur. Mit „The Typewriter“ gelang ihm ein kleines Meisterwerk – das nicht nur Musikliebhaber, sondern auch Schreibmaschinenromantiker in seinen Bann zieht.

29.07.25- Wacken Open Air 2025 – Ein Donnerschlag zum Auftakt

Wacken, das Mekka der Metalwelt, ruft auch 2025 wieder seine Gemeinde zusammen. Zwischen dem 30. Juli und dem 2. August verwandelt sich das beschauliche norddeutsche Dorf in ein gigantisches, pulsierendes Festivalgelände. Bereits Tage zuvor rollen Wohnmobile und Zelte an – denn das Wacken Open Air ist längst mehr als ein Musikfestival: Es ist ein Ritual. Tausende Metal-Fans aus aller Welt pilgern in das Dorf mit den drei großen Bühnen, Dutzenden Nebenbühnen und einer Atmosphäre, die ihresgleichen sucht.
Die eigentliche Eröffnung mit Musik beginnt am Mittwoch, dem 30. Juli. Bands wie Saltatio Mortis, Apocalyptica und Beyond The Black geben dabei die Marschrichtung vor: episch, brachial, melodisch, traditionell – und zugleich modern. Der erste Tag ist in Wacken längst kein „Aufwärmen“ mehr. Was hier passiert, ist ein Auftakt mit Donnerhall. Schon am Nachmittag brodelt der Holy Ground, und spätestens am Abend gibt es kein Halten mehr. Das Gelände ist voll, die Stimmung elektrisiert, der Moshpit tobt.
An den folgenden Tagen setzt das Festival seine musikalische Breitseite fort. Die Headliner sprechen für sich: Guns N’ Roses feiern ihre Rückkehr auf die Wacken-Bühne – ein Ereignis, das weit über die Metal-Szene hinaus Aufmerksamkeit auf sich zieht. Auch Machine Head, Gojira, Papa Roach, Ministry, Dimmu Borgir und King Diamond gehören zu den großen Namen des Line-ups. Klassiker wie Saxon, Dirkschneider oder Michael Schenker bringen den Geist der frühen Metal-Ära mit, während jüngere Acts für neue Energie und Frische sorgen. Das Wacken Open Air bleibt dabei seinem Konzept treu: Genrevielfalt auf höchstem Niveau. Ob Black, Death, Power, Folk oder Industrial Metal – wer hier nichts findet, hat nicht gesucht.
Doch Wacken 2025 bietet mehr als Musik. Unter dem Titel „Wacken United“ wird ein vielseitiges Rahmenprogramm präsentiert. Im Pressezelt treten Persönlichkeiten wie der Astronaut Alexander Gerst, der schräge Musiker Mambo Kurt und Thrillerautor Sebastian Fitzek auf. Es gibt Talks, Lesungen, Interviews, Live-Performances und Überraschungsgäste. Hier zeigt sich: Metal ist nicht nur Klang, sondern auch Haltung, Neugier und Dialog. Die Szene denkt mit, diskutiert, lacht – und feiert sich selbst mit einem Augenzwinkern.
Auch organisatorisch bleibt Wacken ein Maßstab: Der detaillierte Running Order steht frühzeitig zur Verfügung, eine Festival-App hilft bei der Planung, Livestreams bringen die Bühne ins Zelt – und ausgeklügelte Logistik sorgt dafür, dass trotz zehntausender Besucher alles weitgehend reibungslos verläuft. Der Holy Ground ist eine Stadt auf Zeit, mit allem, was dazugehört: Infrastruktur, Security, Sanitäreinrichtungen, Metal-Markt und einer eigenen Energie, die nur einmal im Jahr entsteht.
Wacken 2025 ist damit mehr als nur ein Festival – es ist ein Erlebnis zwischen Donner und Dialog, Tradition und Innovation, Headbang und Horizonterweiterung. Wer einmal da war, weiß: Es ist nicht nur ein Ort, sondern ein Gefühl. Und es klingt laut, schnell und kompromisslos.

28.07.25- Slayer – Zwischen musikalischer Urgewalt und selbstzerstörerischem Exzess

Slayer zählt zweifellos zu den kompromisslosesten und einflussreichsten Metalbands aller Zeiten. Seit ihrer Gründung 1981 in Kalifornien standen sie für einen aggressiven Sound, der die Grenzen des Thrash Metal neu definierte – schneller, härter, roher. Doch jenseits der musikalischen Genialität und ihrer furchteinflößenden Aura steht auch eine Bandgeschichte voller exzessiver Abstürze, Drogenmissbrauch und innerer Zerrissenheit. In diesem Artikel werfen wir einen kritischen Blick auf den Mythos Slayer – eine Band, die sich zwischen musikalischem Kultstatus und persönlichem Abgrund bewegte.

Die Musik: Raserei mit System
Slayer waren nie für Zwischentöne bekannt. Alben wie Reign in Blood (1986), South of Heaven (1988) oder Seasons in the Abyss (1990) gehören zum Kanon des Metal – brutal, schnell und technisch brillant. Gitarrist Kerry King und sein langjähriger Mitstreiter Jeff Hanneman (†2013) lieferten sich auf ihren Instrumenten wahre Duelle, während Tom Arayas messerscharfe Stimme biblische Gewalt, Krieg, Tod und satanische Visionen beschwor. Dave Lombardo setzte mit seinem innovativen Drumming neue Maßstäbe im Metal und gilt als Pionier des Blastbeats.
Slayer schockierten nicht nur musikalisch, sondern auch mit provokativen Texten und Symbolik. Doch was viele als bloße Inszenierung wahrnahmen, spiegelte nicht selten reale Abgründe wider – innerhalb und außerhalb der Band.

Exzess als Normalzustand
Slayer lebten ihre Musik auch abseits der Bühne radikal aus. Die Band war bekannt für ihre unkontrollierten Backstage-Exzesse, in denen Alkohol und Drogen zum Alltag gehörten. Besonders Gitarrist Kerry King, aber auch Jeff Hanneman, sollen laut Aussagen aus dem Umfeld der Band während Live-Auftritten regelmäßig Kokain konsumiert haben – teilweise direkt hinter dem Verstärker, zwischen zwei Songs.
Gary Holt, der später für den verstorbenen Hanneman einsprang, sprach in Interviews rückblickend von einer „absolut toxischen Atmosphäre“, die lange Zeit als cool und rebellisch verklärt wurde, aber in Wahrheit gefährlich und destruktiv war. Auch der Druck, das Image der „furchtlosen Metal-Götter“ aufrechtzuerhalten, soll die Bandmitglieder immer wieder in Suchtverhalten getrieben haben.
Jeff Hanneman, einer der Hauptkomponisten der Band, verfiel zunehmend dem Alkohol. Seine Leberzirrhose, die letztlich zu seinem Tod führte, war kein Einzelfall in der Szene, aber besonders tragisch – Slayer verloren mit ihm nicht nur einen Musiker, sondern auch einen der letzten echten Architekten ihres Sounds.

Kultstatus mit Schattenseiten
Trotz – oder gerade wegen – ihrer schonungslosen Musik und der kompromisslosen Haltung erreichten Slayer eine treue weltweite Fangemeinde. Ihre Konzerte galten als kathartische Gewaltrituale, in denen der Wahnsinn von Krieg, Tod und Drogen thematisiert – und gleichzeitig zelebriert – wurde.

Doch was passiert, wenn der Wahnsinn zur Realität wird?
Slayer sind auch ein Beispiel dafür, wie die glorifizierte Rebellion des Metal allzu oft in Selbstzerstörung mündet. Die Heroisierung von Drogen, Alkohol und Tabubrüchen mag Teil der Show gewesen sein, doch sie forderte reale Opfer. Es bleibt die Frage, inwieweit Szene und Fans diese Eskalation toleriert – oder sogar befeuert – haben.

Abschied mit Wucht
2019 verabschiedeten sich Slayer nach fast 40 Jahren Bandgeschichte endgültig von der Bühne. Ihr letzter Auftritt war so brachial und gnadenlos wie ihre gesamte Karriere – ein letzter Donnerschlag. Die Band hinterließ ein musikalisches Vermächtnis, das noch Generationen von Metalbands prägen wird.
Doch der Preis für diese Authentizität war hoch. Slayer verkörperten den Sound des Untergangs – und lebten ihn zu oft auch abseits der Bühne.

Fazit
Slayer sind ein Monument des Thrash Metal – musikalisch unerreicht in Wucht und Konsequenz. Doch ihre Geschichte mahnt auch zur Vorsicht: Rebellion ohne Reflexion kann zur Selbstvernichtung führen. Der Rausch, der Sound, die Provokation – all das war nie nur Pose. Slayer waren echt. Vielleicht zu echt. Und genau das macht sie bis heute so faszinierend – und tragisch.

27.07.25- Buddy Rich – Der Trommel-Wunderknabe, der zur Legende wurde

Paul Spürk
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Er galt als der schnellste, präziseste und leidenschaftlichste Schlagzeuger seiner Zeit – und vielleicht aller Zeiten. Buddy Rich, geboren als Bernard Rich am 30. September 1917 in Brooklyn, New York, wurde zur Ikone des Jazz und zu einem Maßstab für Generationen von Schlagzeugern. Seine Karriere begann schon früh: Als Sohn der Vaudeville-Künstler Bess Skolnik und Robert Rich stand er bereits mit vier Jahren als „Traps the Drum Wonder“ auf der Bühne. Mit fünfzehn war er nach Jackie Coogan der zweithöchstbezahlte Kinderstar der 1930er Jahre.
Seine professionelle Laufbahn als Jazz-Schlagzeuger begann Rich 1937 bei Joe Marsala. Bald darauf wurde er von Artie Shaw verpflichtet – und spätestens mit dem Eintritt in Tommy Dorseys Orchester Anfang der 1940er Jahre gelang ihm der internationale Durchbruch. Dort begegnete er auch dem jungen Frank Sinatra. Es war der Beginn einer lebenslangen musikalischen und persönlichen Freundschaft. Mit dessen finanzieller Unterstützung gründete Rich 1946 seine eigene Big Band, in der er nicht nur als Schlagzeuger, sondern auch gelegentlich als charismatischer Sänger glänzte.
In den folgenden Jahrzehnten war Buddy Rich nicht aus der Jazzwelt wegzudenken. Ob mit den Dorsey Brothers, Harry James, Woody Herman oder Count Basie – er war die rhythmische Triebfeder ganzer Ensembles. Seine Fähigkeiten führten ihn auch zu den Giganten des Jazz: Louis Armstrong, Lester Young, Nat King Cole, Dizzy Gillespie, Charlie Parker, Miles Davis, Oscar Peterson, Art Tatum – sie alle schätzten seine explosive Energie, technische Brillanz und unerschütterliche Präzision.
Rich war ein Feuerwerk an Talent – aber auch an Temperament. Seine pedantische Akribie und sein Perfektionismus machten ihn zu einem fordernden Bandleader. In der Szene war er gleichermaßen gefürchtet wie verehrt. Die Disziplin, die er seinen Mitmusikern abverlangte, war extrem, doch seine Hingabe zur Musik und seine Loyalität gegenüber echten Individualisten wurde hoch geschätzt. Musiker wie Max Roach, Philly Joe Jones, Steve Gadd oder Mel Lewis verehrte er – Nachahmer hingegen konnte er nicht ausstehen.
Legendär waren seine Duelle mit anderen Schlagzeuggrößen wie Gene Krupa oder Max Roach – musikalische Wettkämpfe voller Virtuosität und Show. 1981 lieferte er sich sogar ein unvergessenes Battle mit „Animal“ aus der Muppet Show – ein Beweis für seinen Humor und seine Bühnenpräsenz auch jenseits der Jazzwelt.
Buddy Rich blieb bis ins hohe Alter ein unermüdlicher Performer. Einer seiner letzten großen Auftritte war 1982 beim „Concert for the Americas“ mit Frank Sinatra in der Dominikanischen Republik – ein Konzert voller Magie, das bis heute nachwirkt.
Im Jahr 1987 wurde bei Rich ein Gehirntumor diagnostiziert. Eine Notoperation konnte ihn nicht mehr retten – er starb am 2. April desselben Jahres an einem Herzinfarkt. Seine letzte Ruhestätte fand er auf dem Westwood Village Memorial Park Cemetery in Los Angeles.
Doch sein Vermächtnis lebt. Zwei Jahre nach seinem Tod fand ein monumentales Gedenkkonzert mit den besten Schlagzeugern der Welt statt – unter ihnen Dave Weckl, Vinnie Colaiuta, Dennis Chambers, Neil Peart und Louie Bellson. Die daraus entstandene DVD dokumentiert nicht nur seine Bedeutung, sondern auch den tiefen Respekt, den ihm die Musikwelt zollt. Neil Peart von Rush initiierte in der Folge das Projekt Burning for Buddy, zwei Alben mit Arrangements aus dem Repertoire der Buddy Rich Big Band, gespielt von einer neuen Generation brillanter Drummer.
Buddy Rich war mehr als nur ein Schlagzeuger. Er war ein Ereignis – eine unbändige Kraft am Set, eine Persönlichkeit, die das Spiel mit Stöcken in eine Kunstform verwandelte. Und er bleibt unvergessen als das, was er von Kindesbeinen an war: ein Wunder.

26.07.25- Joaquín Rodrigo – Der blinde Klangmagier der spanischen Gitarre

Zarateman
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Joaquín Rodrigo war blind – doch in seiner Musik sah er weiter als viele seiner Zeitgenossen. Der spanische Komponist, 1901 in Sagunto geboren, wurde bereits mit drei Jahren durch eine Diphtherie-Erkrankung nahezu vollständig erblindet. Doch was ihm an Sehkraft fehlte, machte er mit innerem Hören und einer außergewöhnlichen Sensibilität für Klang, Struktur und Farbe wett. Rodrigo wurde zu einem der wichtigsten Komponisten Spaniens im 20. Jahrhundert – und zum Meister der klassischen Gitarre, ohne selbst Gitarre zu spielen.
Rodrigos Musik schöpft aus den tiefen Quellen der spanischen Kultur: aus maurischen Ornamenten, kastilischer Volksmusik, barocker Pracht und impressionistischer Klangmagie. Seine berühmteste Komposition, das Concierto de Aranjuez (1939), ist vielleicht das bekannteste Gitarrenkonzert der Musikgeschichte. Die elegische, von schmerzhafter Schönheit durchdrungene Melodie des zweiten Satzes ist längst in das kollektive Musikgedächtnis eingegangen – von Miles Davis bis zu Punkbands wurde sie zitiert, parodiert, verehrt.
Doch Aranjuez ist mehr als ein Ohrwurm: Es ist ein Meisterwerk der Instrumentation, das die Gitarre mit einem klassischen Orchester auf Augenhöhe bringt – keine Selbstverständlichkeit, bedenkt man die oft zarte, intime Natur des Instruments. Rodrigo verstand es, Räume zu schaffen, in denen die Gitarre nicht unterging, sondern leuchtete. Dabei nutzte er seine Blindheit fast als Stärke: Er komponierte mit einer ausgeprägten inneren Klangvorstellung, notierte seine Werke in Blindenschrift und ließ sie von Assistenten übertragen.
Auch seine weiteren Werke für Gitarre und Orchester wie das Fantasía para un gentilhombre (1954) oder Concierto andaluz für vier Gitarren (1967) zeigen seine tiefe Verbundenheit mit der spanischen Tradition – immer jedoch gebrochen durch eine moderne, manchmal fast surreal wirkende Tonsprache. Die Solowerke – etwa Invocación y danza, ein 1961 entstandenes Stück voll dunkler Magie – fordern Interpret:innen heraus, Klang und Form mit großem Ausdruckswillen zu verbinden.
Rodrigo war nie ein Avantgardist im technischen Sinne. Doch seine Musik hatte etwas, was viele Werke des 20. Jahrhunderts vermissen lassen: Herz, Tiefe, eine poetische Dimension. Er schrieb nicht gegen die Geschichte an, sondern verwob Vergangenheit und Gegenwart mit feinem Gespür – und einer tiefen Liebe zur Gitarre, obwohl er selbst Pianist war.
Bis ins hohe Alter blieb Joaquín Rodrigo produktiv. Für seine Verdienste um die spanische Musik wurde er geadelt, mit Preisen überhäuft und weltweit aufgeführt. Als er 1999 in Madrid starb, hinterließ er ein Werk, das nicht nur Gitarrist:innen bis heute inspiriert – sondern ein ganzes Klanguniversum, das beweist, dass Sehen keineswegs eine Voraussetzung für Vision ist.

25.07.25- Zum Tod von Chuck Mangione: Der sanfte Klang des Flügelhorns ist verstummt

Marek Lazarski
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Chuck Mangione ist tot. Der amerikanische Flügelhornist und Komponist starb am 22. Juli im Alter von 84 Jahren friedlich in seinem Zuhause, wie ein Sprecher gegenüber dem Magazin People bestätigte. Mit ihm verliert die Jazzwelt einen der populärsten und stilbildendsten Musiker der letzten Jahrzehnte. Mangione wurde 14-mal für den Grammy nominiert, zweimal gewann er den renommierten Musikpreis – doch seine Wirkung reichte weit über Auszeichnungen hinaus.
Sein weicher, melodischer Sound prägte das Genre des Smooth Jazz und öffnete dem Jazz neue Wege in den Mainstream. Das 1977 erschienene Album Feels So Good machte ihn weltweit bekannt. Der gleichnamige Titelsong wurde zu einem der erfolgreichsten Instrumentalstücke der Popgeschichte – er erklang in Filmen wie Fargo und Doctor Strange, in Werbespots und bei Sportereignissen. Mangione fand mit seinem Flügelhorn einen Ton, der Menschen über Genregrenzen hinweg berührte – zugänglich, emotional, aber nie beliebig.
Geboren 1940 in Rochester, New York, wuchs Mangione in einer musikbegeisterten Familie auf. Sein Vater lud regelmäßig Jazz-Größen wie Sarah Vaughan oder Miles Davis zum Essen nach Hause ein. Für den jungen Chuck und seinen Bruder Gap wurden diese Begegnungen zur Schule der musikalischen Inspiration. Gemeinsam gründeten die Brüder später The Jazz Brothers, bevor Mangione 1963 sein Studium an der Eastman School of Music abschloss. Später kehrte er dorthin zurück – nicht als Student, sondern als Lehrer, um das Jazzprogramm auszubauen und weiterzugeben, was ihn selbst geprägt hatte.
Der große Durchbruch kam Mitte der 70er Jahre, als Mangione begann, Elemente aus Pop, Disco, Latin und Flamenco mit jazzigen Improvisationen zu verbinden. Damit traf er den Nerv der Zeit – ohne sich zu verbiegen. Seine Musik wurde Teil großer Ereignisse: „Chase the Clouds Away“ begleitete die Olympischen Spiele 1976, „Give It All You Got“ wurde zur musikalischen Signatur der Winterspiele 1980 in Lake Placid, die Mangione live mitgestaltete. Und selbst eine jüngere Generation wurde durch seine regelmäßige Gastrolle in der Animationsserie King of the Hill auf ihn aufmerksam – dort synchronisierte er sich selbst als leicht verschrobene Kultfigur, was ihm neue Fans einbrachte.
Trotz allem blieb Mangione ein bescheidener Mensch mit engem Bezug zu seiner Heimatstadt. 2012 wurde er in die Rochester Music Hall of Fame aufgenommen. Seinen Grammy-prämierten Titel Bellavia widmete er seiner Mutter. Insgesamt veröffentlichte er mehr als 30 Alben – ein umfangreiches Werk, das ebenso von Virtuosität wie von Zugänglichkeit lebt.
Chuck Mangione war ein Brückenbauer: zwischen Jazz und Pop, zwischen Virtuosität und Gefühl, zwischen Tradition und Moderne. Er zeigte, dass auch eine Trompete, sanft gespielt, die Welt ein kleines Stück heller machen kann. Nun ist dieses Horn verstummt – aber seine Melodien werden weiterklingen. Feels so good.

24.07.25- Edgard Varèse – Visionär einer neuen Klangwelt

LP Cover - Complete Works Of Edgard
2 LPs - Label: modern silence – OI004

Edgard Varèse war ein musikalischer Revolutionär, ein Avantgardist, dessen Werk die Grenzen seiner Zeit nicht nur sprengte, sondern sie vollkommen neu definierte. Während das frühe 20. Jahrhundert Zeuge beispielloser Umbrüche in Kunst, Literatur und Gesellschaft wurde, erhob Varèse den Klang selbst zum eigentlichen Gegenstand musikalischen Denkens – nicht als Träger von Melodie oder Harmonie, sondern als autonome Formenergie. Klang wurde bei ihm zur Skulptur, Musik zur räumlichen Projektion. Damit öffnete er nicht nur Tore für spätere Komponisten wie Stockhausen, Boulez oder Xenakis, sondern beeinflusste auch Musiker außerhalb der akademischen Welt – allen voran Frank Zappa.

Vom musikalischen Außenseiter zum Vordenker
Geboren 1883 in Frankreich, aufgewachsen zwischen Italien und Paris, musste Varèse früh gegen die Vorstellungen seines Vaters ankämpfen, der ihn auf eine Ingenieurslaufbahn drängen wollte. Doch Varèse wählte die Musik – und zwar nicht irgendeine: Schon in seinen Studienjahren suchte er nach Ausdrucksmöglichkeiten jenseits des etablierten Tonsatzes. Früh beeinflusst von Debussy, Satie, später von Busoni, Strawinsky und Schönberg, entwickelte er eine radikal neue Idee von Komposition: Musik sollte nicht länger auf motivischer Arbeit, auf Formmodellen der Vergangenheit oder auf tonalen Hierarchien beruhen, sondern auf reinen Klängen, organisiert durch Dynamik, Raum und Zeit.

Klangmassen statt Themen
Was bei Strawinsky rhythmisch revolutioniert wurde und bei Schönberg harmonisch, führte Varèse konsequent in eine neue Richtung: Klangmassen. Werke wie Amériques (1921) oder Arcana (1927) bestehen nicht aus klassischen Themen oder Harmonien, sondern aus kontrastierenden Klangblöcken, die sich überlagern, verschieben, gegeneinanderstoßen. In Ionisation (1931), einem reinen Schlagzeugstück, lässt er 13 Perkussionisten aufspielen – darunter Sirenen, Gongs, Glocken und Hupen. Varèse hat dabei nie improvisiert oder chaotisch gearbeitet – seine Musik war durchorganisiert, aber auf einer Ebene, die traditionelle Notenschrift und klassische Analysemodelle oft unterlief.

Die Elektronik als Befreiungsschlag
Varèse träumte schon in den 1920er Jahren von „elektronischen Instrumenten“, die jeden beliebigen Klang erzeugen könnten. In einem seiner berühmtesten Zitate sagte er:

„Ich träume von Instrumenten, deren Klang durch Knopfdruck hervorgerufen wird. Ich bin ein Musiker, der Instrumente verlangt, die es noch nicht gibt.“
Mit Déserts (1954) und dem bahnbrechenden Poème électronique (1958) verwirklichte er schließlich diesen Traum. Letzteres entstand in Zusammenarbeit mit dem Architekten Le Corbusier und wurde in einem eigens entworfenen Pavillon auf der Weltausstellung in Brüssel über 425 Lautsprecher abgespielt – eine akustisch-visuelle Rauminstallation avant la lettre. Mehr als zwei Millionen Menschen hörten dieses Werk – oft ohne zu wissen, dass sie Zeugen eines radikalen Umbruchs wurden.

Zappa, Boulez, Cage: Das Erbe Varèses
Edgard Varèse war ein Komponist, den die Jugend neu entdeckte. In den 1960er Jahren – zur Zeit der Darmstädter Avantgarde, aber auch zur Blütezeit der psychedelischen Rockmusik – wurde Varèse zu einer Kultfigur.
Frank Zappa, damals noch Schüler, las ein Interview mit ihm in der Zeitschrift LOOK und war elektrisiert: „Ich wusste sofort: Das ist mein Mann.“ Er kaufte sich The Complete Works of Edgard Varèse, Vol. 1 – seine allererste Schallplatte. Zappa blieb dem Vorbild treu, nannte eines seiner Kinder „Dweezil Edgard“, ließ sich in seinen Collagen, Soundexperimente und orchestralen Werken wie The Yellow Shark hörbar inspirieren und schrieb später:

„Varèse war der Vater der modernen Musik – und mein spiritueller Vater.“
Auch Karlheinz Stockhausen, John Cage, Pierre Boulez und Luigi Nono verdankten Varèse ihre Vorstellung von Musik als offener Raum, als Projektionsfeld von Klangideen jenseits des Notensystems. Cage lernte durch Varèse, dass jedes Geräusch Musik sein kann, Boulez übernahm die Idee strukturierter Klangfelder.

Der kompromisslose Außenseiter
Varèse blieb zeitlebens ein Einzelgänger – ohne feste Schule, ohne „Anhänger“, ohne institutionelle Karriere. Er weigerte sich, seine Musik zu erklären oder gar zu rechtfertigen. Seine Ablehnung gegenüber dem Musikbetrieb war ebenso radikal wie seine Musik: Förderinstitutionen, Dirigenten, Verlage – sie alle verstanden ihn oft nicht oder weigerten sich, seine Werke aufzuführen. Zeitweise galt er als verschollen, seine Werke wurden kaum gespielt. Erst in der Nachkriegszeit – vor allem durch die Elektronik und das zunehmende Interesse an Raumklang und Kollektivimprovisation – wurde er rehabilitiert.
Heute gilt Varèse als ein Pionier: Er war weder ein reiner Komponist der Avantgarde noch ein reiner Klangforscher – sondern ein visionärer Künstler, der Musik als Medium einer zukünftigen Gesellschaft verstand.

Fazit
Edgard Varèse sprengte nicht nur die Grenzen des Tonsatzes, sondern auch die der Wahrnehmung. Seine Musik ist nicht zur Kontemplation gedacht, sondern zur Konfrontation – sie will herausfordern, erschüttern, transformieren.
Er sah Musik als „organisierte Klangenergie“ – ein Konzept, das weit über den Konzertsaal hinausweist. Damit hat er nicht nur Komponisten, sondern auch Rockmusiker, Klangkünstler, Architekten und Medienkünstler beeinflusst. In einer Zeit, in der die elektronische Musik zum Massenphänomen wurde, bleibt Varèse der Prophet, der die Zukunft hörbar machte – lange bevor sie kam.

23.07.25- Bill Bruford – Der Intellektuelle unter den Schlagzeugern

Steven Rieder
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William Scott „Bill“ Bruford war nie einfach nur ein Schlagzeuger – er war stets ein Klangforscher, ein Vordenker, ein Abenteurer des Rhythmus. In einer Welt der musikalischen Routinen prägte er mit komplexen Polyrhythmen, elektronischen Innovationen und stilübergreifendem Spiel das Gesicht des Progressive Rock und des modernen Jazz entscheidend mit. Von Yes über King Crimson bis zu seiner eigenen Fusion-Band Bruford hinterließ er ein Werk, das bis heute als Blaupause für musikalische Eigenständigkeit und Integrität gilt.
Bruford wurde 1949 in Sevenoaks, Kent geboren, entdeckte früh seine Liebe zum Jazz und fand schon als Teenager einen Zugang zu Schlagzeugstilen, die weit über den Standard der Popmusik hinausgingen. Mit der Gründung von Yes stieg er in eine Szene ein, die nach Neuem suchte – und genau das lieferte er: jazzig-akzentuiertes, präzises Spiel in einer Pop-Welt, die sich gerade erst mit komplexeren Songstrukturen anfreundete.
Sein Ausstieg bei Yes 1972 – auf dem Höhepunkt des Erfolgs – war ein programmatischer Bruch. Bruford strebte nach Freiheit, nach weniger Perfektionismus und mehr Kreativität. Bei Robert Fripps King Crimson fand er genau das: Ein Feld der Improvisation, der Reibung, der musikalischen Extreme. Die Alben Larks' Tongues in Aspic, Starless and Bible Black und Red gehören heute zu den kühnsten Werken des Progressive Rock. Brufords Spiel war hier nicht mehr bloß Begleitung – es war narrative Kraft, strukturgebend, mit rhythmischer Sprache, die sich vom Taktmaß befreite.

Bruford – Fusion auf höchstem Niveau
1977 schlug Bruford ein neues Kapitel auf: Mit Bruford, seiner ersten Soloband, vereinte er einige der besten Musiker der damaligen Jazz- und Rockszene. Neben Keyboarder Dave Stewart (Hatfield and the North) holte er sich vor allem den brillanten E-Bassisten Jeff Berlin, dessen virtuoses, melodiöses Bassspiel zu einem zentralen Element des Bandklangs wurde. Gitarrist Allan Holdsworth komplettierte das Line-Up – eine Fusion-Band, die mit Feels Good to Me (1977) sofort Maßstäbe setzte.
Feels Good to Me war kein typisches Jazzrock-Album: Brufords Musik war durchkomponiert, elegant und weit entfernt vom reinen Kraftspiel vieler Fusion-Kollegen. Besonders Annette Peacocks Gesang auf einigen Tracks gab dem Werk eine avantgardistische Note. One of a Kind (1978) verzichtete gänzlich auf Gesang und rückte Berlin und Stewart noch stärker in den Vordergrund. Berlin beeindruckte durch melodisches Kontra-Spiel, blitzschnelle Läufe und eine absolute rhythmische Sicherheit, die sich perfekt mit Brufords Spiel verband. Hier entstand eine fast kammermusikalische Art des Fusion-Spiels, die auch nach Jahrzehnten nichts an Frische verloren hat.
Mit The Bruford Tapes (1979) wurde ein Livemitschnitt veröffentlicht, der das immense technische Niveau der Band unter Beweis stellte. Gradually Going Tornado (1980), das letzte Album der Formation, ließ Berlin auch als Sänger hervortreten. Die Stücke wurden rockiger, ohne die Komplexität aufzugeben. Doch Probleme mit dem Label E.G. machten der Band ein Ende. Dennoch gilt die Bruford-Phase mit Jeff Berlin heute als ein Meilenstein anspruchsvoller Fusion-Musik – oft unter dem Radar der Mainstream-Wahrnehmung, aber von Musikern weltweit geschätzt.

Jazz, Earthworks und die Suche nach Freiheit
Brufords musikalischer Weg führte ihn danach in immer freiere Gefilde: Mit dem Projekt Earthworks, das er ab 1986 leitete, verband er akustischen Jazz mit neuen technischen Mitteln. Elektronische Drums, Live-Sampling, komplexe Improvisationen und junge Talente wie Django Bates oder Iain Ballamy machten Earthworks zu einem vitalen Laboratorium für modernen europäischen Jazz.
Auch seine Duo-Arbeiten mit Patrick Moraz und später Michiel Borstlap, sein Engagement für Education, seine Gründung der Labels Winterfold und Summerfold – sie alle zeugen von einem Musiker, der Musik nie als Karriere, sondern als Lebensweg verstand. Der Rückzug vom Konzertbetrieb im Jahr 2009 bedeutete nicht den Abschied von der Musik, sondern vielmehr eine Transformation hin zum reflektierenden Autor ("Bill Bruford: The Autobiography") und Kurator seiner eigenen Geschichte.
Im Jahr 2024 kam es überraschend zu einem kleinen musikalischen Comeback: Bruford schloss sich dem Pete Roth Trio an und spielte mit der Band einige Jazzkonzerte in England – ein leises, aber bedeutungsvolles Zeichen dafür, dass Leidenschaft für Musik kein Verfallsdatum kennt.

Fazit
Bill Bruford ist einer jener seltenen Musiker, die nie das Bekannte wiederholen wollten. Ob mit Yes, King Crimson, UK oder seiner eigenen Band Bruford – stets suchte er neue Ausdrucksformen, neue Kombinationen, neue Herausforderungen. Seine Alben mit Jeff Berlin markieren dabei eine besondere Phase seines Schaffens: Sie stehen für musikalische Intelligenz, Virtuosität und die Fähigkeit, Struktur und Emotion in Einklang zu bringen. Brufords Karriere ist ein Manifest für die Freiheit in der Musik – eine Freiheit, die nicht im Chaos, sondern in der Kontrolle über das Chaos liegt.

22.07.25- Ozzy Osbourne ist tot – Der "Godfather of Metal" geht, doch seine Stimme bleibt

Die Musikwelt steht still: Ozzy Osbourne ist im Alter von 76 Jahren gestorben. Der britische Sänger, der über fünf Jahrzehnte hinweg mit seiner unverkennbaren Stimme, exzentrischen Bühnenauftritten und unbändiger Energie die Rock- und Metalwelt prägte, starb am Dienstag im Kreise seiner Familie. Die Nachricht kam nicht überraschend – und trifft dennoch wie ein Donnerschlag.
Osbourne, der als Frontmann von Black Sabbath einst ein ganzes Genre definierte, war mehr als nur ein Musiker: Er war eine Ikone, ein Getriebener, ein Überlebender. Vom düsteren Riff-Donner von „Paranoid“ bis zu Solo-Hits wie „Crazy Train“ oder „No More Tears“ – Osbournes Musik war stets laut, kompromisslos und voller Schmerz und Wucht. Mit Black Sabbath wurde er zum Begründer des Heavy Metal, solo wurde er zur Legende.
In den letzten Jahren war es jedoch stiller geworden um den einst so rastlosen Rockstar. Gesundheitliche Probleme zwangen ihn mehrfach zum Rückzug. Bereits 2020 gab er öffentlich bekannt, an Parkinson zu leiden – ein Schritt, der für einen Mann wie ihn alles andere als selbstverständlich war. Doch Ozzy war nie jemand, der sich versteckte. „Ich lag für verdammte sechs Jahre flach“, sagte er bewegend bei seinem letzten Auftritt am 5. Juli 2025 in Birmingham. Inmitten eines riesigen Benefizkonzerts mit Metallica, Guns N' Roses und anderen Größen verabschiedete sich Osbourne von der Bühne – sitzend, aber mit ungebrochener Würde.
Seine Ehefrau Sharon Osbourne und seine Kinder gaben bekannt, dass er friedlich starb, „von Liebe umgeben“. Details zu den Umständen bleiben privat – doch es war bekannt, dass Ozzy sich lange mit dem Tod auseinandersetzte. Bereits vor Jahren erklärte er, er wolle nicht zum Pflegefall werden. In einem Interview sagte er: „Ich habe Glück, noch am Leben zu sein, und dessen bin ich mir bewusst.“
Dieser Satz wirkt nun wie ein Vermächtnis. Denn Osbourne hat das Schicksal oft genug herausgefordert: jahrzehntelange Sucht, Stürze, lebensbedrohliche Infektionen, Operationen. 2019 verschlimmerte ein Unfall alte Verletzungen aus einem Quad-Sturz. Fortan konnte er kaum noch laufen. Doch aufgeben? Kam für ihn nicht infrage. Selbst einen Rückfall beim Alkohol machte er öffentlich – und kämpfte sich zurück.
Sein Leben war Chaos, Triumph und Tragödie zugleich. Die Ehe mit Sharon war turbulent, seine Affären oft öffentlich, die Eskapaden legendär – und doch blieb sie an seiner Seite. Seit 1982.
Ozzy Osbourne war nie einfach nur ein Rockstar. Er war das Symbol einer Generation, die nicht perfekt sein wollte. Die Musik war für ihn Überlebensstrategie, Waffe und Zuflucht. Und sie bleibt. Mit seinem Tod verliert die Welt nicht nur einen der einflussreichsten Musiker der Rockgeschichte – sondern auch einen Menschen, der nie aufhörte, zu kämpfen.

„Mama, I’m Coming Home“ – jetzt endgültig.

21.07.25- Zum Tod von Sir Roger Norrington – Der Revolutionär der Klangrede

LP: Die Zeit Klassik-Edition – 08
CD ‎– 074759 (Privat)

Er hat das Zürcher Kammerorchester geprägt und die Interpretation von klassischer Musik grundlegend verändert. Nun ist der britische Dirigent Sir Roger Norrington im Alter von 90 Jahren gestorben. Die Musikwelt verliert mit ihm einen kompromisslosen Visionär, der mit seiner radikalen Haltung zur historischen Aufführungspraxis neue Maßstäbe setzte – und dabei nicht selten provozierte.
Norrington war kein Dirigent, der sich mit dem Gewohnten zufriedengab. Statt Pathos suchte er nach Klarheit, statt romantisierender Wucht nach historischer Wahrheit. Seine Aufführungen waren durchdrungen vom Prinzip der „Klangrede“ – ein Begriff, den er von Nikolaus Harnoncourt übernahm und weiterentwickelte. Musik, so Norringtons Überzeugung, solle sprechen, artikulieren, erzählen. Vibrato, meinte er, sei ein Gewohnheitsfehler des 20. Jahrhunderts – und verbannte es weitgehend aus seinen Orchestern.
Berühmt wurde Norrington zunächst mit der Gründung der London Classical Players, die mit Originalinstrumenten spielten und große Werke der Klassik und Romantik mit neuem, transparentem Klangbild präsentierten. Später leitete er das Radio-Sinfonieorchester Stuttgart und das Zürcher Kammerorchester, dem er zwischen 2011 und 2016 ein unverkennbares Profil gab. Unter seiner Leitung klang Mozart wie aufpoliert, Beethoven scharf konturiert, Mendelssohn hell und tänzerisch. Immer wieder forderte er das Publikum heraus, alte Hörgewohnheiten zu überdenken.
Sein Einfluss reicht weit über seine eigenen Konzerte hinaus. Norrington hat die Diskussion um Authentizität in der Musik entscheidend befeuert – nicht als Dogma, sondern als Möglichkeit, Werke neu zu begreifen. Dabei blieb er stets ein leidenschaftlicher Musikvermittler, ein Humanist mit britischem Humor, der selbst über seine Gegner lächelnd den Taktstock hob.
Mit dem Tod von Sir Roger Norrington verliert die Musik keinen bloßen Dirigenten, sondern eine Haltung. Eine Haltung, die sich nicht mit der Konserve zufrieden gibt, sondern nach der ursprünglichen Energie eines Werkes sucht. Seine Interpretationen mögen nicht jedem gefallen haben – aber sie ließen niemanden gleichgültig. Und das ist vielleicht das Größte, was man einem Künstler nachsagen kann.

20.07.25- Béla Bartók – Klangforscher zwischen Tradition und Moderne

Béla Bartók war vieles: Komponist, Pianist, Musikethnologe, Pädagoge, Humanist – und einer der eigenwilligsten Erneuerer der Musik im 20. Jahrhundert. Seine künstlerische Entwicklung führt von der spätromantischen Tonsprache über eine radikale Auseinandersetzung mit der Volksmusik bis hin zu einer unverkennbar eigenen, modernen Klangsprache, die sich jeder Einordnung entzieht und gerade deshalb so bedeutend wurde.
Geboren 1881 in einer ungarischen Kleinstadt, erhielt Bartók eine klassische Ausbildung an der Königlichen Musikakademie von Budapest, zunächst im Geist des Spätromantischen. Doch der Kompositionsunterricht bei Hans Koessler erschien ihm bald als zu konservativ. Die entscheidende Wende kam mit der Begegnung Zoltán Kodálys um 1905. Kodály führte Bartók an die authentische Volksmusik heran, nicht an die städtische, romantisierte Variante, wie sie etwa Liszt oder Brahms verarbeitet hatten, sondern an die rohe, archaische Musik der bäuerlichen Bevölkerung. Bartók begann, diese Musik systematisch zu sammeln – mit Phonograph und Notenheft, in abgelegenen Dörfern Ungarns, Rumäniens und auf dem Balkan. Diese Feldforschungen veränderten sein musikalisches Denken grundlegend. Die Rhythmen, Tonalitäten und Ausdrucksformen der Volksmusik wurden nicht bloß zitiert, sondern bildeten das Fundament für eine radikale musikalische Erneuerung.
Der junge Bartók war von einem ausgeprägten Nationalgefühl getrieben, das auch ein Protest gegen die kulturelle Dominanz Wiens war. Seine frühe sinfonische Dichtung Kossuth zeugt von patriotischem Überschwang und romantischer Gestik. Doch mit der Zeit trat an die Stelle der nationalen Abgrenzung ein universelles Ideal: Bartók wollte mit seiner Musik die Völker verbinden, nicht trennen. Seine zahlreichen Volksliedbearbeitungen und seine Forschungstätigkeit lassen erkennen, wie eng für ihn musikalische Identität und kulturelle Offenheit zusammengehörten.
Auch als Komponist entwickelte Bartók eine eigenständige Sprache, die auf den Errungenschaften der Volksmusik aufbaute, aber weit über sie hinausging. Modale Skalen wie Dorisch oder Mixolydisch, die Pentatonik, ungerade Taktarten und Bitonalität wurden zu Bausteinen einer neuen, unverwechselbaren Tonsprache. Dabei war Bartók kein Anhänger der Zwölftonmusik, doch er suchte gleichwohl nach Möglichkeiten, die musikalische Formensprache der Romantik zu überwinden, ohne die Tradition preiszugeben. In seinem Werk verbinden sich Struktur und Ausdruck, Konstruktion und Emotion auf besondere Weise. Besonders seine Kammermusik – etwa die sechs Streichquartette – zählt zum Bedeutendsten, was das 20. Jahrhundert hervorgebracht hat.
Die politische Entwicklung Europas zwang Bartók schließlich zur Emigration. Als entschiedener Gegner des Faschismus verließ er 1940 Ungarn und ließ sich mit seiner Frau in den USA nieder. Doch der Neuanfang war schwer: Bartók war krank, unbekannt, mittellos. Er gab Unterricht, forschte über serbische Volkslieder und hielt Vorträge, doch das Komponieren fiel ihm schwer. Die Diagnose Leukämie, die ihm seine Ärzte aus Schonung verschwiegen, begleitete ihn wie ein Schatten.
Dann, 1943, kam der Auftrag, der alles veränderte. Der Dirigent Sergei Kussewizki bat ihn um ein neues Orchesterwerk und bot ihm eine Komponistengage von 1000 Dollar – ein ungewöhnlicher Vertrauensbeweis. Bartók zögerte zunächst, aus Sorge, der Aufgabe gesundheitlich nicht gewachsen zu sein. Doch er nahm an, und in nur drei Monaten entstand das Konzert für Orchester – sein spätes Meisterwerk, das heute zu den meistgespielten Orchesterwerken des 20. Jahrhunderts zählt.
In diesem Werk bündelt sich alles, was Bartóks Musik ausmacht: die Kraft der Rhythmik, die klangliche Farbigkeit, der architektonische Aufbau und die Verbindung von moderner Klangsprache mit volksmusikalischer Wurzel. Es ist ein Stück voller Energie und Kontraste, mit einer orchestralen Virtuosität, die dem Werk seinen Titel rechtfertigt: Nicht ein Solist steht im Zentrum, sondern das gesamte Orchester wird als Solist behandelt – jedes Instrument erhält seine Stimme, seine Farbe, seinen Moment. Besonders der vierte Satz, die Intermezzo interrotto, ist ein sprechendes Beispiel für Bartóks Ironie und seinen feinsinnigen Humor. Hier parodiert er ein bekanntes Thema aus Schostakowitschs Leningrader Sinfonie, das seinerseits eine deutsche Militärweise zitiert – ein versteckter musikalischer Protest gegen Krieg und Gewalt.
Das Konzert für Orchester wurde zu Bartóks Vermächtnis. Es bedeutete eine letzte künstlerische Auflehnung gegen Krankheit, Entfremdung und Exil – eine kompositorische Selbstbehauptung im Angesicht des Todes. Danach folgten nur noch wenige Werke: das dritte Klavierkonzert, das Bratschenkonzert, ein letztes Streichquartett, das unvollendet blieb. Bartók starb am 26. September 1945 in New York. Erst Jahrzehnte später wurden seine sterblichen Überreste nach Budapest überführt, wo ihm ein Staatsbegräbnis zuteilwurde.
Seine Musik aber blieb – als Beweis dafür, dass man mit radikalem Forschergeist, tiefer Menschlichkeit und unbeirrbarer Eigenständigkeit eine Sprache finden kann, die über Nationen, Ideologien und Zeiten hinaus verständlich ist. Béla Bartók hat mit dem Konzert für Orchester nicht nur sein bedeutendstes Spätwerk geschaffen, sondern ein Denkmal für das freie, schöpferische Denken gesetzt – leuchtend bis heute.

19.07.25- Geburt eines Sturms: Die Entstehung des Jazzrock

Ende der 1960er Jahre begann in der Musikwelt ein tektonisches Beben. Der Jazz – lange Zeit als Königsklasse musikalischer Komplexität und Ausdruckskraft verehrt – geriet in Bewegung. Junge Musiker, aufgewachsen mit Rock, Blues, Soul und der neuen Elektronik, begannen, die strengen Grenzen der Tradition infrage zu stellen. Zur gleichen Zeit wurde der Rock experimentierfreudiger und technikaffiner. Aus dieser fruchtbaren Reibung entstand etwas radikal Neues: Jazzrock, auch Fusion genannt – eine Musikrichtung, die ebenso vielschichtig wie explosiv war.
Im Zentrum dieser Bewegung stand ein britischer Gitarrist, dessen Spielweise wie ein Gewitter über die Szene hereinbrach: John McLaughlin. Seine Virtuosität, seine rhythmische Präzision und seine kompromisslose Klanggewalt machten ihn zu einem der prägendsten Köpfe des neuen Genres. Als er 1969 von Miles Davis in die Aufnahmesessions zu Bitches Brew eingeladen wurde, war das mehr als ein Karrieresprung – es war ein symbolischer Moment. Der elektrische Jazz hatte seine Zündschnur gefunden, und McLaughlins Gitarre war das Feuerzeug.
Bitches Brew war der Kulminationspunkt zahlreicher Experimente: verzerrte Gitarren, hypnotische Basslinien, polyrhythmische Schlagzeuggewitter und improvisierte Klangkaskaden brachen mit fast allem, was zuvor als Jazz galt. McLaughlins aggressives Spiel durchdrang die dichten Klangmassen mit einer spirituellen Dringlichkeit, die nicht mehr nach Tradition fragte, sondern nach Grenzüberschreitung verlangte.
Auf dem bahnbrechenden Album Bitches Brew von 1970, das als Meilenstein der Jazzrock-Entstehung gilt, setzte Miles Davis ein besonderes Zeichen: Er widmete seinem Gitarristen ein eigenes Stück mit dem schlichten, aber bedeutungsvollen Titel „John McLaughlin“. Es ist eine kurze, intensive Komposition – roh, kantig, fast skizzenhaft –, die ganz auf die Gitarre zentriert ist.
Mit dieser Geste erkannte Davis nicht nur McLaughlins Einfluss auf den neuen Sound an, sondern ließ auch deutlich werden, wie sehr ihn dessen kompromissloses, elektrifiziertes Spiel faszinierte. McLaughlins Klang war in diesem Stück nicht Beiwerk, sondern Mittelpunkt: kratzend, flirrend, zwischen aggressiver Attacke und meditativem Fluss.
Dass Davis in einem ansonsten von atmosphärischen Großformen bestimmten Album einem Musiker ein eigenes, namentlich betiteltes Stück einräumte, war außergewöhnlich – und ein Zeichen der Anerkennung. In gewisser Weise kann man sagen: „John McLaughlin“ ist nicht nur ein Track auf Bitches Brew, sondern ein klingender Beleg dafür, dass mit McLaughlin eine neue Epoche begonnen hatte.
Doch McLaughlin begnügte sich nicht mit der Rolle des Sideman. 1971 gründete er das Mahavishnu Orchestra, eine Band, die den Jazzrock in bis dahin ungehörte Sphären führte. In dieser Formation verschmolzen östliche Spiritualität, technische Meisterschaft und pure Energie. Alben wie The Inner Mounting Flame und Birds of Fire wurden zu Manifesten einer Musik, die ebenso meditativ wie eruptiv war. Die Gitarre war kein Begleitinstrument mehr – sie wurde zur Waffe, zur Predigt, zur Vision.
Der Jazzrock verbreitete sich schnell. Musiker wie Chick Corea, Herbie Hancock, Joe Zawinul oder Wayne Shorter führten den Weg fort. Doch oft wich die anfängliche Aufbruchsstimmung einer glattpolierten Virtuosität. Die Freiheit wurde zur Formel, die Tiefe zur Show. Der Geist der ersten Jahre – der radikale Wille zur Vermischung und Erneuerung – blieb jedoch ein Vermächtnis.
Inmitten all dessen war es John McLaughlin, der wie kein anderer für den Jazzrock als künstlerischen Aufbruch stand. Seine Musik war nie bequem, nie kalkuliert. Sie war Ausdruck eines Drangs, über die Grenzen hinauszuspielen – jenseits von Jazz und Rock, hin zu einer Musik, die vor allem eines wollte: wahrhaftig sein.

18.07.25- Connie Francis: Ein Leben zwischen Ruhm, Schmerz und der Kälte des Musikbusiness

LP Cover: More Greatest Hits (MGM ‎– E3942)
Compilation - 2 LPs - 1961 (Privat)

Connie Francis ist tot. Die Sängerin, die in den 1950er- und 60er-Jahren die Hitparaden dominierte und mit Liedern wie „Die Liebe ist ein seltsames Spiel“ auch in Deutschland unvergessen blieb, starb im Alter von 87 Jahren. Noch vor wenigen Monaten erlebte sie ein absurdes Spät-Revival, als ihr 1962er-Titel „Pretty Little Baby“ auf TikTok zum viralen Soundtrack zahlloser Kurzvideos wurde – millionenfach geteilt, neu geschnitten, ironisiert und romantisiert. Dass diese digitale Renaissance mehr mit Algorithmen als mit echter Anerkennung zu tun hatte, ist sinnbildlich für den Umgang der heutigen Musikindustrie mit ihren Ikonen: Man nutzt, was Klicks bringt, aber man erinnert nicht.
Francis war eine der ersten global erfolgreichen Popsängerinnen. Sie sang in 15 Sprachen, landete internationale Charterfolge und wurde von Plattenfirmen als „amerikanischer Exportartikel“ inszeniert. In Deutschland wurden ihre Schlager zu Evergreens, und ihre Zusammenarbeit mit Künstlern wie Peter Kraus sorgte für breiten Zuspruch. Doch der Weg dorthin war alles andere als glatt: Ihre Karriere stand mehrfach kurz vor dem Aus. Nur ein letzter Versuch mit „Who’s Sorry Now?“ – von ihrem Vater gedrängt – katapultierte sie Ende der 1950er doch noch an die Spitze. Ironischerweise war ausgerechnet dieses Lied, gedacht als Abschied, der Beginn ihres kometenhaften Aufstiegs.
Doch wo Erfolg ist, ist die Musikindustrie nicht weit – oft mit all ihrer Gnadenlosigkeit. Die Plattenbosse, die Connie Francis einst umschmeichelten, waren dieselben, die sie fallen ließen, als sie nicht mehr ins Format passte. Als sie psychisch krank wurde, ihre Stimme durch eine missglückte Operation verlor und ihre Popularität abnahm, war da kein Label mehr, das sich verantwortlich fühlte. Stattdessen wurde sie zum Boulevardthema – ihre Schicksalsschläge als Skandale verkauft, nicht als menschliches Drama verstanden.
1974 wurde sie Opfer einer brutalen Vergewaltigung in einem Motel. Was für viele das Ende bedeutet hätte, war für Francis der Beginn eines langen, mühevollen Kampfes zurück ins Leben. Ihre Stimme, ihre Karriere, ihr Bruder – alles wurde ihr nach und nach genommen. 1984 überlebte sie einen Selbstmordversuch. Und doch: Sie schrieb eine Autobiografie, engagierte sich politisch für Opfer sexueller Gewalt, arbeitete in einer US-Taskforce gegen Gewaltverbrechen. Während viele ihrer Kollegen von Nostalgie-Shows lebten, setzte sie ihre Stimme für andere ein.
Die Musikbranche aber hatte längst andere Interessen. Statt Künstlerbiografien zu würdigen, giert sie nach verwertbarem Content. Dass TikTok ausgerechnet einen Song von Connie Francis wieder ins Licht rückte, mag wie Gerechtigkeit wirken, ist in Wahrheit aber nur ein weiteres Beispiel für das ahnungslose Recycling alter Musikbestände. Niemand fragt, wer die Frau war, die „Pretty Little Baby“ einst mit Seele sang. Wichtig ist nur, dass der Song gut zum Filter passt, zum Mood der Woche, zur digitalen Inszenierung.
Connie Francis stand für mehr als nur Lieder. Sie war ein Symbol für Durchhaltevermögen, für weibliche Selbstbehauptung in einer männerdominierten Branche, für den Preis des Ruhms. Ihr Tod ist nicht nur ein Verlust für die Musik, sondern auch ein Mahnmal: für eine Industrie, die immer schneller vergisst. Die Künstlerinnen und Künstler nur dann liebt, wenn sie liefern – nicht, wenn sie kämpfen.
Wenn wir aus dem Leben von Connie Francis etwas lernen können, dann dies: Dass Musik mehr ist als ein viraler Sound. Dass hinter jeder Stimme eine Geschichte steckt. Und dass der wahre Wert eines Songs nicht in Klicks liegt, sondern in dem, was er im Leben eines Menschen bedeutet – auf der Bühne wie im Stillen.

17.07.25- Mélanie Bonis – Komponieren gegen alle Widerstände

Mellymelbo
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In einer Welt, in der die Musik heute oft durch Algorithmen, Likes und Trends bestimmt wird, lohnt sich ein Blick zurück auf eine Frau, die all das nicht hatte – und dennoch komponierte. Mélanie Bonis wurde 1858 in Paris in eine kleinbürgerliche Familie hineingeboren, ohne Rückhalt, ohne Förderung, aber mit einem großen musikalischen Talent. Ihre Eltern, einfache Leute, hielten wenig von einer künstlerischen Karriere, doch durch die Vermittlung von César Franck durfte Mélanie schließlich vorspielen – und wurde am Pariser Conservatoire aufgenommen. Dort lernte sie mit Kommilitonen wie Claude Debussy und Ernest Chausson, zeigte schnell herausragende Leistungen in Harmonielehre und Klavierbegleitung und wurde in die Kompositionsklasse aufgenommen. Doch ihre Ausbildung wurde jäh beendet, als sie einem Heiratsantrag folgte, der den Eltern missfiel: Man nahm sie kurzerhand vom Konservatorium. Das Komponieren wurde damit zur heimlichen Tätigkeit – eine Nebensache im Schatten von Pflicht und Konvention.
Verheiratet mit einem viel älteren Industriellen, Mutter und Stiefmutter mehrerer Kinder, lebte Bonis das Leben, das man von ihr erwartete. Doch in ihren stillen Stunden schrieb sie weiter Musik. Lieder, Klavierstücke, Kammermusik. Ihre Werke trugen oft das geschlechtsneutrale Kürzel „M. Bonis“, denn es war undenkbar, dass eine Frau sich öffentlich als Komponistin zu erkennen gab. Ihre erste große öffentliche Anerkennung erhielt sie 1891, als sie unter diesem Pseudonym einen Kompositionswettbewerb gewann – die Jury war begeistert vom Walzer Les Gitanos, glaubte aber zunächst, er sei von einem Mann. Das war typisch für Bonis’ Leben: Sie wurde bewundert – solange man nicht wusste, dass eine Frau hinter der Musik stand.
Was Mélanie Bonis heute so relevant macht, ist nicht nur ihr künstlerisches Können, sondern ihr unbeirrbares Schaffen trotz aller gesellschaftlichen Hürden. Sie schrieb Musik nicht für den Ruhm, sondern weil sie musste. Ihre Stücke sind keine Show, keine Pose – sie sind Ausdruck eines Lebens, das nach innen ging. In ihren Werken spiegeln sich verborgene Dramen, innere Konflikte, stille Sehnsüchte. Figuren wie Mélisande, Ophelia oder Desdemona, die sie in Tondichtungen verarbeitete, stehen für das, was auch sie selbst war: eine Frau voller Gefühl und Geist, die nie ganz gesehen wurde.
Während der Erste Weltkrieg ihre Familie erschütterte, schrieb Bonis weiter. Ihre Tochter Madeleine, aus einer heimlichen Beziehung zu ihrem einstigen Studienfreund Hettich geboren, wuchs bei Pflegeeltern auf. Bonis blieb mit ihr in Kontakt, immer unter dem Deckmantel der Anständigkeit – eine Tragödie, die ihre Musik nur noch intensiver machte. Als 1905 ihr erstes Klavierquartett aufgeführt wurde, saß Camille Saint-Saëns im Publikum. Er war so beeindruckt, dass er sagte, er hätte nie gedacht, dass eine Frau so etwas schreiben könne. Auch das: Lob, das von einem tiefen Vorurteil zeugt.
Was wir heute aus Bonis’ Leben lernen können, ist weit mehr als ein Stück Musikgeschichte. Sie zeigt, was es heißt, sich selbst treu zu bleiben – gegen alle Widerstände. Junge Menschen, die heute komponieren wollen, sollten sich von Bonis inspirieren lassen: Nicht warten, bis es erlaubt ist. Nicht schweigen, nur weil niemand fragt. Sondern schreiben, weil es in einem brennt. Mélanie Bonis hat es getan. Leise. Konsequent. Und kraftvoll.
In einer Zeit, in der KI endlose Musikmassen produziert, in der Plattformen unsere Hörgewohnheiten prägen, ist es Zeit, wieder menschlich zu komponieren. Persönlich, unbequem, echt. Genau das tat Bonis. Sie komponierte nicht, um zu gefallen, sondern um etwas Wahres auszudrücken. Wer heute eigene Musik schreibt, steht in dieser Tradition – ob bewusst oder nicht.

Mélanie Bonis ist keine Figur der Vergangenheit. Sie ist eine Stimme, die noch immer flüstert: Schreib. Trotz allem. Schreib!

16.07.25- Schluss mit dem musikalischen Recycling – Für eine neue, echte Musiklandschaft

In einer Welt, in der die musikalische Kreativität zunehmend im Kreis läuft, ist es höchste Zeit für einen Aufschrei. Was wir tagtäglich auf den einschlägigen Plattformen wie YouTube, Spotify, Apple Music, Instagram oder TikTok serviert bekommen, ist zum Großteil musikalischer Einheitsbrei. Alte Songs, neu eingespielt. Arrangements über Arrangements. Remix über Cover über Remake. Und das alles hübsch glattgebügelt – "Old Wine in New Bottles", wie es so treffend heißt. Oder besser gesagt: abgestandener Wein in Plastikverpackung.
Was ist aus der Idee geworden, dass Musik Ausdruck des eigenen Innersten ist? Dass sie Grenzen sprengen, Neues wagen, uns fordern und inspirieren soll? Stattdessen erleben wir die totale Rückbesinnung auf das Bekannte – sei es aus Bequemlichkeit, aus Angst vor Misserfolg oder schlicht aus Faulheit. Aber viel schlimmer: Die sogenannte "Musikproduktion" wird zunehmend von künstlicher Intelligenz übernommen. KI generiert heute Melodien, Texte, Stile – oft auf Knopfdruck. Und damit entstehen tausende Tracks, die klingen wie irgendwas von früher, aber nicht sind.
Diese Flut an generischem Klangmüll überschwemmt die Kanäle. Dabei ist sie meist nicht mehr als ein seelenloses Zitat, ein Diebstahl an echter musikalischer Idee. KI-gefüttert mit alten Klassikern und algorithmisch glattgezogen, produziert sie "neue" Musik, die im Kern nicht neu ist, sondern nur kalkuliert – für Klicks, für Likes, für Aufmerksamkeit. Aber nicht für Menschen mit Herz, Ohr und Hirn.
Musikerinnen und Musiker: Hört auf, euch damit zufrieden zu geben, nur die Stimmen der Vergangenheit zu sein! Die Welt braucht eure Musik. Nicht die hundertste Bach-Bearbeitung, nicht das tausendste "Jazz-Arrangement" eines Popsongs, nicht den Loop aus alten Samples mit "Vintage Vibe". Sondern das, was ihr zu sagen habt. Euren Klang. Eure Komposition.
Es braucht ein Portal – nein, ein Gegenportal – ein Ort, an dem ausschließlich neue, originäre Musik veröffentlicht wird. Keine Cover, keine Arrangements, keine algorithmisch erzeugten Lieder, keine Soundalike-Betrügereien. Eine Plattform, die Kreativität belohnt, nicht Wiederholung. Die Mut fördert, nicht Anpassung. Die denen Raum gibt, die noch wirklich komponieren, statt zu verwalten, was andere längst gesagt haben.
Denn wer heute wirklich noch etwas zu sagen hat in Musik, hat es schwer, gehört zu werden. Zwischen Milliarden von Datenbank-Sounds, generierten Harmonien und nostalgischem Rückwärtsgewand stapeln sich die Ideen, die tatsächlich neu sind – ungehört, ungesehen, unbewertet. Das ist nicht nur tragisch. Es ist eine Kulturkrise.
Wer Musik liebt, muss aufstehen. Wer Musik macht, muss etwas Eigenes wagen. Und wer Plattformen nutzt, sollte sich fragen: Möchte ich wirklich Teil dieser akustischen Dauerschleife sein, die sich längst vom kreativen Impuls abgewendet hat?
Es ist Zeit für eine neue Bewegung. Eine Musiklandschaft ohne Filterblasen, ohne Playbackkultur, ohne KI-generierten Müll. Es ist Zeit, dass Komposition wieder Komposition ist – nicht Wiederaufbereitung. Nicht Simulation. Nicht Täuschung.
Genug vom geklauten Scheißdreck. Es ist Zeit für das Echte. Das Neue. Das Wichtige. Von uns. Für uns. Jetzt.

15.07.25- Aranjuez Strings – Die spanische Gitarrensaite

www.aranjuezstrings.com
The Spanish Guitar String

Die Geschichte von Aranjuez Strings beginnt mit einer einfachen, aber bedeutungsvollen Idee: Gitarrist:innen verdienen Saiten, die den wahren Klang ihrer Gitarre zum Vorschein bringen. 1968 machte sich der spanische Gitarrenbauer Juan Orozco daran, genau solche Saiten zu entwickeln – mit einem klanglichen und haptischen Anspruch, der dem Charakter seiner Instrumente gerecht werden sollte. Heute bietet Aranjuez eine Auswahl an Saitensätzen, die über Jahrzehnte hinweg perfektioniert wurden und den Klang einer jeden Konzertgitarre auf eindrucksvolle Weise zur Geltung bringen.

Die Anfänge – ein Spanier in New York
Juan Orozco wurde 1937 in Spanien geboren und war bereits in dritter Generation Gitarrenbauer. In den 1970er-Jahren war er maßgeblich an der Entwicklung von Konzertgitarren beteiligt – insbesondere in Zusammenarbeit mit führenden japanischen Meistern wie Matsuoka, Tamura und Yairi, die später für Marken wie Tama, Ibanez und Aria fertigten. 1965 zog Orozco nach New York und eröffnete dort einen Gitarrenladen, der schnell zu einer der renommiertesten Adressen für Konzertgitarren wurde. Das Geschäft in der 56th Street – direkt gegenüber der Carnegie Hall – wurde in den 70er- bis 90er-Jahren zu einem Treffpunkt für Musiker:innen aus aller Welt.

Der Klang der spanischen Seele
Ausgehend von der tief verwurzelten Tradition des spanischen Gitarrenbaus entwickelte Orozco eine eigene Saitenlinie. Sein Ziel war es, den „wahren spanischen Klang“ einzufangen – warm, klar und ausdrucksstark. Im Austausch mit namhaften Gitarristen wie Narciso Yepes, Carlos Montoya und den Brüdern Romero entwickelte er Saiten, die sich durch eine feine Balance aus Spannung, Ansprache und Klangfarbe auszeichnen. Diese Zusammenarbeit verlieh den Aranjuez Strings nicht nur musikalische Tiefe, sondern auch eine kulturelle Authentizität, die sie bis heute von anderen Saitenherstellern unterscheidet.

Ein Erbe, das weiterklingt
Auch nach dem Tod von Juan Orozco bleibt seine Vision lebendig. Aranjuez Strings richtet sich heute an Spieler:innen aller Niveaus – vom Anfänger bis zum Profi –, ohne dabei Kompromisse bei Klang und Qualität einzugehen. Produziert werden die Saiten bis heute nach den Originalrezepturen Orozcos von den erfahrenen Saitenmachern bei Augustine Strings, einem der traditionsreichsten Hersteller in diesem Bereich.
In einer Zeit, in der digitale Präzision und Massenproduktion dominieren, stehen Aranjuez Strings für etwas anderes: für das Streben nach Ausdruck, Authentizität und einem unverwechselbaren, spanischen Klangideal – eingefangen in jeder einzelnen Saite.

14.07.25- Die Marseillaise – Geschichte, Mythos und musikalische Spurensuche einer Revolution

Wenn am Marktplatz von Cham täglich um 12:05 Uhr das Glockenspiel die „Marseillaise“ erklingen lässt, ist dies nicht nur ein Gruß an Frankreichs berühmteste Hymne, sondern auch eine stille Erinnerung an den Marschall Nikolaus Graf Luckner – gebürtig aus der Oberpfalz und einst oberster Befehlshaber der Rheinarmee. Denn genau für diese Armee wurde das „Chant de guerre pour l’armée du Rhin“ – so der ursprüngliche Titel – in der Nacht auf den 26. April 1792 im elsässischen Straßburg komponiert, angeblich vom französischen Offizier Claude Joseph Rouget de Lisle. Innerhalb weniger Monate wurde das Lied, getragen von revolutionärem Pathos, zur Hymne des aufbegehrenden Frankreich – unter neuem Namen: „La Marseillaise“.
Doch wie eindeutig ist die Urheberschaft? Schon gegen Ende des 18. Jahrhunderts regte sich Zweifel: War Rouget de Lisle tatsächlich der Komponist, oder bediente er sich einer bereits existierenden Melodie? Mitte des 19. Jahrhunderts und erneut 1915 tauchten Artikel auf, die die Melodie einem deutschen Organisten namens Holtzmann aus Meersburg zuschrieben. Trotz intensiver Nachforschungen gilt diese These spätestens seit den 1920er Jahren als widerlegt – wenngleich sie bis heute in nationalistisch oder polemisch gefärbten Kontexten auftaucht.
Neue musikalische Indizien liefern jedoch interessante Perspektiven. So präsentierte der italienische Violinist Guido Rimonda 2013 ein bisher unbekanntes Tema con Variazioni in C-Dur für Violine und Orchester von Giovanni Battista Viotti. Das Thema entspricht auffallend genau der Melodie der Marseillaise. Sollte das handschriftliche Manuskript tatsächlich aus dem Jahr 1781 stammen, wäre Viotti – der zwischen 1782 und 1792 in Paris lebte – der eigentliche Komponist.
Weitere mögliche Urheber werden genannt: Jean-Baptiste Lucien Grisons, Kapellmeister in Saint-Omer, verwendete 1787 in seinem Oratorium Esther eine Arie, deren Einleitung frappierende Ähnlichkeiten mit der späteren Nationalhymne aufweist. Auch Jean-Frédéric Edelmann, ein elsässischer Komponist, der zur Entstehungszeit der Marseillaise in Straßburg wirkte, gilt als möglicher Urheber. Selbst Luigi Boccherinis Flötenquintett in C-Dur (1773) und Mozarts Klavierkonzert KV 503 (1786) werden in musikwissenschaftlichen Diskussionen als stilistische oder motivische Vorläufer genannt.
So bleibt die Entstehungsgeschichte der Marseillaise ein faszinierendes Puzzle – zwischen patriotischem Mythos, musikalischem Quellenstudium und nationaler Identitätsbildung. Dass die Marseillaise als musikalisches Symbol der Französischen Revolution weltweit Bekanntheit erlangte, steht außer Frage. Als Soldaten aus Marseille am 30. Juli 1792 singend in Paris einmarschierten – kurz vor dem Sturm auf die Tuilerien – hatte das Lied seinen Namen gefunden.
Bereits 1795 erklärte der Nationalkonvent die Marseillaise zum „Nationalgesang“ Frankreichs. Doch ihr Weg zur permanenten Hymne war steinig. Unter Napoleon wurde sie verboten, da sie mit den Jakobinern assoziiert wurde. Während der Monarchien des 19. Jahrhunderts wurde sie entweder ignoriert oder erneut untersagt, andere Lieder übernahmen temporär den Status einer Nationalhymne – darunter Veillons au salut de l’Empire, La Parisienne, Partant pour la Syrie oder Le Chant des Girondins.
Erst 1879 setzte sich die Marseillaise als dauerhafte Nationalhymne durch – als Ausdruck republikanischer Kontinuität in der Dritten Republik. Selbst unter dem Vichy-Regime während des Zweiten Weltkriegs wurde sie nur geduldet; Maréchal, nous voilà erklang oft an ihrer Stelle.
Trotz aller politischer Umdeutungen bleibt die Marseillaise ein musikalisches Manifest von ungeheurer Wucht – revolutionär, pathetisch, aufrüttelnd. Ihre kraftvolle Melodie mobilisierte nicht nur ein Volk, sondern prägt bis heute das nationale Selbstverständnis Frankreichs. Ob sie ein Plagiat, eine geniale Schöpfung oder ein zufälliger Geniestreich war, ist letztlich zweitrangig – ihre Wirkung ist unbestritten. Und in Cham, dem Geburtsort eines ihrer Widmungsträger, ist sie täglich zu hören – als Glockenspiel gegen das Vergessen.

13.07.25- D’Addario: Vom italienischen Saitenhandwerk zur globalen Marke für Musikerzubehör

Mekkjp from Japan
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D’Addario ist ein amerikanisches Familienunternehmen mit Sitz in Farmingdale auf Long Island, New York, das sich auf Zubehör für Musikinstrumente spezialisiert hat. Die Firma zählt heute zu den weltweit größten Herstellern in diesem Bereich und vertreibt ihre Produkte unter verschiedenen Markennamen, darunter Evans Drumheads, ProMark Drumsticks, Rico Reeds und D’Addario Orchestral. Der Ursprung des Unternehmens reicht weit zurück: Schon im 17. Jahrhundert stellte die Familie D’Addario im italienischen Dorf Salle Saiten aus Tierdärmen her – ein traditionelles Handwerk, das in der Region der Abruzzen weit verbreitet war. Nach einem verheerenden Erdbeben im Jahr 1905 wanderte die Familie in die USA aus und ließ sich in Astoria, Queens, nieder. Dort begann Charles D’Addario mit der Herstellung und dem Verkauf von Darmsaiten, zunächst in seiner Garage. In den Jahren der Weltwirtschaftskrise gründete er schließlich die Firma C. D’Addario & Co.
Im Laufe des 20. Jahrhunderts passte sich das Unternehmen an die Entwicklungen in der Musikindustrie an. Unter der Leitung von John D’Addario Sr. ersetzte man Darmsaiten durch solche aus Stahl und Nylon. Die Verwendung von Nylon, ursprünglich für Zahnbürsten und Haushaltswaren entwickelt, markierte einen bedeutenden Schritt für die klassische Gitarren- und Harfenszene. Später erkannte D’Addario das wachsende Interesse an elektrischer Musik und entwickelte innovative Gitarrensaiten, etwa aus vernickeltem Stahl. Unter dem Namen Darco Music Strings arbeitete die Familie mit bekannten Gitarrenherstellern zusammen, etwa mit C. F. Martin & Company, die das Unternehmen in den späten 1960er-Jahren übernahm.
1973 wagten John D’Addario Jr. und Jim D’Addario den Neustart unter eigenem Namen. Mit nur wenigen Mitarbeitenden begannen sie in einem kleinen Ladengeschäft auf Long Island, die Marke D’Addario aufzubauen. Von Anfang an lag der Fokus auf Qualität, Innovation und der engen Verbindung zur Musikergemeinschaft. Das Unternehmen wuchs rasch und expandierte international. Heute produziert D’Addario den Großteil seiner Produkte in den Vereinigten Staaten, betreibt Büros auf vier Kontinenten und liefert in über 120 Länder. Neben eigenen Produkten stellt das Unternehmen auch Komponenten für andere Instrumentenhersteller her.
Ein wichtiger Bestandteil der Unternehmensphilosophie ist das soziale Engagement. 1979 wurde die D’Addario Foundation ins Leben gerufen, die sich weltweit für musikalische Bildungsprogramme für benachteiligte Kinder einsetzt. Dieses Engagement blieb auch in der Corona-Pandemie bestehen. Als viele Betriebe schließen mussten, entwickelte D’Addario aus dem Mylar-Material der Evans-Schlagzeugfelle innerhalb kürzester Zeit Gesichtsschutzschilde und erhielt dafür staatliche Unterstützung durch das Land New York.
Die Leitung des Unternehmens liegt seit 2020 bei John D’Addario III, der die Tradition der Familie fortführt. Jim D’Addario, Mitgründer und jahrzehntelanger Leiter, konzentriert sich seither auf Innovation und strategische Weiterentwicklung. Trotz seiner Größe ist D’Addario bis heute ein familiengeführtes Unternehmen geblieben, das technische Perfektion, unternehmerisches Gespür und gesellschaftliche Verantwortung miteinander verbindet – und so eine Brücke schlägt zwischen handwerklicher Tradition und moderner Musikwelt.

12.07.25- Die KI-Debatte in der Musikwelt: Zwischen Kreativitätskrise und Kontrollverlust

Die Diskussion um den Einsatz von Künstlicher Intelligenz in der Musikwelt hat eine neue Dringlichkeit erreicht. Was einst als technische Spielerei belächelt wurde, ist heute Produktionsrealität – und ein Problem. Songtexte, Melodien, ganze Arrangements: Algorithmen liefern auf Knopfdruck Ergebnisse, die kaum mehr von menschlicher Arbeit zu unterscheiden sind. Das Tempo, in dem KI sich in kreative Prozesse einschleicht, lässt wenig Raum für Orientierung oder ethische Grenzziehung.
In der Musikbranche wächst der Druck – nicht nur auf Künstler:innen, sondern auf das gesamte kreative Ökosystem. Wer komponiert, textet oder produziert, steht plötzlich in Konkurrenz zu Maschinen, die in Sekunden generieren, was sonst Tage oder Wochen menschlicher Arbeit erfordert. Manche feiern dies als Demokratisierung des Musikschaffens, als Möglichkeit für Menschen ohne musikalische Ausbildung, eigene Songs zu veröffentlichen. Doch diese Euphorie überdeckt eine tiefgreifende Krise: die schleichende Aushöhlung künstlerischer Integrität.
Denn wo bleibt das Eigene, das Unverwechselbare, wenn die Simulation nahezu perfekt ist? Die algorithmische Annäherung an den Stil realer Künstler:innen schafft ein Trugbild von Kreativität – technisch brillant, aber emotional leer. Wenn Plattformen beginnen, KI-generierte Musik systematisch einzuspeisen – ohne klare Kennzeichnung, ohne Tantiemen –, dann steht nicht weniger als die ökonomische Grundlage künstlerischen Schaffens auf dem Spiel.
Besonders besorgniserregend ist die Ununterscheidbarkeit: Wenn ein Lied klingt wie ein Werk einer realen Person, aber vollständig maschinell erzeugt wurde, was unterscheidet dann noch das Echte vom Imitat? Die Frage ist nicht nur ästhetisch, sondern politisch. Originalität wird zur austauschbaren Stilfrage, Kreativität zum Code, und der Künstler zum Risiko im Geschäftsmodell. In einer Branche, die ohnehin unter ökonomischem Druck steht, könnte der Algorithmus zur bevorzugten Arbeitskraft werden – zuverlässig, kostengünstig und ohne Rechte.
Die Debatte ist längst überfällig. Es geht nicht um Fortschrittsverweigerung, sondern um ein Nachdenken über Grenzen, Rechte und Verantwortung in einer Zeit, in der Kreativität zunehmend zur Ware wird – produziert von Maschinen, konsumiert ohne Bewusstsein. Wer schützt das Unperfekte, das Menschliche, das Unvorhersehbare – all das, was Kunst ausmacht? Die Musikwelt steht vor einer Entscheidung, die weit über Technik hinausreicht.

11.07.25- Nachruf: Barry Vercoe – Pionier der Computermusik und MIT-Vordenker

Schwede66
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Der renommierte MIT-Professor im Ruhestand Barry Lloyd Vercoe ist am 15. Juni im Alter von 87 Jahren verstorben. Vercoe gilt als einer der wegweisenden Köpfe der Computermusik, Gründungsmitglied des MIT Media Lab und prägende Kraft bei der Entwicklung der Musik- und Theaterabteilung (Music and Theater Arts) am Massachusetts Institute of Technology.
Sein Lebenswerk war eine einzigartige Verbindung von Kunst, Wissenschaft und technologischer Innovation. Vercoe prägte sowohl die professionelle Musikwelt als auch den Zugang junger Menschen zur Musik auf tiefgreifende Weise – und eröffnete neue Räume des musikalischen Denkens und Erlebens.
Geboren am 24. Juli 1937 in Wellington, Neuseeland, studierte Vercoe Musik und Mathematik an der University of Auckland und schloss beide Studiengänge 1959 bzw. 1962 mit dem Bachelor ab. 1968 promovierte er an der University of Michigan im Fach Komposition. Es folgten Forschungsaufenthalte in digitaler Audiotechnologie an der Princeton University sowie eine Gastdozentur an der Yale University.
1971 trat Vercoe dem MIT bei und wirkte bis 1984 entscheidend an der Transformation des Musikprogramms mit. Aus der damaligen Musikabteilung entwickelte sich unter seiner Mitwirkung das zukunftsorientierte Fachgebiet Music and Theater Arts, das künstlerische Kreativität mit wissenschaftlicher Forschung verknüpfte – ein Ansatz, den Vercoe mit Überzeugung und visionärer Kraft verfolgte.
Bereits 1973 gründete er das Experimental Music Studio (EMS) am MIT – eines der ersten computergestützten Musiklabore weltweit. Unter seiner Leitung wurde das EMS zu einem Zentrum für algorithmische Komposition, digitale Klangsynthese und computergestützte Aufführung. Vercoe schuf damit nicht nur eine neue Plattform für musikalische Innovation, sondern prägte auch die Art und Weise, wie sich am MIT Technik und Kunst begegneten. Bis heute erinnert eine Gedenktafel in der MBTA-Station Kendall Square an diesen Meilenstein.

Marcus Thompson, Bratschist, Mitgründer der MIT Chamber Music Society und Institute Professor, erinnert sich:
„Barry war vor allem ein exzellenter Musiker und Komponist für traditionelle Instrumente und Ensembles. In seinen frühen Lehrjahren brachte er unseren Studierenden bei, Renaissance-Kontrapunkt zu schreiben und zu singen – nicht als nostalgische Übung, sondern als Modell für das Zusammenspiel von Mensch und Maschine. 1976 bat er mich, sein später ikonisches Werk Synapse for Viola and Computer uraufzuführen – ein Stück, das ich seitdem am häufigsten gespielt habe.“
Mit Barry Vercoe verliert die Musikwelt einen Forscher, Musiker und Denker, der Grenzen überschritt und Musik als lebendigen Dialog zwischen Mensch, Maschine und Vision verstand. Sein Erbe wirkt weiter – nicht nur in den Labors und Konzertsälen, sondern in der Vorstellung davon, was Musik sein kann.

10.07.25- Goldene Rillen: Warum einige Vinyl-LPs ein Vermögen kosten – und was das über den Musikmarkt sagt

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Vinylplatten sind längst mehr als nur ein nostalgisches Format für Musikliebhaber. In den letzten Jahren hat sich rund um das schwarze Gold ein rasanter Sammlermarkt entwickelt, in dem einzelne LPs Preise im fünf- oder gar sechsstelligen Bereich erzielen. Dabei geht es längst nicht mehr nur um Klangqualität oder musikalische Bedeutung – sondern um Seltenheit, Zustand, Geschichte und Status. Die teuersten Vinylplatten der Welt erzählen somit weniger über Musik als über einen Markt, der sich zunehmend von der eigentlichen Kunst entfernt.
Ganz vorne in der Liste der teuersten Schallplatten steht eine Ausgabe des „White Album“ der Beatles mit der Seriennummer 0000001. Diese Platte, einst im Besitz von Ringo Starr, wurde für fast 800.000 Dollar versteigert. Auch Elvis Presley ist regelmäßig in solchen Listen vertreten, etwa mit einer privaten Testpressung seiner ersten Aufnahme „My Happiness“, die Sammler über 300.000 Dollar kostete. Ebenso begehrt sind Einzelstücke wie eine Acetatpressung von „That’ll Be the Day“ von den Quarrymen oder seltene Jazzplatten wie Hank Mobleys „Blue Note 1568“, bei denen allein ein zusätzliches Adressfeld auf dem Etikett den Preis in die Höhe treibt.
Was all diese Platten gemeinsam haben: Ihre Preise resultieren fast ausschließlich aus ihrer Seltenheit, ihrer makellosen Erhaltung oder der Nähe zu Berühmtheiten – und nicht unbedingt aus ihrer musikalischen Qualität. Es ist paradox: Die teuersten Tonträger der Welt werden kaum je abgespielt. Stattdessen verschwinden sie in klimatisierten Vitrinen, versiegelt in Plastik, betrachtet wie Reliquien oder Wertanlagen. Die Musik wird zur Fußnote, zur Ausrede für eine Investition.
Dabei zeigt sich: Die Schallplatte wird heute oft nicht mehr als Medium verstanden, sondern als Objekt – vergleichbar mit Oldtimern oder Kunstwerken. Limitierte Sonderauflagen, numerierte Versionen, farbiges Vinyl, kunstvolle Verpackungen – all das wird von Labels und Sammlern gleichermaßen instrumentalisiert, um künstlich Knappheit zu erzeugen und Exklusivität zu suggerieren. Das hat mit ursprünglicher Musikleidenschaft nur noch wenig zu tun. Die Industrie befeuert diesen Trend gezielt, indem sie Veröffentlichungen in immer absurderen Sondereditionen auf den Markt bringt, bei denen der Klang oft zweitrangig wird.
Dass viele dieser sündhaft teuren Platten aus einer Ära stammen, in der Musik als Protest, als Gegenkultur und als antikapitalistischer Ausdruck gedacht war, entbehrt nicht einer gewissen Ironie. Dass ausgerechnet Alben der Beatles, der Sex Pistols oder des frühen Punk heute als Luxusobjekte gehandelt werden, offenbart ein System, in dem der ursprüngliche Gehalt der Musik von ihrem finanziellen Wert entkoppelt wurde.
Wer also glaubt, dass der Preis einer LP etwas über ihre musikalische Qualität aussagt, irrt. Wahre Schätze lassen sich oft für wenige Euro auf Flohmärkten oder in Second-Hand-Läden finden – abgenutzt, aber voller Leben. Der Unterschied: Diese Platten werden nicht gesammelt, sondern gehört. Und vielleicht liegt genau dort der wahre Wert von Musik.

09.07.25- "The Velvet Sundown" – Künstliche Intelligenz täuscht Musikwelt mit Fake-Rockband

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Eine neue Rockband sorgt für Furore auf Spotify, erreicht innerhalb eines Monats über eine Million Hörer, steht an der Spitze der Viral-Charts in mehreren Ländern – und entpuppt sich schließlich als vollständig künstlich erzeugtes Produkt. The Velvet Sundown, stilistisch an den Rock der 1960er-Jahre angelehnt, veröffentlichte am 5. Juni ihr Debütalbum Floating on Echoes und eroberte damit scheinbar aus dem Nichts die Herzen zahlreicher Musikfans. Doch nur wenige Wochen später wird klar: Hinter der Band steckt keine einzige reale Person. Stimmen, Songs, Texte und selbst die Bandfotos wurden von künstlicher Intelligenz generiert.
Schon früh gab es Ungereimtheiten. Es existierten keinerlei Interviews, keine Konzertankündigungen, keine Social-Media-Auftritte der vermeintlichen Musiker – nur glatte Bilder mit unnatürlich wirkenden Gesichtern und teils anatomisch fehlerhaften Details, wie etwa verschmolzenen Fingern am Gitarrenhals. Auch die Musik selbst verrät ihre Herkunft: Die Texte bestehen aus generischen Versatzstücken mit pazifistischen Floskeln, die weder Tiefe noch persönliche Handschrift erkennen lassen. Zeilen wie „Nothin’ lasts forever but the earth and sky, it slips away, and all your money won’t another minute buy“ klingen vertraut, sind aber bloß algorithmisch zusammengesetzte Phrasen.
Problematisch ist weniger, dass Maschinen heute in der Lage sind, Musik zu erzeugen, die auf den ersten Blick menschlich wirkt – sondern dass die Illusion so bereitwillig akzeptiert wird. Die schnelle Produktion – zwei Alben im Juni, ein weiteres für Juli angekündigt – zeigt deutlich, wie industrielle Effizienz die Idee künstlerischen Schaffens zu verdrängen droht. Wenn kreative Prozesse ersetzt werden durch endlose, seelenlose Replikation, dann steht mehr auf dem Spiel als nur der Musikgeschmack. Es geht um Glaubwürdigkeit, um kulturelle Identität, um die Frage, was Musik in einer Zeit bedeutet, in der der Mensch als Urheber zunehmend verschwindet.
Der Fall The Velvet Sundown ist nicht bloß eine kuriose Anekdote der Popgeschichte, sondern ein Warnsignal. Wenn das, was nach Gefühl, Geschichte und Rebellion klingt, in Wahrheit das Ergebnis einer emotionslosen Rechenleistung ist, dann droht der Musik eine Zukunft, in der alles klingt – aber nichts mehr berührt.

08.07.25- Klangvolle Züge – Die faszinierende Verbindung zwischen Schach und Musik

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Wenn auf dem Schachbrett Figuren in strenger Ordnung aufeinandertreffen, entsteht ein Spiel, das ebenso logisch wie kreativ ist. Auch in der Musik bewegen sich Klänge in festen Strukturen, getragen von mathematischen Proportionen und doch offen für Ausdruck und Interpretation. Schach und Musik – zwei scheinbar unterschiedliche Welten, die bei näherem Hinsehen überraschende Parallelen und Überschneidungen offenbaren.
Sowohl das Komponieren als auch das Schachspielen erfordern ein tiefes Verständnis von Struktur. Tonleitern, Harmonien und Rhythmen in der Musik folgen Regeln, ähnlich wie Züge im Schach einem klar definierten Regelwerk unterliegen. Doch in beiden Disziplinen reicht Regelkenntnis allein nicht aus: Intuition, Timing, Kreativität und ein Gespür für Ästhetik sind ebenso entscheidend. Der Schachspieler denkt strategisch, der Musiker phrasiert – beide antizipieren, improvisieren und gestalten aus begrenztem Material einen sinnvollen Verlauf.
Die Liste historischer Musiker, die eine Leidenschaft für Schach hegten, ist lang. François-André Danican Philidor (1726–1795) war nicht nur ein bedeutender französischer Komponist, sondern auch einer der besten Schachspieler seiner Zeit. In seinen Werken wie auch in seinen Partien verband er Eleganz mit Präzision. Sergei Prokofjew und Maurice Ravel liebten das Spiel ebenso – Prokofjew soll auf Tourneen sogar ein Schachbrett mitgeführt haben. Auch Dmitri Schostakowitsch galt als begeisterter Schachspieler, dessen Musik oft von einer klaren Formstrenge durchzogen ist, die an schachartige Denkprozesse erinnert.
Viele Komponisten vergleichen das Komponieren mit dem Lösen eines Problems oder dem Durchspielen eines Spiels. Arnold Schönberg, der Begründer der Zwölftontechnik, war leidenschaftlicher Schachspieler – kein Wunder, wenn man bedenkt, wie streng reglementiert seine serielle Musik organisiert ist. Auch György Ligeti sprach davon, dass das Komponieren oft wie ein „intellektuelles Spiel“ sei – eine Aussage, die ebenso gut aus dem Munde eines Großmeisters stammen könnte.
Die Verbindung zwischen Schach und Musik manifestiert sich heute auch auf technischer Ebene. Algorithmen, die einst zur Analyse von Schachpartien entwickelt wurden, finden heute Anwendung bei der Generierung und Analyse von Musik. Künstliche Intelligenz kann sowohl eine symphonische Komposition im Stil Beethovens erstellen als auch einen perfekten Schachzug berechnen. Beide Disziplinen sind zugleich Spielwiese und Prüfstein für die Fähigkeiten moderner KI.
Ein weiterer Berührungspunkt ist der meditative Charakter beider Tätigkeiten. Schach wie Musik verlangen höchste Konzentration, führen aber gleichzeitig in einen Zustand des „Flows“, bei dem Zeit und Außenwelt verblassen. Musiker und Schachspieler beschreiben oft eine ähnliche innere Versenkung, ein vollständiges Aufgehen im kreativen Moment.
Ob am Flügel oder am Schachbrett – der schöpferische Akt verbindet Musik und Schach auf tiefgreifende Weise. Beide verlangen Disziplin, Intuition und Leidenschaft. Wer Musik macht, denkt oft wie ein Schachspieler. Und wer Schach spielt, folgt nicht selten einer inneren Melodie.

„Schach ist wie Musik: viele Regeln, unendliche Möglichkeiten und ein Spiel mit der Zeit.“ – Unbekannt

07.07.25- Meisterwerke der Klaviertechnik und Poesie: Chopins Etüden als ewige Referenz

Von den zahllosen Werken der romantischen Klavierliteratur ragen die 27 Etüden Frédéric Chopins wie leuchtende Säulen der Virtuosität und Ausdruckskraft heraus. Entstanden zwischen 1830 und 1837 (plus drei sogenannte „Neue Etüden“ von 1840), bilden sie keinen trockenen technischen Übungszyklus, sondern vereinen instrumentale Brillanz mit musikalischer Tiefe – ein Konzept, das zu ihrer bis heute ungebrochenen Faszination beiträgt.
Die zwölf Etüden op. 10 (erschienen 1833) und die zwölf Etüden op. 25 (erschienen 1837) gelten als fundamentale Säulen romantischer Klavierkunst. Sie durchdringen die Möglichkeiten des Instruments mit einem poetischen Gestus, der über reine Fingerakrobatik weit hinausgeht. Hinzu kommen die Trois nouvelles études aus dem dritten Band der Méthode des Méthodes von Moscheles und Fétis – eine didaktische Sammlung, die Chopins Beitrag noch einmal unterstreicht.
Eine Revolution in der Etüdenkunst

Chopin stellte mit diesen Etüden die traditionelle Etüdenform auf den Kopf. Was bei Czerny oder Clementi noch als nüchternes Techniktraining galt, wurde bei Chopin zur künstlerischen Miniatur, zur Charakterstudie, zur lyrischen Szene auf kleinstem Raum. Dabei blieb die technische Herausforderung enorm – gerade weil sie dem Hörer nicht aufgedrängt, sondern klanglich eingebettet wird.
Nicht umsonst nannte Karl Schumann die Etüden „Magna Charta des Klavierspiels“. Und tatsächlich: Jede der Kompositionen zielt auf ein spezifisches pianistisches Problem – Arpeggien, Doppelgriffe, Oktaven, synkopierte Rhythmen – und transformiert es in eine musikalische Vision. Die berühmte Etüde op. 10 Nr. 5 etwa – die sogenannte Revolutionsetüde – verwebt eine stürmisch aufgewühlte linke Hand mit einem heroischen, aufbegehrenden Thema. Virtuosität wird hier zur dramatischen Aussage.
Wirkungsgeschichte: Von Liszt bis Godowsky

Franz Liszt erkannte früh das revolutionäre Potenzial dieser Werke und war – gemeinsam mit Józef Wieniawski – unter den ersten Pianisten, die Chopins Etüden öffentlich aufführten. Doch die Rezeption ging weit über den Konzertsaal hinaus. Komponisten wie Alkan, Skrjabin, Debussy oder Rachmaninow entwickelten ihre eigene Klangsprache in Auseinandersetzung mit Chopins Etüden. Sie wurden zum Maßstab – und manchmal zur Bürde.
Ein besonders umstrittenes Kapitel ist Leopold Godowskys monumentales Projekt, in dem er Studien über die Etüden Chopins verfasste – oftmals noch schwerer als das Original, gelegentlich für die linke Hand allein. Was aus kompositorischer Sicht durchaus gewagt und innovativ war, gilt in Teilen als technisch brillanter Selbstzweck, der die poetische Essenz Chopins eher verdeckt als offenlegt. Dennoch erkannte auch Godowsky selbst in den Etüden eine „künstlerische Höchstleistung […] von ewiger Bedeutung“.

Ewige Gültigkeit
In der modernen Konzertpraxis und im Klavierunterricht sind Chopins Etüden ungebrochen präsent. Sie fordern Körper und Geist – und lehren die Einsicht, dass Technik ohne Ausdruck leblos bleibt. Sie sind Prüfstein, Spielwiese, Inspirationsquelle und Wegbegleiter für jede Generation von Pianist:innen.
Chopins Etüden sind keine Übungen. Sie sind ein Weltbild. Und vielleicht gerade deshalb gehören sie zu den wenigen Werken des 19. Jahrhunderts, die sowohl als Pflichtstoff wie als Herzensrepertoire gelten – als technische Herausforderung wie als poetische Offenbarung.

06.07.25- Alles nur geklaut – und das für 400 Pfund: Oasis feiern sich selbst, das Publikum zahlt die Zeche

Will Fresch
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Was bleibt nach über 5.000 Tagen Funkstille zwischen den Gallagher-Brüdern? Eine bombastisch inszenierte Reunion von Oasis, ein Stadion voller Nostalgiker – und ein Konzert, das musikalisch vor allem eines war: ein gut abgehangener Selbstplagiat-Marathon.
Die Show im ausverkauften Principality Stadium in Cardiff war zweifellos ein Ereignis. Eine ganze Stadt verwandelte sich in ein Revival-Spektakel der 90er – eine Mischung aus Bierdusche, Eimerhüten und kollektivem Singsang. Doch was auf den ersten Blick wie ein Triumphzug der Britpop-Ikonen wirkte, entpuppte sich bei näherem Hinhören als das, was Oasis schon immer waren: eine Band, die sich hemmungslos bei den Beatles, Slade und T. Rex bedient – und das mit einer Arroganz, die sie stets mit Authentizität verwechselten.
Natürlich, "Hello", "Morning Glory", "Cigarettes & Alcohol" – das sind Songs, die einst eine Generation bewegten. Aber heute? Es wirkt wie ein gut geöltes Replikat aus der Konserve. Oasis klangen nie originell, aber jetzt klingen sie nicht einmal mehr hungrig. Trotz der engagierten Performance fehlt der Musik jede Spur von Weiterentwicklung. Kein neuer Song, kein überraschender Moment. Stattdessen: das sichere Abspielen eines Hits nach dem anderen – Stadionrock für Spotify-Algorithmen.
Und dann wäre da noch der Elefant im Raum – die Ticketpreise. Während Liam grinsend fragt, ob es die „£40.000“ wert war, lacht das Publikum tapfer mit. Tatsächlich lagen die regulären Preise bei mehreren Hundert Pfund, auf dem Zweitmarkt deutlich darüber. Für viele Fans war dieser Abend eine emotionale Investition – und eine finanzielle Zumutung. Wer sich als Stimme der Arbeiterklasse inszeniert und dann Tickets zu Preisen anbietet, für die andere ihren Monatslohn opfern, verliert nicht nur den Boden unter den Füßen, sondern auch den letzten Rest von Glaubwürdigkeit.
Noel Gallagher sang einst: "Please don't put your life in the hands of a rock’n’roll band / Who’ll throw it all away." Genau das ist nun geschehen. Eine ganze Industrie wirft sich auf ein nostalgisches Comeback, das eher wie eine Börsennotierung als wie ein musikalisches Statement wirkt. Sony, Capitol, YouTube – alle Größen der Branche waren vor Ort, als müsse der kulturelle Wert dieses Abends in Anzugträgern bemessen werden.
Sicher, das Publikum jubelte, sang mit, war gerührt. Aber Euphorie ist nicht gleich Qualität. Die Show war ein Beweis dafür, wie stark die Marke Oasis ist – nicht wie stark ihre Musik heute noch wirkt. Es war ein Konzert, das keine Geschichte schrieb, sondern nur noch einmal erzählte, was ohnehin jeder kennt.
Bleibt die Frage: War es das wert? Für viele Fans vielleicht ja – wegen der Erinnerungen. Musikalisch jedoch bleibt ein schaler Nachgeschmack. Wer für ein nostalgisches Abziehbild dieses Ausmaßes tief in die Tasche greift, bekommt keinen Blick in die Zukunft, sondern nur einen teuren Rückspiegel. Und der zeigt: Die große Revolution, für die Oasis sich einst hielten, war im Grunde schon damals nur ein Zitat.

05.07.25- Der Mount Everest der Gitarrenmusik: Heitor Villa-Lobos' „12 Etüden für Gitarre“

RCA Red Seal – RL 12499
Privat: 1978

In der Welt der klassischen Gitarre gibt es kaum ein Werk, das mit solch ehrfürchtiger Bewunderung betrachtet wird wie die 12 Études von Heitor Villa-Lobos. Sie sind nicht einfach nur Etüden – sie sind Gipfel, Prüfstein und Poesie in einem. Wer sie erklimmt, steht auf dem Mount Everest der Gitarrenmusik. Ein Meilenstein der Gitarrenliteratur
Heitor Villa-Lobos, der brasilianische Nationalkomponist mit Pariser Geist, schrieb seine zwölf Etüden 1928 auf Anregung von Andrés Segovia. Doch sie blieben lange unveröffentlicht, da Segovia – obwohl sie ihm gewidmet waren – viele Jahre zögerte, sie öffentlich aufzuführen. Der Grund? Ihre radikale, ungefilterte Musiksprache, ihre technischen Härten, ihr klanglicher Eigensinn. Villa-Lobos hatte kein virtuos-glänzendes Bravourstück geschrieben, sondern ein visionäres Werk für ein Instrument, das er wie kaum ein anderer verstand – und neu erfand.

Struktur und Inhalt: Technik als Ausdruck
Die Etüden sind in zwei Hälften gegliedert, mit jeweils sechs Stücken. Die ersten sechs konzentrieren sich stärker auf einzelne technische Aspekte: rasche Arpeggien, weit gespannte Lagenwechsel, Polyphonie auf engstem Raum. Doch nie bleibt es bei reiner Fingerakrobatik – die Technik dient stets dem musikalischen Ausdruck.
Die Etüden 7 bis 12 sind großformatiger, beinahe kleine Konzertstücke. Hier verschmelzen klassische Formstrenge, barocke Polyphonie (besonders in Etüde Nr. 10 mit ihrem fugierten Charakter) und brasilianische Idiome zu einem ganz eigenen Klangkosmos. Rhythmen aus dem choro, dem modinha oder der afro-brasilianischen Musik durchziehen das Werk subtil und organisch – nicht folkloristisch plakativ, sondern tief integriert.

Rezeption: Prüfstein und Inspirationsquelle
Kaum ein Gitarrist, der Villa-Lobos nicht gespielt, bewundert, gefürchtet oder geliebt hätte. Die 12 Études gehören heute zum Standardrepertoire – doch es braucht Mut, Geduld und musikalische Reife, um sie überzeugend zu meistern. Sie sind kein Virtuosenfutter, sondern eine Schule der Intelligenz, des Klangs und des Rhythmus.
Zu den großen Interpreten zählen Julian Bream, dessen Aufnahme von 1975 mit feinem Gespür für Klangfarben und Dramatik bis heute Maßstäbe setzt. Auch Timo Korhonen überzeugte mit einer kristallklaren, fast analytischen Lesart. Johannes Tonio Kreusch verlieh dem Werk eine zupackende Virtuosität, die jedoch nicht jedem gefiel – das Tempo als Gratwanderung zwischen Präzision und Poesie.
Doch zwei Namen dürfen nicht fehlen, wenn man über exemplarische Deutungen dieser Gipfeletüden spricht: Álvaro Pierri und Tilmann Hoppstock.

Der aus Uruguay stammende Álvaro Pierri, einer der sensibelsten und intellektuell tiefgründigsten Gitarristen unserer Zeit, spielt Villa-Lobos nicht – er atmet ihn. Seine Aufnahme lässt die rhythmischen Finessen der Etüden mit südamerikanischer Selbstverständlichkeit fließen, ohne jemals folkloristisch zu wirken. Er zeigt, wie modern diese Musik ist – und wie sehr sie noch immer zwischen den Welten steht.

Tilmann Hoppstock, der deutsche Gitarrenphilosoph, begegnet Villa-Lobos mit analytischer Klarheit und klanglicher Präzision. In seinen Interpretationen offenbart sich eine strukturelle Durchdringung, die zeigt: diese Etüden sind nicht bloß emotionale Landschaften, sondern architektonische Meisterwerke. Hoppstock bringt die Kontrapunkte, die inneren Stimmen, das Formbewusstsein des Komponisten zum Leuchten – ein Blick unter die Oberfläche, ohne deren Magie zu zerstören.

Fazit: Mehr als Etüden
Die 12 Études von Heitor Villa-Lobos sind keine Übungen. Sie sind Monumente. Wer sie spielt, ringt nicht nur mit Technik, sondern mit Geist, Tradition, Identität. Wer sie hört, erlebt die Gitarre als orchestrales, polyphones, rhythmisches Universum. Zwischen Bach, Brasilien und der Moderne liegen diese Stücke – und sie verlangen alles: Intellekt, Emotion, Disziplin.
Sie sind der Mount Everest – nicht jeder erklimmt ihn. Aber jeder, der sich aufmacht, wächst über sich hinaus.

04.07.25- Young Noble – Das letzte Kapitel eines Outlaw

Mogkilluminati
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Der US-Rapper Young Noble, mit bürgerlichem Namen Rufus Lee Cooper III, ist tot. Das ehemalige Mitglied der legendären Hip-Hop-Gruppe Outlawz starb im Alter von 47 Jahren. Medienberichten zufolge wurde er am Freitagmorgen leblos in seinem Haus in Atlanta aufgefunden. Laut TMZ Hip Hop handelt es sich bei der Todesursache um eine selbst zugefügte Schussverletzung. Die genauen Umstände des tragischen Vorfalls werden derzeit noch von den Behörden untersucht.
Young Noble stieß 1996 als letztes Mitglied zu den Outlawz – der Crew, die von Tupac Shakur ins Leben gerufen worden war. Tupac selbst wählte ihn kurz vor seinem Tod in die Gruppe, die sich als musikalisches Sprachrohr gegen soziale Ungerechtigkeit, Polizeigewalt und politische Unterdrückung verstand. Auf The Don Killuminati: The 7 Day Theory, einem der ikonischsten Alben der Hip-Hop-Geschichte, ist Young Noble auf vier Songs vertreten – darunter „Hail Mary“, ein Klassiker des Genres.
Nach dem Tod von Tupac führte Noble das Erbe seines Mentors fort – mit Energie, Authentizität und einer tiefen Verbundenheit zur Street-Culture. In seinen Soloalben wie Noble Justice (2002) oder Son of God (2012) verarbeitete er persönliche Erfahrungen, gesellschaftliche Missstände und spirituelle Reflexionen. Die Musikszene respektierte ihn als Realkeeper, der sich nie dem schnellen Ruhm unterwarf, sondern stets seinen Weg ging – oft im Schatten, aber mit Wirkung.
Privat kämpfte der Künstler 2021 mit einem schweren gesundheitlichen Rückschlag: einem Herzinfarkt, den er nur knapp überlebte. In einem bewegenden Instagram-Post sprach er damals von Dankbarkeit und der Hoffnung auf einen Neuanfang. Freunde berichten, dass er bis zuletzt aktiv blieb – beim Basketballspielen, bei Musikprojekten – und keine äußeren Anzeichen einer psychischen Krise zeigte.
Mit Young Noble verliert der Hip-Hop nicht nur einen Veteranen und lyrischen Kämpfer, sondern auch ein lebendes Stück der Tupac-Legende. Seine Musik bleibt – als Mahnung, als Vermächtnis, als Stimme derer, die sonst selten gehört werden.

03.07.25- Nachruf für ein musikalisches Phantom – Mark Snow ist tot

The X Files Vol. 1
CD Cover (Privat)

Der Name Mark Snow sagt vielleicht nicht jedem sofort etwas – doch seine Musik kennt fast jeder. Das eisige Pfeifen und das pochende Echo seiner Titelmelodie zu Akte X – Die unheimlichen Fälle des FBI schlich sich in die Wohnzimmer einer ganzen Generation und wurde zum unvergesslichen Klangsymbol für Mystery und Unerklärliches. Nun ist der Komponist dieser ikonischen Fernsehklänge im Alter von 78 Jahren im US-Bundesstaat Connecticut gestorben.
Geboren wurde Snow 1946 als Martin Fulterman in Brooklyn, New York. Früh entwickelte er eine Affinität zur Musik, lernte Klavier, Oboe und Schlagzeug – ein klassischer Weg, der ihn an die ehrwürdige Juilliard School führte, wo er zunächst eine Karriere als Konzertoboist in Betracht zog. Doch das Orchesterleben reizte ihn nicht dauerhaft. Stattdessen wandte er sich der Filmmusik zu – ein Entschluss, der nicht nur sein Leben, sondern die Fernsehlandschaft prägen sollte.
Mark Snow war kein Mann der grellen Töne. Seine Musik bewegte sich oft im Hintergrund, webte Atmosphären, ließ Räume entstehen, in denen Spannung und Sehnsucht, Geheimnis und Angst atmen konnten. Besonders in den 1980er- und 1990er-Jahren war er ein gefragter Klangarchitekt für das US-Fernsehen: Starsky & Hutch, Der Denver-Clan, Love Boat, später Millennium, Smallville oder Ghost Whisperer. Immer wieder schuf er dichte Klangtexturen, oft auf Basis elektronischer Sounds – lange bevor dies zur Norm wurde. Damit gehörte er zu den Pionieren seines Fachs.
Der große internationale Durchbruch kam mit Akte X. Die Hauptmelodie – minimalistisch, unheimlich, unvergesslich – wurde zum weltweiten Hit. Dass ein Soundtrack ohne große Melodie, mit einem sparsamen Motiv aus Hall, Flüstern und Synthesizer-Pfeifen plötzlich in den Popcharts landete, war auch für Snow selbst erstaunlich. „In dem Lied passiert nichts wirklich Großes. Das ist ziemlich wild“, sagte er einmal trocken. Es war genau diese Zurückhaltung, diese klangliche Andeutung, die seine Musik so wirkungsvoll machte.
15 Mal wurde Mark Snow für einen Emmy nominiert – gewonnen hat er nie. Vielleicht, weil seine Arbeit zu subtil war, zu wenig pathetisch, zu sehr der Dramaturgie untergeordnet. Doch gerade das war seine große Kunst: Musik zu schreiben, die nicht überlagert, sondern trägt. Die nicht illustriert, sondern erzählt.
Mark Snow hinterlässt seine Ehefrau Glynnis O’Connor, ebenfalls Schauspielerin, und drei Töchter. Mit ihm verliert die Filmmusik einen leisen Revolutionär – und das Fernsehen einen Sound, den man fühlte, bevor man ihn verstand.

02.07.25- Der Fall Sean Combs – Ein tiefer Sturz aus dem Olymp der Popkultur

Kristin Dos Santos
CC BY-SA 2.0 Wikimedia Commons

Es war ein Urteil, das die Musikindustrie erschüttert hat – und doch ließ es viele ratlos zurück. Sean Combs, einst unter Namen wie Puff Daddy oder Diddy ein Symbol für Reichtum, Erfolg und Aufstieg aus dem Nichts, wurde von einer New Yorker Jury teilweise schuldig gesprochen: der Nötigung zur Prostitution. In anderen, schwerwiegenderen Punkten – darunter der Vorwurf organisierter Kriminalität – wurde er freigesprochen. Das Urteil ist ein Spiegelbild der moralischen Grauzonen, in denen sich Ruhm, Macht und Gewalt seit jeher begegnen.
Was bleibt, ist ein bitterer Nachgeschmack. Nicht nur für die Opfer, die hoffen durften, dass das System endlich auch mächtige Männer zur Verantwortung zieht. Auch für eine Kultur, die ihren Ikonen zu lange zu viel durchgehen ließ. Dass Combs nun für das Zwingen junger Menschen zu entwürdigenden sexuellen Handlungen belangt wird – darunter bezahlte „Shows“ mit männlichen Prostituierten für seine Partnerinnen und Gäste –, ist nur ein Teilsieg. Der Freispruch in der Anklage wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung hat nicht nur juristische, sondern auch symbolische Tragweite. Er offenbart das Unbehagen einer Gesellschaft, die zögert, wenn Täter über Macht, Geld und Einfluss verfügen.
Der Fall Combs ist kein Einzelfall, sondern steht in einer Reihe erschütternder Enthüllungen über Gewalt und Missbrauch im Popbetrieb. Wie bei R. Kelly, wie bei Russell Simmons, wie bei vielen anderen: Die Musikindustrie hat viel zu lange weggesehen – oder besser: bewusst geschwiegen. Solange der Rubel rollte, schien jedes Verhalten verzeihlich, jeder Exzess glamourös statt grausam. Combs selbst pflegte über Jahrzehnte das Image des charmanten Strippenziehers, der sich selbst zur Marke gemacht hat. Hinter den Kulissen aber, so sagen es Zeugen aus, herrschte Einschüchterung, Kontrolle – und ein zutiefst toxisches Machtverhältnis.
Dass sich die Geschworenen nach drei Tagen und 13 Stunden nicht auf ein einstimmiges Urteil in allen Punkten einigen konnten, wirft Fragen auf: über die Beweislast, über Zweifel, über juristische Feinheiten – aber auch über systemische Unfähigkeit, strukturellen Missbrauch umfassend zu fassen. In der Kulturbranche ist Macht nicht nur sichtbar, sondern auch anziehend. Wer sie besitzt, darf sich viel erlauben. Zu viel, wie dieser Fall erneut zeigt.
Das Urteil ist ein Anfang. Es ist ein Zeichen dafür, dass sich etwas verschiebt – wenn auch langsam, schmerzlich und oft unvollständig. Die Verurteilung wegen Förderung von Prostitution bedeutet für Combs bis zu zehn Jahre Haft. Dass er für andere schwerwiegendere Vorwürfe nicht belangt wurde, bleibt ein Schatten über diesem Prozess. Und über einer Industrie, die sich endlich ernsthaft fragen muss, wie viele Leichen noch im Keller liegen – und wann sie aufhört, wegzusehen.
Denn so viel ist sicher: Die Beats mögen weiterlaufen. Aber das Schweigen muss ein Ende haben.

01.07.25- Erik Satie – 100 Jahre später: Genie, Clown, Visionär

Vor 100 Jahren starb in Arcueil bei Paris ein Mann, der die Musikgeschichte gründlich auf den Kopf stellte – mit Understatement, Ironie und einer Vorstellung von Klang, die ihrer Zeit weit voraus war. Erik Satie, geboren 1866 in Honfleur, war ein Komponist, der sich jeder Einordnung entzog. Wer ihn auf bloßen Exzentriker reduziert, verkennt die radikale Konsequenz seines Denkens. Seine Musik – mal kindlich verspielt, mal absurd betitelt, mal geradezu hypnotisch simpel – war keine Pose, sondern ein Frontalangriff auf die musikalische Hybris seiner Epoche.
Satie war ein radikaler Minimalist, lange bevor der Begriff musikalische Mode wurde. Seine berühmte „Gymnopédie Nr. 1“ gleitet wie ein melancholischer Schleier durch die Welt – ein Stück, das nichts will, außer da zu sein. Keine Dramatik, kein Pathos, keine Beethoven’sche Entwicklung. Satie lehnte sich mit sanftem Lächeln gegen das Monumentale, das Wagner’sche Erhabene – und verglich dessen Musik ironisch mit Sauerkraut. Er wollte nicht erheben, sondern begleiten, durch den Alltag, durch das Leben, durch einen grauen französischen Morgen mit Zigarettenqualm.
Dass er sich in Armut und Alkohol verlor, dass er einsam starb und mit mehr als hundert Regenschirmen lebte, macht ihn zur tragischen Figur – aber es macht sein Werk nicht klein. Im Gegenteil: Seine Vorstellung von „Musique d’ameublement“, der „Möblierungsmusik“, war ein Vorgriff auf Ambient, auf Brian Eno, auf Lo-Fi. Satie erfand den Klang, der sich nicht in den Vordergrund drängt, sondern im Raum bleibt wie Licht oder Geruch – eine Revolution im Denken über Musik.
Und ja, er nannte Stücke „Ausgetrocknete Embryos“, verlangte, man solle seine Musik spielen „wie eine Nachtigall mit Zahnschmerzen“, und komponierte das legendäre „Vexations“, das 840-mal wiederholt werden soll – was John Cage später tatsächlich in einem 19-stündigen Konzert umsetzte. Was wie Scherz anmutet, war eine ernsthafte Infragestellung musikalischer Konventionen. Satie war sich der Absurdität bewusst – und machte sie zum Teil seines Konzepts.
Erik Satie war nicht nur musikalisch ein Sonderling, sondern führte auch ein geradezu manisch ritualisiertes Leben. Er besaß – neben seinen Regenschirmen – angeblich auch mindestens ein Dutzend identische graue Samtzylinder und trug stets denselben Typ Anzug, eine Art Mischung aus bürgerlicher Strenge und bohemienhafter Ironie. Sein Kleidungsstil war Teil seiner Selbstinszenierung als „gentleman excentrique“. Noch skurriler wird es bei seinen Essgewohnheiten: Satie behauptete, ausschließlich weiße Speisen zu sich zu nehmen – Reis, Eiweiß, Knochen, gemahlene Mandeln, gekochte Sellerie, Kokosnuss, Hühnerfleisch, Milch und Weißwein. Ob das konsequent so gelebt wurde oder Teil seines bewusst kultivierten Mythos war, bleibt unklar – sicher ist nur, dass Satie auch im Alltag Komponist war: ein Komponist seiner selbst.
Als ein Politiker des Front National ihn 2016 als „mittelmäßigen Komponisten“ und „alkoholkranken Kommunisten“ beschimpfte, offenbarte sich darin eher eine politische Hilflosigkeit gegenüber einem Künstler, der sich nie vereinnahmen ließ. Satie war kein Revolutionär im klassisch politischen Sinn, sondern ein anarchischer Geist, ein musikalischer Dadaist, ein unbestechlicher Erfinder von Klangräumen, die nicht gefallen wollen – und es trotzdem tun.
Hundert Jahre nach seinem Tod ist Erik Satie aktueller denn je. Seine Musik wird gestreamt, auf Film-Soundtracks verwendet, in Cafés gespielt – leise, beiläufig, hypnotisch. Ganz so, wie er es sich gewünscht hätte.

30.06.25- Glanz und Schatten – Die doppelte Wahrheit hinter dem globalen K-Pop-Phänomen

NZ 토끼들
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Korean Pop – kurz K-Pop – ist längst kein lokales Phänomen mehr. Von Seoul aus hat sich eine perfekt inszenierte Mischung aus Musik, Tanz, Mode und emotionalem Storytelling zu einem globalen Kulturgut entwickelt. Millionen Fans auf der ganzen Welt feiern Bands wie BTS, BLACKPINK oder EXO – auf Social Media, bei Live-Auftritten und in unzähligen Fanprojekten. Doch hinter der glänzenden Fassade der koreanischen Popindustrie verbirgt sich eine Schattenwelt, die viele bis heute nicht kennen – oder bewusst ignorieren.
Die Idol-Industrie in Südkorea gleicht in mancher Hinsicht einer Fabrik. Schon Kinder werden durch Castingschulen und Agenturen rekrutiert, oft im Alter von acht bis zwölf Jahren. Was folgt, ist ein jahrelanger, intensiver Trainingsprozess: bis zu 15 Stunden täglich verbringen sogenannte „Trainees“ mit Tanz-, Gesangs- und Sprachtraining – auf Kosten ihrer Schulbildung, ihrer Kindheit und oft auch ihrer Gesundheit. Nur ein Bruchteil dieser jungen Talente schafft es überhaupt zur offiziellen Debütierung – und selbst dann ist Erfolg nicht garantiert.
Die Verträge, die viele dieser Künstler:innen unterschreiben müssen, sind berüchtigt: sogenannte „slave contracts“ binden Idols nicht nur für viele Jahre an eine Agentur, sondern halten sie auch in einem finanziellen Teufelskreis. Denn viele Schulden die Kosten ihrer Ausbildung – Schulden, deren Höhe oft unklar bleibt und die ihre gesamten Einnahmen verschlingen. Persönliche Freiheit ist kaum vorhanden: keine Beziehungen, kein öffentliches Ausgehen, kontrollierte Ernährung, Schönheitsoperationen auf „Empfehlung“ der Agentur. Das Image zählt mehr als das Individuum.
Besonders perfide: Jede:r Idol wird mit einem bestimmten „Charakter“ vermarktet – die Schüchterne, der Rebell, das Sexsymbol. Diese Rollen sollen auch im echten Leben gespielt werden – für Talkshows, Fans und Interviews. Der Druck, konstant zu performen, sich nie eine Schwäche zu erlauben, hat tragische Konsequenzen. Zahlreiche K-Pop-Stars haben in den vergangenen Jahren über psychische Erkrankungen berichtet. Einige, wie Jonghyun von SHINee oder Sulli (ehemals f(x)), nahmen sich das Leben.
Doch es gibt Anzeichen für Wandel. Wie eine aktuelle Dokumentation von Melissa Gibbs und Team zeigt, beginnt sich das System langsam zu verändern – und zwar durch die Fans. Dank sozialer Medien haben sich viele Anhänger:innen der Idols zu deren lautesten Fürsprecher:innen entwickelt. Sie kritisieren öffentlich das Verhalten der Agenturen, organisieren Spendenaktionen, rufen zu Boykotten auf. Fan-Power wird zu einer realen politischen Kraft in der Musikindustrie. Die Klagen gegen ausbeuterische Verträge häufen sich – und einige werden tatsächlich gewonnen.
Beispielhaft ist die ARMY, die globale Fangemeinde von BTS. Als BTS eine Million Dollar an „Black Lives Matter“ spendete, verdoppelte die ARMY diesen Betrag durch eigene Spenden. Es sind diese solidarischen Bewegungen, die zeigen: K-Pop-Fans sind keine passiven Konsumenten mehr – sie sind zu Akteuren geworden, die das System mitgestalten wollen.
Trotz aller Fortschritte bleibt die Realität für viele Idols jedoch prekär. Der Weg zum Star bleibt gefährlich schmal und steinig. Doch dass überhaupt darüber gesprochen wird – in Medien, Studien, Fanforen und nun auch in dokumentarischen Formaten – zeigt, dass der Mythos K-Pop nicht mehr nur aus Glanz besteht. Die Maschinerie rattert weiter, aber die Stimmen, die sich dagegen erheben, werden lauter.

29.06.25- Fortschritt mit Haltung – Der Progressive Rock und seine Geschichte

Jim Summaria
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Was passiert, wenn sich Rockmusik ihrer eigenen Grenzen bewusst wird – und sie dann gezielt überschreitet? Die Antwort darauf gab eine Generation von Musikern Ende der 1960er Jahre, die mit ihren Bands nicht weniger als eine neue Musiksprache entwickelte: den Progressive Rock, kurz Prog.
Von Anfang an war klar: Dies war kein Stil für das Formatradio. Hier wurde die klassische Songstruktur zerlegt, Riffs zerlegt und wieder zusammengesetzt, Melodien durch Improvisation gedehnt, Rhythmen verschoben und Konventionen hinterfragt. Bands wie King Crimson, Yes, Genesis, Emerson, Lake & Palmer oder Pink Floyd suchten das Weite – musikalisch, intellektuell und kompositorisch. Sie verschmolzen Rock mit abendländischer Kunstmusik, Jazz und Weltmusik. Mal flossen Bachsche Fugen in Synthesizer-Kaskaden, mal trafen indische Skalen auf polyrhythmische Gitarrenriffs.
Keith Emerson, einer der Architekten des Genres, beschrieb den Kern dieser Musik als „fortschreitend“ – Musik, die eine Idee nicht wiederholt, sondern entwickelt. Für ihn war Prog keine bloße Stilistik, sondern ein Prinzip des Werdens, des Neudenkens. Und Robert Fripp, das kreative Zentrum von King Crimson, ging noch weiter: Für ihn war Progressivität eine Haltung – die Bereitschaft zur permanenten Grenzüberschreitung. Sobald sich aus dieser Haltung ein neues stilistisches Korsett herausbildete, verlor der Begriff für ihn seinen Sinn.
Der Progressive Rock begann also als offene Bewegung – aber genau das wurde ihm mit der Zeit zum Verhängnis. In den frühen 1970er Jahren erlebte das Genre seinen kommerziellen Höhepunkt. Konzerte füllten Stadien, Platten wurden in Millionenhöhe verkauft. Gleichzeitig entwickelte sich aber auch eine gewisse Selbstverliebtheit: ausufernde Konzeptalben, 20-minütige Epen, bombastische Bühnenshows mit Drehtastaturen und doppelhälsigen Gitarren. Die ursprüngliche Idee, das Rocklied zu befreien, erstarrte in ihrem eigenen Gigantismus.
Doch der Prog war nicht totzukriegen. In den 1980er Jahren feierte er unter dem Etikett Neo-Prog ein Comeback. Bands wie Marillion, IQ oder Pendragon knüpften an die klassische Phase an, verbanden sie aber mit zeitgemäßer Produktion und Pop-Appeal. Später, in den 1990er Jahren, fusionierte der Progressive-Gedanke mit härteren Gangarten – Progressive Metal war geboren. Bands wie Dream Theater, Tool oder Opeth trieben die Komplexität weiter, verlagerten den Schwerpunkt aber auf Technik, Dynamik und Emotionalität.
Heute ist Progressive Rock kein klar abgrenzbares Genre mehr – und das ist vielleicht sein größter Erfolg. Seine Spuren finden sich in der Indie-Szene, in elektronischer Musik, im Metal und im Jazz. Es gibt keine einheitliche Szene, kein Zentrum – aber viele Musiker weltweit, die in Fripps Sinne handeln: neugierig, grenzüberschreitend, gegen das Erwartbare.
Der Prog lebt – nicht als Stil, sondern als Haltung. Und gerade deshalb ist er so aktuell wie eh und je.

28.06.25- Neuanfang mit Tradition – Wie Gibson Guitars dem Bankrott entkam

Toglenn
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Es war ein Schock für die Musikwelt: Im Februar 2018 wurde öffentlich, dass Gibson Guitars, eine der traditionsreichsten Gitarrenmarken der Welt, kurz vor der Zahlungsunfähigkeit stand. Die Zahlen sprachen eine klare Sprache: über 500 Millionen US-Dollar Schulden und ein kontinuierlich sinkender Umsatz – von 2,1 Milliarden Dollar im Jahr 2013 auf nur noch 1,7 Milliarden bis 2016. Ein überdimensioniertes Portfolio an Elektronikmarken, strategische Fehleinschätzungen und ein zunehmend übersättigter Markt hatten den Giganten an den Rand des Abgrunds geführt.
Am 1. Mai 2018 folgte die Insolvenzmeldung – ein tiefer Fall für eine Firma, die Musikgeschichte geschrieben hatte. Von den Händen Jimmy Pages, Chuck Berrys und Slashs bis in zahllose Proberäume auf der ganzen Welt: Gibsons Les Pauls, SGs und ES-Modelle waren jahrzehntelang nicht nur Werkzeuge, sondern Symbole des Rock’n’Roll, des Soul, des Blues und des Jazz.
Doch Gibson verschwand nicht in der Versenkung. Die Rettung kam aus einer unerwarteten Ecke: Nat Zilkha, selbst Musiker in einer Alternative-Country-Band und gleichzeitig Partner bei der Investmentfirma Kohlberg Kravis Roberts & Co. (KKR), spielte eine zentrale Rolle beim Neustart. Mit einem durchdachten Sanierungsplan, der von über zwei Dritteln der Gläubiger akzeptiert wurde, übernahm KKR im Oktober 2018 die Kontrolle. Die gerichtliche Zustimmung beendete die Gläubigeraufsicht – ein Befreiungsschlag.
Das neue Management um James "JC" Curleigh, vormals Marketingchef bei Levi’s, setzte fortan auf eine Rückbesinnung auf das Kerngeschäft: Gitarren bauen, die Gitarrist*innen wirklich spielen wollen. Der Fokus lag nicht länger auf Lifestyle-Produkten, sondern auf Qualität, Authentizität und Nähe zur Szene. Mit dem Kauf des legendären Verstärkerherstellers Mesa/Boogie im Januar 2021 holte man sich zusätzlich Know-how ins Haus – ein strategischer Schachzug, der zeigte: Gibson wollte wieder wachsen, aber diesmal organisch und mit Substanz.
Doch auch dieser Kurs blieb nicht statisch. Im Mai 2023 kam es zu einem erneuten Führungswechsel. James Curleigh verließ das Unternehmen, und Cesar Gueikian – bislang als Markenchef an Bord – übernahm als Interims-CEO. Gemeinsam mit dem neu ernannten COO Luke Ericson setzt das Duo auf Kontinuität im Wandel: moderne Modelle mit klassischen Werten, Künstlernähe statt abgehobener Markenvisionen, und ein vorsichtiges, aber ambitioniertes Wachstum.
Gibson hat in seiner langen Geschichte viele Höhen und Tiefen erlebt. Doch die Episode rund um die Insolvenz und den darauffolgenden Wiederaufstieg markiert einen Wendepunkt: weg vom Mythos, hin zur Verantwortung. Wer heute eine Gibson spielt, hält nicht nur ein Stück Musikgeschichte in den Händen – sondern auch das Resultat eines Unternehmens, das gelernt hat, zuzuhören.

27.06.25- Mission: Impossible – Der letzte Takt von Lalo Schifrin

LP Cover: Mission Impossible
Privat: Dot Records – SJET-8035 / 1967

Er war der Meister der Spannung, der Architekt eines Sounds, der sich ins kollektive Gedächtnis eingebrannt hat – jetzt ist Lalo Schifrin tot. Der argentinisch-amerikanische Komponist starb im Alter von 93 Jahren in Los Angeles, wo er Jahrzehnte lang jene musikalischen Welten schuf, die Hollywoods Bilder zum Leben erweckten. Mit seinem Tod endet nicht nur ein Kapitel Filmgeschichte, sondern auch eine Ära, in der Musik noch mit Wagemut, Witz und kultureller Tiefe gedacht wurde.
Geboren 1932 in Buenos Aires, war Schifrin von Anfang an ein musikalischer Grenzgänger. Seine klassische Ausbildung in Paris verband sich bald mit dem Jazzfeuer des Dizzy Gillespie, mit dem er in den Fünfzigern die Bühnen der Welt eroberte. In Hollywood wurde er zum Sounddesigner der Großstadtneurose, zum Chronisten des Cool. Kein anderer brachte so lässig orchestrale Opulenz, Jazzidiomatik und latineskes Feuer unter einen Hut. Schifrin war nie der Mann für die bloße Untermalung – seine Musik forderte mit, bestimmte den Rhythmus der Handlung, zog den Zuschauer in einen Strudel aus Tempo und Suspense.
Der Beweis? „Mission: Impossible“. Dieses fünfviertel-taktige Ungetüm von einer Titelmelodie ist längst Popkultur geworden. Was heute wie selbstverständlich aus Kinolautsprechern schallt, war damals ein stilistischer Affront – ungerade Takte, nervöses Pulsieren, eine Melodie wie ein Countdown. Doch Schifrin machte daraus keine Theorie, sondern ein Erlebnis. Der Vorspann wurde zur Partitur, der Film zur Choreografie der Musik. Nicht umsonst wurde sein Werk unzählige Male adaptiert, zitiert, persifliert – doch nie übertroffen.
Über zweihundert Filmmusiken hat Schifrin komponiert, darunter Klassiker wie „Bullitt“, „Dirty Harry“ oder „Amityville Horror“. Seine Musik war nie bloß Effekt, sie war immer Haltung. Und obwohl er sechs Mal für den Oscar nominiert war, dauerte es bis 2018, bis ihm die Akademie einen Ehrenoscar verlieh – ein später Triumph für einen Mann, der Hollywoods Klangbild tiefgreifend verändert hat. Vielleicht auch, weil er nie ganz Teil des Systems war. Lalo Schifrin war stilistisch zu frei, zu sehr Musiker, als dass er sich mit der Routine zufrieden gegeben hätte.
Der Tod dieses Komponisten ist ein stiller Paukenschlag. Kein Nachfolger wird seine Stimme imitieren können, ohne zu scheitern. Denn sie war nicht nur elegant, virtuos und hochgebildet – sie war durchdrungen von einer Lust an der Form, einem Respekt vor dem Publikum, das Musik nicht bloß konsumiert, sondern spürt. Was bleibt, ist eine Diskographie wie ein Atlas – voll von Orten, an denen Spannung, Schönheit und Intelligenz sich die Hand reichen. Man kann nur hoffen, dass auch zukünftige Generationen diese Reise antreten. Sie ist, wie sein berühmtestes Thema, alles andere als unmöglich.

26.06.25- Drei Meisterwerke – und dann der große Fall: Wenn Bands im Mainstream untergehen

Wolfgang Hartmann
CC BY-SA 4.0 Wikimedia Commons

Es ist ein Muster, das sich durch die Musikgeschichte zieht wie ein Refrain in Endlosschleife: Eine Band veröffentlicht drei brillante, manchmal sogar bahnbrechende Alben, doch statt diesen Kurs zu halten, biegen sie ab – in Richtung Massengeschmack, weichgespülter Radio-Sound und glatte Selbstverleugnung. Der Absturz in den Mainstream – und oft auch in die musikalische Bedeutungslosigkeit – ist keine Seltenheit. Hier einige eindrucksvolle Beispiele, bei denen man sich fragt: Was ist da passiert?

Coldplay: Von melancholischem Britpop zur Stadion-Selbstparodie
Die ersten drei Alben von Coldplay – Parachutes (2000), A Rush of Blood to the Head (2002) und X&Y (2005) – waren voller Emotion, kluger Zurückhaltung und einer wohltuenden Melancholie. Chris Martins Stimme zitterte vor echtem Gefühl, und Songs wie „The Scientist“ oder „Fix You“ klangen wie persönliche Bekenntnisse auf Tonband. Doch spätestens ab Mylo Xyloto (2011) wurde Coldplay zur Karikatur ihrer selbst: poppige Plastikbeats, generische Festival-Hymnen, schrille Farben und Rihanna-Features. Die Band wurde zum Soundtrack von Werbespots und Instagram-Stories. Die Seele: verloren im Neonregen.

Genesis mit Phil Collins: Von Prog-Göttern zu Hitparaden-Futter
Genesis galten mit Peter Gabriel als eine der kreativsten Kräfte des Progressive Rock. Nach dessen Ausstieg überraschte Phil Collins mit einem erstaunlich gelungenen Übergang. Alben wie A Trick of the Tail (1976), Wind & Wuthering (1976) und ...And Then There Were Three... (1978) hielten die experimentelle Tiefe und erzählerische Dichte der frühen Jahre aufrecht – auf zugänglichere Art. Doch dann kam die große Transformation: Mit Invisible Touch (1986) und den folgenden Alben wurde Genesis zur Pop-Maschine, die den Zeitgeist einatmete und Persönlichkeit ausspuckte. Millionen verkaufte Platten – und doch schien etwas verloren gegangen: die Magie.

Beispiel 3 – The Smashing Pumpkins: Von Alternative-Ikonen zur Selbstparodie
Billy Corgan war in den 1990ern ein Prophet des Zorns und der Schönheit. Gish (1991), Siamese Dream (1993) und das Doppelalbum Mellon Collie and the Infinite Sadness (1995) waren ein musikalischer Geniestreich nach dem anderen – gewaltig, verletzlich, unberechenbar. Dann folgten Besetzungswechsel, Egotrips und eine zunehmende Fixierung auf sterile Produktion. Ab Adore (1998) und besonders in den Nullerjahren drifteten die Pumpkins ab in eine Mischung aus Prätention, Elektronik-Experimenten und flacher Nostalgie. Der Biss war weg, die Relevanz auch.

Was passiert da eigentlich?
Der Übergang in den Mainstream ist selten ein Unfall. Oft ist es die Kombination aus wachsendem Druck durch Plattenfirmen, dem Wunsch nach größeren Bühnen und dem Verlust an innerer Unruhe – jener Reibung, aus der große Kunst entsteht. Erfolg wirkt wie ein Sedativum: Man will gefallen, anstatt zu fordern. Man produziert, statt zu komponieren.
Natürlich gibt es Ausnahmen: Radiohead zum Beispiel haben sich nach drei exzellenten Alben (Pablo Honey, The Bends, OK Computer) bewusst vom Mainstream abgewendet – und fanden neue kreative Höhen. Aber sie sind selten. Viel häufiger ist das Coldplay-Syndrom: der Weg von der sensiblen Kunst zur globalen Werbejingle-Fabrik.

Fazit: Drei gute Alben sind kein Schutz vor dem Ausverkauf
Was bleibt? Eine Erkenntnis, die fast schon tragisch ist: Die ersten drei Alben sind oft das wahre Herz einer Band – der Moment, in dem sie noch etwas zu sagen hatten. Danach wird Musik häufig zur Ware. Für uns als Hörer bedeutet das: Manchmal lohnt es sich, früh auszusteigen. Oder eben: bewusst nur die ersten drei Platten zu hören – und sich den Rest als hypothetisches "Was hätte sein können" vorzustellen.

25.06.25- Charles Burrell: Der Mann, der Klassik swingte – Nachruf auf einen Jahrhundertbassisten

The Longest Walk
Amazon Prime Dokumentation

Es gibt Musiker, die ein Orchester verändern. Dann gibt es Musiker, die eine ganze Ära umkrempeln. Und dann gibt es Charles Burrell, der nicht nur die Kontrabass-Saiten zum Schwingen brachte, sondern auch gesellschaftliche Mauern zum Bröckeln. Am Dienstag ist der amerikanische Musiker im stolzen Alter von 104 Jahren gestorben. Ein Mann, der so alt wurde, dass er vermutlich sein eigenes Vermächtnis zweimal erlebt hat – live und als Reissue auf Vinyl.
Charles Burrell war nicht einfach nur Bassist – er war der Bass. Der Grundton. Die Konstante. Die Gravitation im Musiksystem. In den 1940er- und 50er-Jahren schlug sein Bass nicht nur im Takt der Musik, sondern im Takt des gesellschaftlichen Wandels. Als erster afroamerikanischer Musiker in einem großen US-Sinfonieorchester – der Denver Symphony – war Burrell nicht nur klanglich eine Ausnahmeerscheinung. Er war ein zivilisatorischer Durchbruch in Frack und Fliege.
Doch wer jetzt glaubt, Charles Burrell habe seine Zeit mit Beethoven und Brahms abgesessen wie ein stiller Sitznachbar im Parkett, der kennt seinen zweiten Namen nicht: Jazz. Denn während andere Kontrabassisten um Viertel und Halbe kämpften, ließ Burrell in den Nachtclubs von Denver und später auch in San Francisco den Bass singen, schnurren, tanzen. Er spielte mit Größen wie Billie Holiday und Lionel Hampton – nicht als Begleiter, sondern als Stimme aus der Tiefe. Sein Bass war niemals nur Begleitung, sondern Widerwort, Kommentar, Gegenrede – auf musikalisch.
Geboren 1920, als es Jazz noch nicht auf Tonband, aber schon in der Luft gab, war Burrell ein echter Grenzgänger zwischen musikalischen Welten. Wenn man ihn fragte, ob er eher Klassik- oder Jazzmusiker sei, antwortete er angeblich mit einem Lächeln: „Ich bin Musiker. Punkt.“ (Manche sagen, er habe danach noch „und ziemlich gut“ hinzugefügt.)
Burrell unterrichtete später auch – etwa seinen Neffen Purnell Steen, der seinen Tod jetzt bestätigt hat. Und nicht zu vergessen: Er war Mentor von niemand Geringerem als dem legendären Trompeter Ron Miles. Man könnte sagen, Charles Burrell war wie ein besonders seltener Ton: tief, tragend, schwer zu vergessen.
Ein Jahrhundertleben, das ganze Generationen geprägt hat. Und das mit einem Bass begann, den er mit zwölf Jahren entdeckte – fast so groß wie er selbst, aber offenbar sofort willens, sich unterzuordnen.
Charles Burrells außergewöhnliche Lebensgeschichte fand nicht nur auf den Konzertbühnen der Welt statt, sondern auch auf der Leinwand – oder besser gesagt: im Stream. In dem bewegenden Dokumentarfilm The Longest Walk, verfügbar bei Amazon Prime, wird Burrell als das porträtiert, was er war: „The Jackie Robinson of Classical Music“. Der Film erzählt von seinem unermüdlichen Weg durch eine Welt, die ihm lange verschlossen blieb – mit einem Bass in der Hand und einer Vision im Herzen. Dabei ist The Longest Walk keine trockene Biografie, sondern eine liebevoll inszenierte Hommage an einen Mann, der mit jedem Schritt und jeder Note Geschichte schrieb. Wer verstehen will, wie Musik Grenzen sprengen kann, sollte diesen Film nicht nur sehen – sondern hören.
104 Jahre alt – das ist ein Leben in Allegro, Adagio und wieder Allegro. Vielleicht sitzt er jetzt in einer Himmelsband, neben Duke Ellington am Klavier und Ella Fitzgerald am Mikrofon. Wenn der Himmel wackelt, dann wissen wir: Charles Burrell probt gerade.
Adieu, Maestro des Untertons. Du hast der Musik eine neue Tiefe gegeben – und der Gesellschaft eine neue Stimme.

24.06.25- Freiheit in Tönen: Zum zehnten Todestag von Ornette Coleman

Geert Vandepoele
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Vor zehn Jahren, am 11. Juni 2015, starb einer der radikalsten Erneuerer des Jazz: Ornette Coleman. Der amerikanische Altsaxofonist, Komponist und Vordenker hat den Kurs der improvisierten Musik tiefgreifend verändert. Was heute in progressiven Jazzkreisen fast selbstverständlich scheint – die Auflösung harmonischer Zwänge, die Gleichstellung aller musikalischen Stimmen, die Emanzipation des Solisten von den formalen Erwartungen – war in den späten 1950er-Jahren eine Revolution. Und Coleman war ihr Prophet.
Schon mit seinem Album The Shape of Jazz to Come (1959) brach er nicht nur mit Konventionen, sondern mit einem ganzen System musikalischer Denkschablonen. Der Titel war dabei Programm: Coleman präsentierte eine Musik, in der Melodie und Rhythmus einander nicht mehr in festgelegten Rollen begegneten, sondern sich gegenseitig befragten, antrieben, widersprachen. Der Bass durfte plötzlich kommentieren, statt nur zu stützen. Das Schlagzeug schuf offene Räume, statt stur den Takt zu markieren. Harmonie? War willkommen, aber nicht verpflichtend. Struktur? Wurde neu erfunden – mit jedem Stück.
Die Kritiken damals reichten von Bewunderung bis zu Hohn. Miles Davis nannte Coleman „musikalisch verwirrt“, andere sahen in ihm einen charismatischen Freigeist. Was keiner leugnen konnte: Seine Musik besaß eine überwältigende emotionale Dringlichkeit. Sie war roh, expressiv, verletzlich – und dabei oft erstaunlich lyrisch. Ornette Coleman war kein Zerstörer, sondern ein Suchender. Sein Ton auf dem Altsaxofon – schneidend, manchmal kindlich, immer unverkennbar – sprach von einer inneren Welt, die keine Kompromisse kannte.
Mit dem von ihm geprägten Begriff harmolodics versuchte er später, seine Philosophie zu fassen: eine Lehre von Gleichgewicht und Gleichberechtigung zwischen Harmonie, Melodie und Rhythmus. Für ihn war Musik keine Abfolge von Akkorden, sondern ein soziales Gefüge. Ein Ensemble war ein Gespräch, kein Machtgefüge. Jeder durfte führen, jeder folgen. Coleman hatte den Jazz von innen her demokratisiert.
Dabei blieb er zeitlebens ein Einzelgänger. Weder der Free Jazz – dessen Begriff sich ironischerweise aus dem Titel eines seiner Alben ableitet – noch spätere Entwicklungen wie der Fusion-Jazz konnten ihn ganz vereinnahmen. Coleman war nie Trend, sondern immer Bewegung. Er gründete sein eigenes Label, spielte mit Streichquartetten, Rockmusikern, Weltmusikern – und blieb doch stets ganz er selbst.
Sein Einfluss reicht weit über den Jazz hinaus. Für Komponisten der Neuen Musik, für Improvisatoren in Europa, für Noise-, Punk- oder Avantgarde-Künstler war Coleman ein Leuchtturm. Wer das Recht auf den eigenen Klang beanspruchte, stand in seiner Schuld.
Zehn Jahre nach seinem Tod ist sein Werk aktueller denn je. In einer Zeit, in der viele Musikrichtungen erneut nach Wegen aus starren Formen und ökonomischen Zwängen suchen, wirkt Colemans Ansatz wie ein radikaler Hoffnungsschimmer. Er zeigt: Freiheit in der Musik ist keine Pose, sondern eine Praxis – und sie beginnt dort, wo man aufhört, gefallen zu wollen.
Ornette Coleman hat keine Schule gegründet. Er hat eine Haltung geprägt. Und diese Haltung bleibt: mutig, offen, kompromisslos – und zutiefst menschlich.

23.06.25- Das schwarze Gold: Schallplatten als Wertanlage und Spekulationsobjekt

Franci98my
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Vinyl ist längst mehr als ein bloßes Relikt vergangener Jahrzehnte – es ist Kulturgut, Fetischobjekt und zunehmend auch Investment. Was früher in staubigen Kisten auf Flohmärkten verramscht wurde, erzielt heute vierstellige Preise auf Online-Plattformen. Das „schwarze Gold“, wie Sammler liebevoll sagen, hat sich zu einem erstaunlich stabilen Wertspeicher entwickelt – in manchen Fällen sogar mit besserer Rendite als manch klassisches Wertpapier.
Dabei geht es nicht nur um Ikonen wie The Beatles oder Pink Floyd. Auch obskure Pressungen, Erstauflagen von Underground-Jazz, japanischer City Pop oder vergessener Prog-Rock erleben Wertzuwächse, die so manchem Krypto-Investor Tränen in die Augen treiben.

Warum Vinyl? Warum jetzt?
Der Boom hat viele Ursachen: die Rückkehr der Haptik in einer digital übersättigten Welt, der Nostalgiefaktor, aber auch die limitierte Verfügbarkeit vieler Pressungen. Vinyl ist physisch, vergänglich, schwer zu fälschen und unterliegt, anders als Streaming-Formate, keinen raschen technischen Verfallsdaten. Dazu kommt: Eine Erstauflage bleibt eine Erstauflage – egal wie oft ein Album später neu gepresst wird.

Sammlerleidenschaft trifft Finanzinteresse
Längst hat sich um das Vinyl ein grauer Markt der Spekulation gebildet. Wer früh erkennt, welche Veröffentlichungen später begehrt sein werden, kann mit kluger Auswahl und etwas Geduld erhebliche Gewinne erzielen. Doch auch hier gilt: Wissen ist Macht. Und der Markt folgt seinen eigenen Regeln – nicht jede alte Platte ist automatisch wertvoll.

Tipps für den Einstieg in die Vinyl-Spekulation

Erstpressungen sind König: Achte auf Originalpressungen, möglichst aus dem Herkunftsland des Künstlers. Eine UK-Pressung der Sex Pistols ist meist wertvoller als eine spätere Reissue aus Deutschland.

Zustand entscheidet: Mint, Near Mint oder VG+ – der Zustand einer Platte (und vor allem ihres Covers) beeinflusst den Preis oft mehr als der eigentliche musikalische Inhalt.

Lerne den Katalog zu lesen: Matrixnummern, Label-Details, Presswerke – all das entscheidet über Originalität und damit den Sammlerwert.

Unterschätzte Genres entdecken: Krautrock, Library Music, frühe Hip-Hop-12inches oder afrikanischer Funk aus den 70ern sind noch nicht vollständig „ausgesaugt“, bieten aber hohes Potenzial.

Digitaler Spürsinn: Beobachte Discogs, eBay, Popsike, aber auch Social-Media-Gruppen. Preisentwicklungen lassen sich dort live mitverfolgen. Schnäppchen tauchen oft nachts auf – also Wecker stellen.

Langfristig denken: Viele Platten entfalten ihren Wert erst nach zehn oder zwanzig Jahren. Schnelle Gewinne sind möglich, aber selten.

Der schmale Grat zwischen Leidenschaft und Gier
Natürlich droht bei all dem auch eine Entzauberung der Musik selbst. Wer Platten nur noch in Hüllen lässt, um sie wertsteigernd zu konservieren, hat das Medium eigentlich schon verraten. Die beste Sammlung ist immer noch die, die gehört wird – und wenn dabei mal ein Knacken mehr entsteht, dann ist es eben Teil der Geschichte.
Vinyl zu sammeln bedeutet, sich auf eine Gratwanderung einzulassen: zwischen dem Genuss und dem Geschäft, zwischen Nostalgie und Kalkül. Doch wer mit Herz, Ohr und Verstand dabei ist, wird schnell feststellen: Das schwarze Gold klingt nicht nur gut – es kann auch eine verdammt gute Anlage sein.

22.06.25- Hybridgitarren im Grenzbereich – Warum kein Hersteller eine simple, aber revolutionäre Option anbietet

Grafik: KI hotpot.ai

Hybridgitarren – also Instrumente, die die Welt der klassischen (zumeist nylonsaitigen) Gitarre mit modernen Verstärkungs- und Bühnenlösungen verbinden – sind längst keine Randerscheinung mehr. Marken wie Godin, Cordoba, Ibanez oder Harley Benton (Thomann) bieten inzwischen Modelle an, die speziell Bühnenmusikerinnen und -musikern den Zugang zu einem differenzierten Nylon-Sound ermöglichen sollen. Doch trotz technischer Raffinesse, trotz MIDI-Optionen, Piezo-Mikros und edler Vorverstärkerlösungen bleibt eine zentrale Frage unbeantwortet: Warum kann man bei keinem dieser Hersteller ganz einfach den Hals an die eigenen Bedürfnisse anpassen?
Die Antwort ist ebenso banal wie ernüchternd: Offenbar denken die Konstrukteure dieser Gitarren nicht in den Dimensionen echter Gitarristenhände – und schon gar nicht in der Welt der klassischen Gitarrenliteratur. Was nützt eine perfekt verstärkte Nylon-Hybridgitarre, wenn die Griffbrettbreite ein präzises Spiel vieler klassischer oder auch moderner Stücke schlicht unmöglich macht? In der Welt der Konzertgitarre sind Halsbreiten zwischen 48, 50, 52 und sogar 54 Millimetern absolut üblich – und entscheidend, wenn es um das saubere Greifen komplexer Polyphonie oder diffiziler Lagenwechsel geht. Doch in der Hybridwelt herrscht Einheitsbrei: 48 mm, wenn überhaupt.
Dabei wäre die Lösung technisch schlicht. Viele Hybridmodelle – etwa von Godin oder Harley Benton – besitzen ohnehin verschraubte Hälse. Ein modulares System, bei dem man verschiedene Halsbreiten bestellen oder nachrüsten kann, wäre ein minimaler Mehraufwand mit maximalem Nutzen. Die Möglichkeit, seine persönliche Wohlfühlbreite zu wählen, würde aus der Stange ein echtes „Custom-Light“-Instrument machen – vor allem für ernsthafte Nylonspieler, die auf der Bühne keine Kompromisse eingehen wollen.
Gerade Godin, ein Pionier der Hybridtechnik mit Modellen wie der „Grand Concert“ oder der „Multiac Nylon“, könnte sich hier innovativ positionieren – tut es aber nicht. Vielmehr zementiert der Hersteller eine eigenwillige Produktlogik: Die Grand Concert bietet einen angenehm breiten 50-mm-Hals, jedoch nur 19 Bünde. Die Nashville-Variante bringt es auf 22 Bünde, aber reduziert die Halsbreite auf 48 mm – was das Instrument für ernsthafte klassische Literatur faktisch disqualifiziert. Ein echtes Bühneninstrument für Nylonspieler mit korrekter Mensur, vollem Tonumfang und individuell wählbarer Halsbreite? Fehlanzeige.
Cordoba, die sich gern als klassische Gitarrenbauer mit moderner Ausrichtung präsentieren, bieten ebenfalls keine Auswahl bei der Halsbreite. Selbst Ibanez, die mit ihrer „Crossover“-Serie eine Brücke bauen wollen, verharren im 48-mm-Limbo. Und Harley Benton? Trotz ambitionierter Preis-Leistung und modularer Bauweise bietet auch Thomanns Hausmarke keine einfache Option zur Halsanpassung.
Hier liegt das eigentliche Versäumnis: Die Hybridgitarre könnte längst das ideale Allround-Instrument sein – tragbar, bühnentauglich, flexibel, kompromisslos. Doch sie wird zu oft als ein Nischenprodukt behandelt, das Gitarristen mit ernsthaften Ansprüchen keine echte Wahl lässt. Der Markt schreit nach einer Lösung – was fehlt, ist lediglich der Wille zur konsequenten Umsetzung. Wer ihn als erster aufbringt, hätte nicht nur ein Verkaufsargument in der Hand, sondern könnte Hybridgitarren aus der technischen Randzone in die Mitte der musikalischen Realität führen.

21.06.25- Im Schatten des Ruhms – Zum Tod von Patrick Walden

Andrew Kendall
CC BY-SA 2.5 Wikimedia Commons

Der Tod von Patrick Walden ist eine stille Nachricht in einer lauten Welt – aber gerade deshalb eine bedeutsame. Bekannt wurde er als Gitarrist der Babyshambles, jener chaotisch-genialen Band um den notorisch unberechenbaren Pete Doherty. Walden war nie die schillernde Figur im Rampenlicht, aber einer der stillen Motoren im Hintergrund: ein Gitarrist von eigenwilligem, oft verstörend fragilem Stil, der wesentlich zur Ästhetik einer Band beitrug, die irgendwo zwischen Selbstzerstörung und musikalischem Genie taumelte.
Die offizielle Mitteilung seines Todes, verbreitet über die sozialen Medien, ist kurz, vage und auf Zurückhaltung bedacht. Kein Wort zur Todesursache. Kein Rückblick auf eine Laufbahn, die mehr Fragen als Antworten hinterlässt. Auch das ist bezeichnend: Waldens Karriere war immer ein Zwischenton. Einer, der nicht recht zur Pose der britischen Rockszene passen wollte, die gerne entweder heroisch oder tragisch daherkommt.
Dabei hätte er das Talent gehabt, selbst als Solokünstler zu bestehen. Sein Spiel auf dem Babyshambles-Debüt Down in Albion war oft das musikalische Rückgrat einer Band, die sich live regelmäßig selbst zerlegte. Seine Gitarrenlinien waren brüchig und verwaschen wie die Nächte, aus denen sie geboren wurden – und genau deshalb so authentisch. Walden war kein Virtuose im klassischen Sinne, sondern ein Musiker, der mit Sound Geschichten erzählte, ohne sie zu dekorieren.
Doch was bleibt von einem Künstler wie ihm, wenn das Licht der Öffentlichkeit erlischt? In einer Branche, die sich an Skandalen weidet, blieb Walden trotz persönlicher Probleme und zwischenzeitlichem Drogenabsturz immer eine Art Randfigur. Vielleicht gerade deshalb, weil er nie wirklich ein Image bedienen wollte. Nach seinem Ausstieg bei den Babyshambles 2006 tauchte er nur sporadisch wieder auf – etwa in kleinen Projekten, oder bei gelegentlichen Auftritten mit alten Weggefährten. Nichts davon wurde groß vermarktet. Kein Comeback, keine kalkulierte Inszenierung der eigenen Geschichte.
Patrick Waldens Leben war eng mit den Schattenseiten des Musikerdaseins verknüpft – vor allem mit der Drogensucht, die ihn früh begleitete und letztlich seine Karriere immer wieder aus der Bahn warf. Wie viele Musiker seiner Generation bewegte er sich in einem Umfeld, in dem der Konsum harter Substanzen nicht nur geduldet, sondern oft romantisiert wurde. Doch bei Walden war nie klar, ob er Teil dieser Selbstinszenierung war – oder einfach ein Mensch, der den inneren Absturz nicht mehr aufhalten konnte. Seine wiederholten Klinikaufenthalte, Rückzüge aus der Öffentlichkeit und der abrupte Ausstieg bei Babyshambles im Jahr 2006 sprechen von einer zerstörerischen Spirale, aus der er sich nie ganz befreien konnte. Der Preis für seine Sensibilität und musikalische Tiefe war offenbar hoch – zu hoch für ein System, das Genialität oft nur duldet, wenn sie sich marktfähig zerstört.
Dass sein Tod nun lediglich mit der Bitte um „Respekt und Privatsphäre“ kommentiert wird, ist einerseits verständlich. Andererseits verdeutlicht es die Tragik vieler Musikerkarrieren abseits der Schlagzeilen: Menschen, die große Kunst geschaffen haben, ohne je wirklich in einer sicheren Realität angekommen zu sein. Die Gitarrengabe vom Vater im Alter von 13 Jahren war der Anfang einer Reise, deren Ziel nun ein jähes Ende fand – ohne Pathos, aber mit vielen offenen Fragen.
Es ist zu hoffen, dass in den nächsten Tagen mehr über Patrick Walden gesprochen wird als nur die lakonische Nachricht seines Todes. Vielleicht erinnert man sich doch noch an diesen eigenwilligen Klang, an diesen brüchigen Stil, der einer zerrissenen Zeit eine Stimme gegeben hat. Und vielleicht spricht man dann auch über all die stillen Existenzen im Musikbetrieb, die nicht in die Frontlinie des Ruhms drängen – und doch unersetzlich sind.

20.06.25- Justin Bieber – Zwischen Ruhm und Zerbrechlichkeit

Rudy Mancuso
CC BY 3.0 Wikimedia Commons

Er war gerade einmal 13 Jahre alt, als Justin Bieber mit selbstgedrehten YouTube-Videos zum globalen Popphänomen wurde. Millionen Fans lagen ihm zu Füßen, „Baby“ lief in Dauerschleife im Radio, der Teenager aus Kanada wurde zur Projektionsfläche einer ganzen Generation. Doch hinter dem glänzenden Image des Superstars offenbarte sich früh ein seelischer Abgrund, der bis heute Spuren hinterlässt. Die Geschichte von Justin Bieber ist nicht nur die eines Popwunders, sondern auch die eines jungen Menschen, der am Druck der Industrie und an sich selbst zu zerbrechen drohte.
Schon in jungen Jahren zeigte sich, wie sehr Ruhm und mentale Gesundheit kollidieren können. Bieber wurde nicht erwachsen – er wurde berühmt. Statt normaler Jugendjahre prägten Welttourneen, Interviews und Kontroversen seine Entwicklung. Was nach außen wie ein glamouröses Leben erschien, war innerlich von Desorientierung und Überforderung durchzogen. Er sprach später selbst davon, wie das frühe Rampenlicht ihn entfremdete, süchtig machte – nach Bestätigung, Drogen, Kontrolle.
Der Wendepunkt kam nicht mit einem Skandal, sondern mit einem Eingeständnis: Der Popstar legte eine Pause ein, sagte Konzerte ab, sprach offen über Depressionen, Angststörungen, Schlaflosigkeit. In Interviews erzählte er von Schuldgefühlen, davon, wie Ruhm ihn korrumpiert und von sich selbst entfremdet habe. Besonders schwer wog sein Eingeständnis, sich zeitweise selbst nicht mehr gemocht zu haben. Seine Ehe mit Hailey Baldwin wurde oft als Rettungsanker stilisiert – dabei zeigt sie vor allem eins: den Versuch, in einem zerfallenen Selbstbild Halt zu finden.
Auch sein von Kopf bis Fuß tätowierter Körper erzählt eine eigene, düstere Geschichte. Was für viele wie ein modisches Stilmittel wirkt, erscheint bei Justin Bieber fast wie ein verzweifelter Versuch, Kontrolle über den eigenen Körper zurückzugewinnen – ein Körper, der schon als Teenager zum Produkt, zur Projektionsfläche, zur Ware wurde. Jede Tätowierung, ob religiös, symbolisch oder biografisch, wirkt wie ein sichtbares Protokoll innerer Unruhe: Löwen, Kreuze, Schriftzüge, Totenköpfe – sie bedecken beinahe jeden Zentimeter seiner Haut. Es ist, als wolle er das Unsichtbare sichtbar machen, Schmerz in Tinte bannen, Identität auf eine zersplitterte Hülle schreiben. Dass ausgerechnet diese radikale Selbstbemalung Teil seiner Selbsttherapie geworden ist, darf als weiteres Indiz eines gestörten Seelenlebens gelesen werden – einer ständigen Suche nach sich selbst im Spiegel eines Körpers, der längst allen gehört hat, nur nicht ihm selbst.
Biebers musikalische Entwicklung ist dabei ein Spiegel seiner inneren Kämpfe. Die Songs wurden introspektiver, melancholischer, oft durchzogen von einer schmerzhaften Selbstsuche. Stücke wie „Lonely“ oder „Ghost“ sprechen nicht mehr zur jubelnden Teenie-Masse, sondern wirken wie Briefe an sein jüngeres Ich – an den Jungen, der einst in Stratford auf der Straße Musik machte und nicht ahnte, wie teuer sich Erfolg anfühlen kann. Die Produktion bleibt poliert, aber die Oberfläche kann nicht mehr verbergen, dass darunter etwas zersprungen ist.
Justin Bieber ist kein gefallener Star, er ist ein Mensch auf der Suche – nach Ruhe, nach Bedeutung, vielleicht auch nach einem Leben jenseits der Erwartungen. Sein kaputtes Seelenleben ist dabei nicht nur sein persönliches Drama, sondern ein Menetekel für den Preis des frühen Ruhms. Die Popindustrie, die ihn groß gemacht hat, sieht nicht gerne hin, wenn ihre Wunderkinder zu zerbrechen drohen. Doch Bieber zwingt zum Hinschauen – mit seiner Musik, mit seiner Offenheit, mit seiner Verletzlichkeit. Und vielleicht liegt darin seine größte künstlerische Leistung.

19.06.25- Clapton und Santana träumen vom globalen Woodstock

Eva Rinaldi
CC BY-SA 2.0 Wikimedia Commons

Wenn zwei Gitarrenlegenden wie Carlos Santana und Eric Clapton sich zusammentun, um ein globales Musikfestival für den Frieden zu organisieren, horcht die Musikwelt auf. Ihr Plan: Ein Event nach dem Vorbild von Woodstock – nur größer, globaler, mit Stationen in San Francisco, New York, London und womöglich darüber hinaus. Die Idee wirkt auf den ersten Blick idealistisch, ja fast überfällig in einer Zeit, in der Kriege und gesellschaftliche Spaltung das Weltgeschehen prägen. Doch wie realistisch ist ein solches Projekt – und wo liegen die Fallstricke?
Carlos Santana, der aktuell auf seiner "Oneness Tour 2025" unterwegs ist, formuliert es klar: Musik soll die Antwort auf Angst, Hass und Gewalt sein. „Man gewinnt nicht mit Bomben, man gewinnt mit Liebe“, sagt der 77-Jährige. Und Eric Clapton, der dieses Jahr seinen 80. Geburtstag feierte, teilt diese Vision. Beide wollen nicht nur Nostalgie bedienen, sondern aktiv gesellschaftliche Veränderung anstoßen – mit Musik als Vehikel für Hoffnung.
Doch gerade weil die Idee so groß ist, sind die Risiken ebenso vielfältig. Zunächst wäre da die politische Dimension. Ein Festival für den Frieden – von Künstlern aus dem Westen organisiert – birgt das Potenzial, als moralisierender Appell wahrgenommen zu werden. Welche Stimmen werden eingeladen, welche ausgeschlossen? Wird das Projekt global gedacht oder bleibt es letztlich doch westlich dominiert? In einer multipolaren Welt mit wachsenden Spannungen könnte ausgerechnet ein gut gemeintes Event als kultureller Imperialismus missverstanden werden.
Auch logistisch und finanziell ist ein globales Friedensfestival ein Kraftakt. Mehrere Großveranstaltungen in verschiedenen Metropolen zu koordinieren, braucht nicht nur Millionenbeträge, sondern auch die Zusammenarbeit mit lokalen Behörden, Sicherheitskräften und Sponsoren. Die Erfahrungen mit anderen global gedachten Musikprojekten – von Live Aid bis Global Citizen – zeigen, wie schnell gute Absichten im organisatorischen Chaos oder in PR-Gefechten zwischen Künstlern, Veranstaltern und Medien zerfasern können.
Nicht zuletzt stellt sich die Frage nach der Wirkung. Kann ein Musikfestival tatsächlich etwas gegen reale Kriege und die Ohnmacht ganzer Bevölkerungen ausrichten? Oder bleibt es ein symbolischer Akt – wirkungsvoll für die westliche Mittelschicht, aber fernab der Lebensrealität derer, die am dringendsten Frieden brauchen? Santana und Clapton bewegen sich mit ihrem Projekt auf einem schmalen Grat zwischen Utopie und Selbstvergewisserung.
Und doch: Es ist eben dieser utopische Impuls, der der Musik seit jeher innewohnt. Woodstock war nicht perfekt – aber es war ein kultureller Meilenstein. Wenn zwei der einflussreichsten Musiker des 20. Jahrhunderts heute noch an die Kraft der Musik glauben und damit Menschen inspirieren, lohnt es sich vielleicht, über Risiken nicht nur zu sprechen, sondern sie auch bewusst in Kauf zu nehmen.
Denn ohne Idealismus, das wussten schon Dylan und Hendrix, wäre jede Revolution nur Lärm.

18.06.25- Ravel und der „Boléro“ – Triumph des Zweifels

Als Maurice Ravel 1928 seinen „Boléro“ uraufführen ließ, geschah etwas Unerwartetes: Das Publikum war hingerissen, ja berauscht – von einem Werk, das der Komponist selbst mit großer Skepsis betrachtete. „Ich habe nur ein Meisterwerk gemacht, das ist der Boléro, leider enthält es keine Musik“, soll Ravel später einmal gesagt haben. Es war ein halb ironisches, halb resigniertes Urteil über jenes Stück, das ihn weltberühmt machte – und zugleich bis heute eines der meistdiskutierten Werke der Musikgeschichte bleibt.
Der Boléro entstand ursprünglich als Auftragswerk für die Tänzerin Ida Rubinstein. Was Ravel ablieferte, war keine typische Ballettmusik, sondern eine fast experimentelle Studie in Monotonie und Steigerung. Der Kompositionsprozess selbst war von Unsicherheit begleitet. Ravel, ein Mann mit höchstem Anspruch an Form und Detail, hatte zunächst ganz andere Pläne: Er wollte spanische Volkslieder instrumentieren – ein Projekt, das er schließlich verwarf. Stattdessen konzentrierte er sich auf ein einziges, obsessiv wiederholtes Thema, das sich durch alle Instrumentengruppen des Orchesters schiebt – immer gleich in der Melodie, immer neu im Klang.
Diese Idee war für Ravel selbst nicht ohne Risiko. Schon während der Arbeit plagten ihn Zweifel: War das überhaupt noch Komposition im klassischen Sinne? Die Melodie – kaum mehr als ein Marschmotiv – wird nicht entwickelt, nicht transformiert, nicht kontrapunktisch verarbeitet. Sie wird schlicht wiederholt. Was wächst, ist allein das Orchester: Von der einsamen Flöte bis zum Tutti mit Schlagwerk und Blechbläsern. Die Spannung entsteht durch das unbarmherzige Festhalten an der Wiederholung – ein Konzept, das in seiner Radikalität fast schon wie ein Vorgriff auf Minimal Music wirkt.
Die Reaktionen der Zeitgenossen waren gespalten. Einige erkannten die geniale Konstruktion hinter der scheinbaren Simpelheit. Andere – wie Toscanini, der das Werk berühmt machte – gerieten mit dem Komponisten über das Tempo in Streit. Ravel störte sich daran, dass Toscanini das Werk schneller aufführte als beabsichtigt, um den Effekt zu steigern. Es war ein weiteres Zeichen dafür, wie wenig Kontrolle der Komponist über sein Werk hatte, das längst ein Eigenleben entwickelte.
Ironischerweise wurde gerade der Boléro zu Ravels populärstem Stück. In seinem Spätwerk, das oft von Zerrissenheit und innerer Fragilität geprägt ist, wirkt dieses Werk fast wie ein architektonischer Monolith. Doch hinter der statischen Fassade verbirgt sich ein psychologisches Drama – das Drama eines Komponisten, der ein Werk erschuf, das seinen eigenen ästhetischen Überzeugungen zuwiderlief und dennoch einen Nerv traf, den das Publikum bis heute spürt.
Der Boléro ist kein Tanz, sondern eine Obsession. Keine Variation, sondern eine Behauptung. Und vielleicht liegt gerade in diesem Wagnis der eigentliche künstlerische Mut Ravels: Dass er der Wiederholung vertraute, wo andere auf Entwicklung setzten. Dass er den Zweifel zuließ – und sich dennoch auf das Risiko einließ.

17.06.25- Alfred Brendel ist tot – Abschied von einem Denker am Klavier

Jiyang Chen
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Alfred Brendel, einer der bedeutendsten Pianisten des 20. Jahrhunderts, ist im Alter von 94 Jahren in London gestorben. Mit seinem Tod verliert die Musikwelt nicht nur einen außergewöhnlichen Interpreten, sondern auch einen scharfsinnigen Denker und wortgewandten Essayisten. Brendel war weit mehr als ein Virtuose am Klavier – er war ein Künstlerphilosoph, der die Musik nicht nur spielte, sondern in all ihren geistigen, historischen und emotionalen Dimensionen durchdrang.
Sein Repertoire umfasste die zentralen Werke der Wiener Klassik – Beethoven, Mozart, Schubert – doch es war vor allem seine unvergleichliche Art, diese Musik zu lesen, zu durchleuchten und in klangliche Klarheit zu übersetzen, die ihn weltberühmt machte. Brendels Interpretationen zeichneten sich durch analytische Tiefe und poetische Zurückhaltung aus, durch einen intellektuellen Ernst, der nie in akademische Trockenheit abglitt. Dabei stellte er sich stets in den Dienst der Komponisten, nie in den Vordergrund.
Brendel war ein Autodidakt, der ohne das übliche Konservatoriumsstudium seinen Weg fand – eine Seltenheit in der Welt der klassischen Musik. Sein Denken über Musik dokumentierte er in zahlreichen Schriften, die ebenso geschätzt werden wie seine Aufnahmen. Er schrieb mit Witz, Scharfsinn und einer fast literarischen Eleganz über die Kunst des Spielens, über Komik in der Musik, über das Hören und Verstehen – und gab der Klassik damit eine Stimme, die auch außerhalb des Konzertsaals Gehör fand.
Auch nach seinem Rückzug von der Bühne 2008 blieb er als Autor, Lehrer und öffentlicher Intellektueller aktiv. Bis zuletzt verfolgte er das Musikleben mit wachem Geist, reflektierte über Kunst und Gesellschaft und mischte sich mit Haltung in aktuelle Debatten ein. Alfred Brendel war eine Instanz – nicht im Sinne von Autorität, sondern als Maßstab künstlerischer und geistiger Redlichkeit.
Mit seinem Tod geht eine Ära zu Ende. Was bleibt, sind seine Aufnahmen, seine Texte – und das Vorbild eines Musikers, der sich nie mit bloßer Virtuosität begnügte, sondern der Musik stets als Ausdruck von Menschlichkeit verstand.

16.06.25- Pierre Boulez – Klangarchitekt der Moderne und Brückenbauer zu Zappa

Label: Rykodisc ‎– VACK-1253
CD, Album, Limited Edition

Wenn man an die prägendsten Figuren der Neuen Musik im 20. Jahrhundert denkt, fällt ein Name unweigerlich: Pierre Boulez. Der französische Komponist, Dirigent, Theoretiker und Impulsgeber revolutionierte nicht nur die musikalische Sprache der Nachkriegszeit, sondern verschob auch die Grenzen dessen, was Musik sein kann – im Denken wie im Hören.

Der Weg zur Avantgarde
Geboren 1925 in Montbrison, Frankreich, studierte Boulez zunächst Mathematik, bevor er sich ganz der Musik verschrieb. Unter Olivier Messiaen am Pariser Konservatorium entwickelte er seine ersten kompositorischen Ideen, die stark von Serialismus und später vom Post-Webernismus beeinflusst waren. Werke wie „Le Marteau sans maître“ (1955) zeugen von seiner Vorliebe für strenge Struktur, raffinierte Instrumentation und eine neue Art von Expressivität – jenseits von Romantik, aber voller innerer Spannung.
Boulez wurde rasch zum zentralen Kopf der europäischen Avantgarde. Als Mitbegründer der Darmstädter Ferienkurse und späterer Direktor des IRCAM in Paris prägte er Generationen von Komponist:innen und Musiker:innen. Er war auch ein brillanter Dirigent, der sowohl Mahler als auch Debussy, aber auch seine Zeitgenossen wie Stockhausen, Ligeti und eigene Werke mit analytischer Klarheit interpretierte.

Der Dirigent als Visionär
In seiner Arbeit mit Orchestern – insbesondere dem BBC Symphony Orchestra und den New Yorker Philharmonikern – zeigte sich Boulez als kompromissloser Modernist. Seine Aufnahmen von Bartók, Schönberg und Strawinsky gelten als Referenz. Doch was ihn besonders auszeichnete, war seine Fähigkeit, scheinbar unvereinbare Welten zu verbinden: strukturierte Komplexität und emotionale Tiefe, intellektuelle Strenge und sinnliche Klanglichkeit.

Ein ungewöhnlicher Schulterschluss: Boulez und Zappa
Eine der überraschendsten Episoden in Boulez’ Karriere war seine Zusammenarbeit mit Frank Zappa, dem legendären amerikanischen Musiker, Gitarristen und Komponisten, der selbst nie vor musikalischen Grenzüberschreitungen zurückschreckte.
1984 erschien das Album „The Perfect Stranger“, das Zappa selbst produzierte. Es enthält sieben Stücke, drei davon dirigierte Pierre Boulez mit dem von ihm gegründeten Ensemble InterContemporain in Paris. Diese Werke – „The Perfect Stranger“, „Naval Aviation in Art?“ und „Dupree’s Paradise“ – zeigen eine faszinierende Schnittmenge zwischen Zappas kompositorischem Humor, struktureller Raffinesse und Boulez’ kontrolliertem Klangideal.
Dass Boulez, der gerne als „musikalischer Generalstabsoffizier“ beschrieben wurde, sich auf Zappas unorthodoxe, teils dadaistisch anmutende Musiksprache einließ, war für viele ein Schock – und ein Beweis für seine Offenheit. Tatsächlich verband die beiden mehr als man denken mag: die Faszination für Struktur, das Interesse an neuen Technologien, die Skepsis gegenüber Dogmen.
Zappa sagte einmal: „Boulez is the only conductor who ever took my music seriously.“ Ein bemerkenswertes Kompliment – von einem Künstler, der sich zeitlebens über alle Konventionen hinwegsetzte.

Ein bleibendes Erbe
Pierre Boulez starb 2016 im Alter von 90 Jahren. Sein Einfluss auf das Musikdenken der Moderne ist kaum zu überschätzen. Er war ein kompromissloser Neuerer, ein Klangdenker im besten Sinne – und ein Mann, der bereit war, auch jenseits des traditionellen Konzertbetriebs musikalische Allianzen einzugehen.
Dass er sich für Frank Zappa öffnete – und umgekehrt –, ist ein Sinnbild für eine Haltung, die das 20. Jahrhundert dringend brauchte und auch im 21. Jahrhundert nicht verloren gehen darf: Musik als offene, diskursive, ernsthafte und zugleich spielerische Kunstform.

15.06.25- Täuschend echt – Wie KI die Musikgeschichte neu schreibt und dabei ihre Seele verliert

Hk kng
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Auf den ersten Blick wirkt Rumba Congo wie eine vergessene Schatztruhe der Weltmusik. Ein Album, das angeblich 1973 in Havanna entstand, eingespielt von einer Band namens Concubanas, die eine visionäre Mischung aus kubanischer und kongolesischer Musik erschaffen haben soll. Die YouTube-Beschreibung ist detailliert: Gründungsjahr 1971, Auflösung 1992, unzählige musikalische Perlen hinterlassen. Es klingt zu schön, um wahr zu sein. Und genau das ist es auch. Concubanas hat nie existiert. Die Musik ist nicht alt, nicht analog, nicht menschlich. Sie ist synthetisch. Erzeugt von einer Künstlichen Intelligenz. Die „Bandgeschichte“ ist ein Stück digitaler Fiktion, generiert aus dem Nichts – oder vielmehr: aus ein paar gut formulierten Prompts.
Diese Art der Täuschung ist kein Einzelfall mehr, sondern Teil einer wachsenden Strömung. Mit Plattformen wie Suno, Boomy oder Udio lässt sich in Sekundenschnelle Musik in beliebigen Genres erzeugen – auf Knopfdruck, algorithmisch korrekt, emotional leer. Was früher als nettes Gimmick für Hintergrundbeschallung begann, hat sich mittlerweile tief in die klangliche Oberfläche der Streamingwelt gegraben. Jazz, Rock, Salsa, Rumba – kein Stil scheint sicher vor der Nachahmung durch Code. Die technische Qualität überrascht oft, täuscht aber über das eigentliche Problem hinweg: Es fehlt der Mensch dahinter.
Die meisten dieser Produktionen geben sich nicht einmal als KI-generiert zu erkennen. YouTube verlangt zwar die Offenlegung synthetischer Inhalte, doch der Hinweis „altered or synthetic“ erscheint unscheinbar am Ende langer Beschreibungen – wenn überhaupt. Auf Spotify existieren derzeit keinerlei Kennzeichnungspflichten. Das Ergebnis: Millionen hören täglich Musik, ohne zu wissen, dass kein einziger Ton von einem Menschen stammt. Die kulturelle Bedeutung, die Herkunft, das Leben hinter der Musik – all das ist plötzlich irrelevant.
Besonders perfide wirkt das bei Kanälen wie Zaruret, die sich ganz dem Spiel mit Fiktionen verschrieben haben. Neben Concubanas gibt es dort auch Phantasia, eine angeblich japanische Prog-Jazz-Band mit detaillierter (ebenfalls erfundener) Historie, komplett mit imaginären Alben und Mitgliederwechseln. Die Musik? Solide produziert, ohne Zweifel – aber in Wahrheit ebenso fiktiv wie das begleitende Narrativ. Die Kommentare unter den Videos reichen von nostalgischem Enthusiasmus bis zu ironischen CIA-Anekdoten. Der Humor ist durchschaubar, der kulturelle Schaden real.
Denn was auf den ersten Blick als harmloser Spaß erscheint, untergräbt auf Dauer das Vertrauen in die Musik als Ausdruck menschlicher Erfahrung. Wenn jeder Track eine Täuschung sein kann, wenn jede Geschichte erfunden ist, was bleibt dann noch übrig? Ein algorithmisches Rauschen im Hintergrund unseres Alltags. Hört man Rumba Congo mit dem Wissen um seine Herkunft, verliert es seinen Zauber. Die Melodien mögen bewegen – aber sie erzählen nichts. Sie verweisen nicht auf ein Leben, eine Haltung, ein Gefühl. Sie sind musikalische Maskerade.
Während Streamingdienste wie Spotify die Verantwortung von sich weisen und YouTube halbherzige Transparenzregeln einführt, bleibt die Frage offen, wie mit dieser neuen Form von „Kunst“ umzugehen ist. Solange künstlich erzeugte Inhalte nicht klar und sichtbar gekennzeichnet werden, ist jede Rezeption von Musik mit einem Grundmisstrauen verbunden. Musik wird austauschbar, Künstler unsichtbar. Der Klang bleibt – aber die Verbindung fehlt.
In einer Zeit, in der jeder Hörer, jede Hörerin ständig zwischen Authentizität und Illusion schwankt, ist der Ruf nach klarer Trennung keine rückwärtsgewandte Kulturpanik, sondern ein notwendiger Schritt zum Schutz der Kunstform selbst. Musik darf vieles sein – aber sie darf nicht zur bloßen Täuschung werden.

14.06.25- Ricky Shayne: Abschied von einer Schlagerlegende mit rauer Seele

Ricky Shayne, einst gefeierter Schlagerstar, ist im November 2024 im Alter von 81 Jahren in Berlin verstorben – still und fernab der Öffentlichkeit, so wie er es sich gewünscht hatte. Erst Monate später wurde sein Tod bekannt. Bis zuletzt an seiner Seite war seine Lebensgefährtin Martina Wehner, die seine letzten Jahre mit großer Hingabe begleitete. In einem Interview schilderte sie, wie Ricky, der sich in den letzten Lebensmonaten nur noch mit einem Rollator fortbewegen konnte, sich selbst den Rückzug aus der Öffentlichkeit auferlegte. Er sprach nicht über seine Krankheit und wollte, dass man glaube, er sei einfach auf Reisen.
Seine Karriere begann in den 1960er-Jahren, als er aus dem Libanon nach Europa kam und zunächst in Italien erste Erfolge als Popsänger feierte. Doch erst in Deutschland gelang ihm der große Durchbruch. Mit seinem rauchigen Timbre, mediterranem Charme und einer markanten Bühnenpräsenz wurde Ricky Shayne zu einem Idol der Schlagerwelt. 1971 gelang ihm mit der deutschen Version von „Mamy Blue“ ein Hit, der ihn in der "ZDF-Hitparade" an die Spitze katapultierte und bis heute mit seinem Namen verbunden bleibt. Weitere Lieder wie „Ich sprenge alle Ketten“ unterstrichen seinen Stil – emotional, kraftvoll, immer ein wenig zwischen Rebellion und Sentimentalität schwankend.
Doch der Ruhm war nicht von Dauer. Mitte der 1970er-Jahre zog sich Ricky Shayne schrittweise aus dem Rampenlicht zurück. Der Versuch, sich in anderen Bereichen wie dem Textilhandel oder als Kioskbesitzer ein neues Standbein aufzubauen, blieb ohne nachhaltigen Erfolg. Die große Bühne verlor er, doch die Erinnerung an seine Auftritte blieb – bei ihm ebenso wie bei seinen Fans. Sein letztes großes Comeback hatte er 2021 bei der Jubiläumsausgabe der „ZDF-Hitparade“, wo er noch einmal „Mamy Blue“ sang. Es war ein Moment voller Nostalgie und Würde – ein kurzer, aber strahlender Rückblick auf das, was ihn einst ausmachte.
Im Alter lebte Ricky Shayne zurückgezogen, materiell bescheiden und von seiner kleinen Rente abhängig. Doch in Martina fand er eine Lebensgefährtin, die ihn nicht nur pflegte, sondern ihm auch emotionale Sicherheit schenkte. Sie war für ihn weit mehr als eine Partnerin – sie wurde seine Stütze, seine Kraftquelle. In einem seiner letzten Interviews sprach er davon, dass er ohne sie längst nicht mehr da wäre. Ihr gegenüber offenbarte er seine tiefste Dankbarkeit, sprach von Erlösung – und zeigte damit, dass Liebe und Nähe für ihn am Ende wichtiger waren als Ruhm oder Reichtum.
Mit seinem Tod endet ein Kapitel deutscher Schlagergeschichte, das durch Stimme, Charisma und Menschlichkeit geprägt war. Ricky Shayne bleibt in Erinnerung – nicht nur als Sänger, sondern als Mensch mit Ecken, Kanten und großem Herz.

13.06.25- Nirvana, YouTube und die digitale Rebellion: Eine kritische Betrachtung der Grunge-Szene im Netz

Maxi Single 45rpm
Cover Privat - DGC – GET 21 673 / 1991

Nirvanas „Smells Like Teen Spirit“ hat kürzlich einen bemerkenswerten Meilenstein erreicht: Mehr als 15 Jahre nach seiner ersten Veröffentlichung auf YouTube wurde das Video über zwei Milliarden Mal angesehen – und das als erstes Musikvideo aus dem Grunge-Genre. Noch erstaunlicher ist, dass die zweite Milliarde Aufrufe nur etwa halb so viel Zeit benötigte wie die erste. Das zeigt: Der Einfluss von Nirvana ist nicht verblasst, auch wenn sich die Welt, in der ihre Musik gehört wird, radikal verändert hat.
YouTube präsentiert diesen Erfolg als kulturellen Triumph, fast so, als sei die Grunge-Bewegung nie verschwunden. Doch wer sich erinnert, wofür Nirvana und ihre Musik einst standen, erkennt schnell einen Widerspruch. Grunge war Rebellion gegen die Industrie, gegen Hochglanzproduktionen und gegen genau jene Strukturen, die heute über den Algorithmus von YouTube das globale Musikverständnis formen. Ausgerechnet eine Band, die sich gegen den Mainstream stellte, ist nun einer der Stars einer Plattform, die massenhafte Sichtbarkeit und Werbeerträge als oberste Prinzipien verinnerlicht hat.
Man könnte argumentieren, dass YouTube ein wertvolles digitales Archiv sei. Millionen Menschen weltweit können mit einem Klick auf die Musik vergangener Jahrzehnte zugreifen. Doch anders als ein echtes Archiv, das um Kontext und Kuration bemüht ist, funktioniert YouTube nach kommerziellen Prinzipien. Sichtbarkeit wird nicht durch kulturelle Bedeutung erzeugt, sondern durch Klickzahlen und Nutzerverhalten. So wird selbst ein Lied wie „Smells Like Teen Spirit“, das einst als Sprachrohr für eine desillusionierte Jugend galt, heute zum Content wie jeder andere. Eingebettet zwischen Werbespots, Empfehlungen und autoplay-Schleifen verliert die Musik ihre Reibung, ihren Widerstand, ihren Ort im Hier und Jetzt.
Dabei begann alles mit Intuition und Zufall. Nirvanas Schlagzeuger Dave Grohl erinnerte sich in einem Interview zum 30. Jubiläum von „Nevermind“ an die spontane Entstehung des Songs. Die Band spielte in einem schlichten Proberaum, Kurt Cobain experimentierte mit Riffs, ohne dass irgendjemand wusste, welchen Status dieser Song einmal erreichen würde. Der Song war nicht kalkuliert – er war Ausdruck eines Moments, eines Gefühls, eines Spiels mit Klang. Heute hingegen ist „Smells Like Teen Spirit“ Teil eines dauerhaften Streaming-Zyklus, der weniger von Momenten als von Dauer bestimmt ist.
Dass „Nevermind“ auch mehr als 30 Jahre nach seiner Veröffentlichung noch in den US-Charts vertreten ist, wirkt wie eine Anerkennung dieser Geschichte – aber auch wie eine Art musealer Status. Die Platte steht sinnbildlich für die Fähigkeit des Systems, selbst seine Kritiker zu vereinnahmen. Was früher als Protest galt, wird heute als Klassiker gefeiert – was nicht unbedingt ein Widerspruch sein muss, aber doch eine Verschiebung markiert.
Der digitale Siegeszug von Nirvana ist also auch eine Geschichte über die Transformation von Musik, über die Verschiebung von Kontexten und über die Art, wie Erinnerung heute funktioniert. Grunge war einst Ausdruck von Frust, Entfremdung und Ablehnung gegenüber der Konsumwelt. Auf YouTube ist er Teil dieser Welt geworden – glanzvoll, weltweit abrufbar und perfekt in Szene gesetzt. Das mag einerseits ein Triumph sein, andererseits aber auch ein stiller Verlust.

12.06.25- Mit Witz, Wissen und Weitblick: Abi von Reininghaus und sein Kultbuch "In Vivo Guitar"

Auge=mit
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Von einem Musikpädagogen erwartet man mitunter eine trockene Vermittlung von Skalen, Arpeggien und Harmonielehre. Dass es auch anders geht – humorvoll, geistreich und zugleich tief fundiert – zeigt Abi von Reininghaus eindrucksvoll in seinem mittlerweile legendären Gitarrenbuch In Vivo Guitar.
Das Werk, das Anfang der 1990er Jahre aus seiner gleichnamigen Kolumne in der Fachzeitschrift Gitarre & Bass hervorging, gilt bis heute als Geheimtipp unter Gitarrist:innen, die mehr suchen als nur ein weiteres Techniklehrbuch. Von Reininghaus bezeichnete es selbst augenzwinkernd als Verstehbuch – ein Begriff, der viel über den Anspruch und Charakter dieses Werkes verrät.
Denn In Vivo Guitar ist kein klassischer Lehrgang mit Übungen zum stupiden Nachspielen, sondern eine Sammlung kluger Gedanken über Musik, Improvisation, Klangbewusstsein und musikalisches Denken. Es geht ums Verstehen, nicht ums Auswendiglernen. Wer hier nach einer vollständigen Fingersatzschule sucht, liegt falsch – wer jedoch bereit ist, sich auf Reflexion, spielerisches Denken und eine Prise subversiven Humors einzulassen, wird reich belohnt.
Von Reininghaus bringt dabei seine ganze Bandbreite an Erfahrung ein: als Performer mit Rock-, Jazz- und Klassik-Hintergrund, als GIT-Absolvent, als langjähriger Dozent, aber auch als ironischer Beobachter der Gitarristenszene. So ist In Vivo Guitar vollgepackt mit Denkanstößen, Analogien und stilistisch überraschenden Querverbindungen – etwa, wenn harmonische Zusammenhänge anhand von Alltagsphänomenen erklärt werden oder sich musikphilosophische Fragen zwischen den Zeilen verstecken.
Dass der Autor dabei immer wieder Humor als didaktisches Mittel einsetzt, ist kein Zufall. Wer seine Kolumnen kennt, weiß: Von Reininghaus nimmt die Materie ernst – sich selbst jedoch nie zu sehr. Er erlaubt sich Seitenhiebe auf Gitarrenklischees, parodiert die Technikhörigkeit vieler Nachwuchsvirtuosen und spricht mit entwaffnender Offenheit über eigene Lernerfahrungen.
Diese unprätentiöse Art, gepaart mit inhaltlicher Tiefe, hat In Vivo Guitar zu einem echten Kultbuch gemacht. Noch heute berichten Gitarrist:innen davon, wie sie durch von Reininghaus’ Perspektivwechsel ein plötzliches Aha-Erlebnis hatten – sei es beim Thema Akkordverbindungen, beim Improvisieren oder schlicht bei der Frage, warum ein Ton eigentlich gut klingt.
Dass das Buch längst vergriffen ist, tut seiner Wirkung keinen Abbruch – im Gegenteil. In einschlägigen Foren kursieren immer wieder Zitate daraus, und viele Leser:innen haben es über Jahre hinweg wie ein musikalisches Tagebuch immer wieder zur Hand genommen.
Abi von Reininghaus beweist mit In Vivo Guitar, dass Musikpädagogik nicht langweilig oder belehrend sein muss. Vielmehr kann sie, wenn sie mit Tiefgang und Witz betrieben wird, zu einem echten Wegbegleiter für Musiker:innen aller Stile werden – auch Jahrzehnte nach dem ersten Druck.

Fazit: In Vivo Guitar ist weit mehr als ein Gitarrenbuch – es ist ein kluger, humorvoller und inspirierender Kompass für musikalisches Denken. Wer es besitzt, sollte es in Ehren halten. Wer es noch nicht kennt, sollte es unbedingt suchen.

11.06.25- Brian Wilson ist tot – Der musikalische Visionär der Beach Boys stirbt mit 82 Jahren

J-Ham2000
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Brian Wilson, der legendäre Mitbegründer und kreative Kopf der Beach Boys, ist im Alter von 82 Jahren gestorben. Die Nachricht seines Todes wurde am 11. Juni 2025 von seiner Familie bestätigt. Wilson, der mit bahnbrechenden Kompositionen und Arrangements die Popmusik revolutionierte, hinterlässt ein unvergleichliches Erbe, das weit über die sonnigen Surfsounds seiner Jugendjahre hinausreicht.
Geboren 1942 in Inglewood, Kalifornien, wuchs Wilson in einer musikalischen Familie auf und gründete 1961 gemeinsam mit seinen Brüdern Carl und Dennis, seinem Cousin Mike Love und Schulfreund Al Jardine die Band, die später als The Beach Boys weltberühmt wurde. Früh schon fiel seine Fähigkeit auf, komplexe Harmonien mit eingängigen Melodien zu verbinden. Songs wie „Surfin' USA“, „California Girls“ oder „I Get Around“ verkörperten das Lebensgefühl einer Generation und machten die Band zum Inbegriff des amerikanischen Westküsten-Traums.
Doch Wilson war weit mehr als ein talentierter Hitmacher. Mitte der 1960er zog er sich aus dem Tourleben zurück, um sich ganz der Studioarbeit zu widmen. Das Resultat war 1966 das epochale Album „Pet Sounds“, das bis heute als Meilenstein der Popgeschichte gilt. Mit Stücken wie „God Only Knows“ und „Wouldn’t It Be Nice“ stellte er die emotionale Tiefe und technische Raffinesse populärer Musik neu unter Beweis – und beeinflusste unter anderem die Beatles, die das Album als Inspiration für ihr eigenes Werk „Sgt. Pepper’s Lonely Hearts Club Band“ nannten.
Wilson führte jedoch auch einen lebenslangen Kampf mit psychischen Erkrankungen. Nach einem Nervenzusammenbruch zog er sich in den späten 1960er-Jahren weitgehend aus der Öffentlichkeit zurück. Es folgten Jahre der Isolation, Drogenprobleme und umstrittener Therapieversuche, ehe ihm in den 1990er-Jahren ein Comeback gelang – unterstützt von seiner Ehefrau Melinda Ledbetter, die auch sein Manager wurde. Sie half ihm, kreative Projekte wie das lange verschollene Album „Smile“ zu vollenden, das 2004 endlich offiziell erschien und von Kritik und Publikum gefeiert wurde.
Der Tod seiner Frau im Januar 2024 markierte einen tiefen Einschnitt in Wilsons späteres Leben. Kurz darauf wurde bei ihm eine fortschreitende Demenz diagnostiziert, und ein Gericht stellte ihn unter Vormundschaft. Trotz allem blieb er in den Herzen seiner Fans präsent – als Symbol einer künstlerischen Vision, die selbst Dunkelheit in Schönheit verwandeln konnte.
Die Reaktionen auf seinen Tod fielen entsprechend bewegt aus. Tochter Carnie Wilson sprach in sozialen Medien davon, dass ihr Vater „jeder Faser ihres Wesens“ entsprochen habe. Musikerinnen wie Nancy Sinatra und Weggefährten wie Mike Love oder Al Jardine würdigten ihn als Genie, dessen Einfluss auf die Musikgeschichte nicht hoch genug einzuschätzen sei. Elton John, Paul McCartney und viele weitere internationale Stars äußerten ihre tiefe Trauer.
Brian Wilson war ein Getriebener, ein Träumer, ein Pionier. In seinem Schaffen verband sich kalifornische Leichtigkeit mit existenzieller Tiefe. Seine Musik war nicht bloß Begleitung für Sommertage – sie war Seelensprache. Nun ist eine der schillerndsten Stimmen der Popmusik verstummt. Doch ihr Echo wird bleiben – in Harmonien, die nie altern.

10.06.25- David Byrne kündigt neues Album Who Is The Sky? für den 5. September an

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David Byrne hat offiziell sein neues Studioalbum Who Is The Sky? angekündigt, das am 5. September über Matador Records erscheinen wird. Es ist sein erstes Soloalbum seit dem hochgelobten American Utopia aus dem Jahr 2018.
Zur Ankündigung veröffentlichte der frühere Talking-Heads-Frontmann die erste Single Everybody Laughs – ein beschwingter, lebensbejahender Track, der bereits jetzt Lust auf mehr macht. Produziert wurde das Album von Tom Hull alias Kid Harpoon (u.a. bekannt für seine Arbeit mit Harry Styles), während die Arrangements von dem in New York ansässigen Kammerensemble Ghost Train Orchestra übernommen wurden.
Über den Song sagte Byrne: „Jemand sagte mal zu mir: ‚David, du verwendest das Wort everybody ziemlich oft.‘ Und ja, wahrscheinlich stimmt das – es ist mein Weg, das Leben in New York aus einer anthropologischen Perspektive zu betrachten. Jeder lebt, stirbt, lacht, weint, schläft und starrt an die Decke. Jeder trägt die Schuhe von jemand anderem – na gut, nicht jeder, aber ich habe es getan.“
Byrne ergänzte: „Ich wollte über Dinge singen, die zunächst negativ wirken könnten – aber ausgeglichen werden durch den Groove und die Melodie, die zum Ende hin immer hoffnungsvoller klingen. Vor allem, wenn St. Vincent und ich gemeinsam lautstark singen. Musik kann Gegensätze gleichzeitig halten. Das habe ich auch gemerkt, als ich dieses Jahr mit Robyn gesungen habe. Ihre Songs sind oft traurig, aber die Musik selbst ist voller Freude.“
Produzent Kid Harpoon erklärte: „Es hat einen Moment gedauert, bis mir klar wurde: Diese Songs sind sehr persönlich – aber eben durch Davids einzigartige Sichtweise auf das Leben gefiltert.“ Besonders die Demo zu Everybody Laughs habe ihn beim Spazieren in New York bewegt: „Sie hat mich daran erinnert, dass wir im Grunde alle gleich sind – wir lachen, wir weinen, wir singen.“
Das Album Who Is The Sky? enthält laut Byrne mehr erzählerische Songs als sonst und wartet zudem mit spannenden Gastauftritten auf: Mit dabei sind unter anderem Hayley Williams (Paramore), St. Vincent und Tom Skinner von The Smile.
Mit 73 Jahren zeigt sich Byrne befreit: „In meinem Alter stellt sich eine gewisse ‚Mir ist egal, was die Leute denken‘-Haltung ein. Ich weiß inzwischen, wer ich bin und was ich tue – das gibt mir die Freiheit, aus meiner Komfortzone auszubrechen.“
Er fügte hinzu: „Jeder Song ist trotzdem ein neues Abenteuer. Nicht jede Zusammenarbeit funktioniert, aber wenn sie klappt, dann weil ich klar kommunizieren kann, was ich erreichen will. Und dann bewegen wir uns gemeinsam auf ein unbekanntes Ziel zu.“
Zur Veröffentlichung des Albums wird Byrne mit einer 13-köpfigen Band, bestehend aus Musiker:innen, Sänger:innen und Tänzer:innen, auf Welttournee gehen. Start ist am 14. September im Veterans Memorial Auditorium in Providence. Die Tour führt ihn quer durch Nordamerika – darunter zwei Shows im legendären Radio City Music Hall in New York sowie Auftritte im Dolby Theatre in Los Angeles.
Ab Januar 2026 tourt Byrne durch Australien und Neuseeland, im Februar folgt eine sechswöchige Europa-Tour. In Großbritannien stehen Konzerte in Cardiff, Manchester, Glasgow und drei Abende in Londons Eventim Apollo auf dem Plan.

09.06.25- Funk-Pionier Sly Stone ist tot – ein Gitarrenstil, der die Musik veränderte

Foto: Chris Hakkens
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Der US-amerikanische Musiker und Funk-Visionär Sly Stone ist tot. Er starb im Alter von 82 Jahren im Kreis seiner Familie nach einem langen Kampf gegen eine Lungenerkrankung und weiteren gesundheitlichen Problemen, wie seine Band mitteilte.
Geboren als Sylvester Stewart im März 1943 in Denton, Texas, wuchs er in einer musikalischen Familie auf und entwickelte früh ein Gespür für verschiedene Genres. Seinen Spitznamen „Sly“ erhielt er bereits in der Grundschule – ursprünglich eine fehlerhafte Aussprache seines Namens durch einen Mitschüler, die sich bald als Künstlername etablierte.
Mit seiner Band Sly & the Family Stone prägte er in den 1960er- und 70er-Jahren nicht nur den Funk, sondern veränderte das Verständnis von populärer Musik in den USA grundlegend. Hits wie „Everyday People“, „Thank You (Falettinme Be Mice Elf Agin)“ oder „Family Affair“ verschmolzen Soul, Psychedelic Rock, Gospel und Jazz zu einem neuen Sound, der gleichzeitig politisch und tanzbar war – und besonders gitarrengetrieben.

Der Gitarrenstil von Sly & the Family Stone: Funk mit Rhythmus, Biss und Raum
Ein zentrales Element im Sound der Band war die Funkgitarre, die in ihrer Spielweise einen radikalen Bruch mit der Rocktradition vollzog. Gitarristen wie Freddie Stone, Slys Bruder, und später auch Gastmusiker wie Larry Graham am Bass (dessen Slap-Technik ebenfalls stilprägend wurde), entwickelten einen Stil, der sich durch präzise rhythmische Akzente, perkussive Anschläge und sparsame, aber hochenergetische Riffs auszeichnete.
Statt Melodien oder Soli zu dominieren, wurde die Gitarre im Funk – und besonders bei Sly – zum rhythmischen Motor: kurze, synkopierte Akkorde, oft auf den Backbeats gespielt, bildeten zusammen mit Bass und Schlagzeug ein eng verzahntes rhythmisches Netz. Charakteristisch war auch der Einsatz von Wah-Wah-Pedalen, Palm Muting und das gezielte Einsetzen von Silence – dem Spiel mit der Leerstelle als stilistisches Mittel.
Diese Technik beeinflusste nicht nur spätere Funk-Acts wie Parliament-Funkadelic oder Prince, sondern auch Pop, Hip-Hop und sogar Post-Punk.

Ein Vermächtnis, das weit über den Funk hinausreicht
Sly Stones Innovationsgeist bestand nicht nur in der musikalischen Mischung und der politischen Botschaft seiner Texte, sondern auch in der multikulturellen und geschlechterübergreifenden Besetzung seiner Band – ein damals revolutionäres Konzept.
Sein Einfluss auf die moderne Musik ist kaum zu überschätzen. Ohne Sly Stone wären Funk, Soul und Hip-Hop nicht das, was sie heute sind – und auch das Gitarrenspiel hätte eine andere Richtung genommen.

08.06.25- Der kubanische Percussionist Changuito ist gestorben

Changuito - Lp Cover
Infos: https://www.lavanguardia.com

Der kubanische Schlagzeuger José Luis Quintana Fuentes – besser bekannt unter seinem Künstlernamen Changuito – ist im Alter von 76 Jahren in Havanna verstorben. Mit ihm verliert die Musikwelt nicht nur einen der größten Percussionisten des 20. Jahrhunderts, sondern auch einen der einflussreichsten Architekten der modernen lateinamerikanischen Rhythmik.
Changuito war mehr als ein Virtuose – er war ein Visionär. Als Gründungsmitglied der legendären Band Los Van Van prägte er ab den 1970er-Jahren entscheidend die Entstehung und Entwicklung des Songo: einer rhythmischen Innovation, die sich aus der Tradition afrokubanischer Musik speiste, aber Jazz, Funk, Rock und Soul aufgriff und in einem neuartigen, urbanen Klangbild verschmolz. Der Songo, von Changuito maßgeblich geformt, öffnete die Türen zu neuen Ausdrucksformen in der kubanischen Tanzmusik und beeinflusste weltweit Generationen von Percussionisten.
Geboren 1948 im Hafenviertel Casablanca in Havanna, zeigte sich Changuitos außergewöhnliches Rhythmusgefühl schon in der Kindheit. Doch seine Bedeutung geht weit über technische Meisterschaft hinaus: Sein Spiel auf Timbales, Congas, Bongos und dem Drumset verband komplizierte Polyrhythmen mit scheinbarer Leichtigkeit und musikalischer Logik. Besonders seine Fähigkeit, gleichzeitig mehrere rhythmische Ebenen zu spielen – etwa mit Händen, Stöcken und Füßen auf verschiedenen Instrumenten – revolutionierte das Percussionsspiel in der lateinamerikanischen Musik.
Die Verschmelzung traditioneller kubanischer Clave-Strukturen mit Einflüssen aus Jazzimprovisation und nordamerikanischem Funk machte ihn zum Impulsgeber der „Timba“, einer Weiterentwicklung des Son Cubano, die in den 1990er-Jahren die Tanzflächen Lateinamerikas eroberte. Changuitos Handschrift ist in den rhythmischen Fundamenten dieser Stilrichtung deutlich hörbar – durch synkopierte Basslinien, flexible Akzentverschiebungen und ein hochenergetisches Zusammenspiel von Percussion und Gesang.
Neben seiner Pionierarbeit mit Los Van Van wirkte Changuito an zahlreichen internationalen Produktionen mit. Besonders erwähnenswert sind drei Grammy-prämierte Alben: Habana (1998), La rumba soy yo (2001) und Lágrimas Negras (2004). Sie zeigen ihn nicht nur als Perkussionisten, sondern als musikalischen Vermittler zwischen Kulturen, der afrikanische Wurzeln, karibische Lebensfreude und globale Musiktraditionen in einem pulsierenden Herzschlag vereinte.
Auch als Pädagoge war Changuito eine Schlüsselfigur: Er unterrichtete an renommierten Institutionen wie der Universidad de las Artes in Havanna, der Universität von Puerto Rico und dem Berklee College of Music in Boston. Seine Schüler, darunter Emilio Vega, Samuel Formell, Giovanni Hidalgo und Karl Perazzo, führen sein Erbe in vielfältigen Musikrichtungen weiter. Seine Lehrmethoden, bei denen er komplexe Rhythmen in klar nachvollziehbare Bewegungsmuster übersetzte, gelten heute als Standard in der internationalen Percussion-Ausbildung.
Changuito war Träger zahlreicher Auszeichnungen, darunter der Alejo-Carpentier-Medaille, und ein hochgeachtetes Mitglied der kubanischen Künstlerunion UNEAC. In seiner Heimat galt er als lebende Legende – doch seine Wirkung reichte weit über Kuba hinaus. Musiker in Lateinamerika, den USA, Europa und Asien greifen bis heute auf seine Konzepte zurück, wenn sie mit afrokaribischen Rhythmen arbeiten oder neue Wege in der Weltmusik beschreiten.
Nach seinem Tod veröffentlichte Los Van Van eine bewegende Würdigung: Changuito sei ein „Genie der kubanischen Percussion“ gewesen, dessen unverwechselbarer Stil die rhythmische Sprache Kubas für immer verändert habe.
Mit Changuito endet ein Kapitel, das die Rhythmik Lateinamerikas auf unvergleichliche Weise geprägt hat. Doch sein Takt bleibt – in jeder Clave, in jeder improvisierten Conga-Phrase, in jedem Schritt auf den Tanzflächen der Welt.

07.06.25- Macht, Missbrauch und das vermeintliche Ende einer Ära: Der Fall Sean Combs

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Von einer Hip-Hop-Ikone zum Zentrum eines schockierenden Skandals: Sean "Diddy" Combs steht derzeit vor Gericht, konfrontiert mit schwerwiegenden Vorwürfen, die seine jahrzehntelange Karriere in einem düsteren Licht erscheinen lassen. Ihm werden mehrere Sexualstraftaten zur Last gelegt, darunter Vergewaltigung, Nötigung und der Missbrauch von Machtstrukturen. Die Staatsanwaltschaft zeichnet das Bild eines Mannes, der sein Prominentendasein ausgenutzt haben soll, um Frauen und Männer unter Androhung von Gewalt zu Drogen- und Sexpartys zu zwingen. Combs bestreitet alle Vorwürfe.
Was den Fall so brisant macht, ist nicht nur der Inhalt der Anklage, sondern das Ausmaß an systemischem Missbrauch, das er offenlegt. Die Aussagen der Zeuginnen, darunter Jane – Combs' mutmaßlich letzte Partnerin vor seiner Festnahme – sowie seiner früheren Freundin Cassandra "Cassie" Ventura, zeichnen das Bild eines Milieus, in dem Einschüchterung, Schweigen und Loyalität eingefordert wurden, und in dem moralische wie rechtliche Grenzen systematisch verwischt wurden.
Jane berichtet vor Gericht, Combs habe sie zweimal dazu gebracht, illegale Drogen über Landesgrenzen hinweg zu transportieren. Als sie Bedenken äußerte, sei sie von einem ranghohen Mitarbeiter beruhigt worden: "Das mache ich dauernd." Solche Aussagen deuten nicht nur auf individuelle Schuld, sondern auf ein gut organisiertes System der Komplizenschaft hin – ein Netzwerk, das möglicherweise jahrelang weggesehen oder aktiv mitgewirkt hat.
Es ist auffällig, wie lange diese mutmaßlichen Taten unentdeckt oder unbehelligt blieben. Dass prominente Persönlichkeiten über lange Zeiträume hinweg ungestraft agieren konnten, ist kein neues Phänomen. Der Fall Combs reiht sich ein in eine Serie von Aufdeckungen über Machtmissbrauch in der Unterhaltungsbranche – von Harvey Weinstein über R. Kelly bis hin zu Russell Simmons. Es stellt sich einmal mehr die Frage: Warum haben so viele Menschen weggesehen? Warum versagen Kontrollmechanismen, wenn Ruhm und Reichtum ins Spiel kommen?
Der laufende Prozess bringt nicht nur das Leben einer einzelnen Person vor Gericht, sondern auch eine ganze Industrie in Erklärungsnot. Die zentrale Frage lautet: Können sich Strukturen, in denen Machtmissbrauch möglich ist, tatsächlich verändern – oder wird erneut ein Einzelfall abgeurteilt, während das System bestehen bleibt?
Ein Schuldspruch könnte Combs lebenslange Haft einbringen. Doch selbst wenn es dazu kommt, wäre dies nicht das "Ende" dieser Geschichte, sondern nur der Beginn einer längst überfälligen Aufarbeitung. Die schiere Zahl an mutmaßlichen Opfern und die systematische Vorgehensweise sprechen dafür, dass es sich nicht um einzelne Grenzüberschreitungen, sondern um ein langfristiges Macht- und Gewaltverhältnis handelt.
Der Prozess gegen Sean Combs wird voraussichtlich noch mehrere Wochen dauern. Was jedoch bereits jetzt deutlich wird: Unabhängig vom Ausgang wird er ein weiteres Mahnmal dafür sein, wie gefährlich unkontrollierte Macht in einem System werden kann, das Stars zu Göttern stilisiert – und sie zu lange unangreifbar erscheinen lässt.

06.06.25- Hymne gegen das Schweigen: Pet Shop Boys ehren Nawalny – und kritisieren Putins Russland

Der Tod des russischen Oppositionspolitikers Alexei Nawalny im Februar 2024 war kein natürlicher. Er war das Ergebnis eines Systems, das politische Gegner als Bedrohung betrachtet, statt als Ausdruck demokratischer Vielfalt. Inmitten einer sozialen und kulturellen Verödung setzt das autoritäre Russland auf Einschüchterung, Isolation und die systematische Vernichtung unabhängiger Stimmen – ein Zustand, den man nicht anders als verkommen bezeichnen kann.
Die britische Band Pet Shop Boys zeigt nun, wie Kultur auch in dunklen Zeiten Hoffnung spenden kann. Mit dem neuen Song „Hymn (In memoriam Alexei Navalny)” und einem geplanten Auftritt bei der Gedenkveranstaltung This Is Navalny in Berlin erheben sie ihre Stimme gegen die moralische Bankrotterklärung des Kremls. Gemeinsam mit russischen Künstlern wie Aigel oder Grechka entsteht ein Gegenbild zum staatlich verordneten Zynismus: eines, das auf Mitgefühl, Würde und Widerstand basiert.
Die Lage in Russland ist desolat: Zivilgesellschaftliche Organisationen wurden zerschlagen, Medien gleichgeschaltet, abweichende Meinungen kriminalisiert. Der Kultur wird ihre kritische Funktion genommen – übrig bleibt ein Apparat aus Propaganda, Patriarchat und Paranoia. Wer widerspricht, landet – wie Nawalny – im Straflager. Wer bleibt, verstummt oft aus Angst.
Doch das Erbe Nawalnys, das die Pet Shop Boys so eindrucksvoll ehren, ist ein anderer Russland-Entwurf: demokratisch, transparent, offen. Dass eine westliche Popband diesen Entwurf nun musikalisch weiterträgt, während im Land selbst jede kritische Kunst zerschlagen wird, ist ein Schlaglicht auf das moralische Vakuum des gegenwärtigen russischen Regimes. Wenn Kultur aus dem Ausland an das erinnert, was im Inneren brutal unterdrückt wird, zeigt das: Das Problem ist nicht „der Westen“, sondern ein Staat, der seine eigene Bevölkerung als Feind behandelt.
Die Veranstaltung in Berlin ist deshalb mehr als ein Konzert. Sie ist ein Akt der politischen Solidarität – und eine Anklage gegen ein Russland, das sich nicht nur politisch, sondern auch kulturell ins Abseits manövriert hat. Der Erlös geht an die Stiftung You Are Not Alone, die inhaftierten politischen Gefangenen hilft – ein weiteres Zeichen, dass Menschlichkeit dort beginnt, wo Diktaturen sie verweigern.
Russland hat sich kulturell entkernt. Doch der Mut von Nawalny, das Engagement seiner Witwe Julia Nawalnaja und die Stimmen von Künstlern wie den Pet Shop Boys erinnern daran, dass es auch ein anderes Russland geben kann – wenn es denn die Freiheit zurückgewinnt, die ihm genommen wurde.

05.06.25- Rock am Ring 2025: Zwischen Vorfreude und Verkehrschaos

Noch ist die Bühne am Nürburgring still, doch rundherum tobt längst das Leben. Wer in diesen Tagen über die Felder und Hügel rund um die legendäre Rennstrecke blickt, sieht ein vertrautes Bild: Zelte wachsen aus dem Boden, Pavillons flattern im Wind, und dazwischen ziehen gut gelaunte Menschen ihre vollgepackten Bollerwagen Richtung Campingplätze. Rock am Ring ist zurück – und mit ihm das jährliche Ritual des Wartens, Staustehens und Ankommens.
Schon seit Mittwochmittag rollen die Fahrzeuge in Schlangen auf das Gelände, viele mit Musik auf Anschlag, während die Insassen geduldig das nächste Stück Asphalt erobern. Vor allem die letzten Kilometer ziehen sich wie Kaugummi. Wer früh aufgebrochen ist, hat noch vergleichsweise Glück gehabt, doch nicht wenige standen sechs Stunden oder länger im zähen Anreisestrom. Es ist ein Preis, den viele gerne zahlen, um frühzeitig die besten Plätze für Zelt und Pavillon zu sichern.
Währenddessen mischt sich die kühle Witterung mit vorsichtiger Erleichterung: Kein Starkregen, keine Schlammlawinen – bislang hält sich das Wetter an ein eher zurückhaltendes Drehbuch. Es nieselt ab und zu, der Wind zerrt an Planen und Jacken, aber der Boden bleibt stabil. Gummistiefel bleiben vorerst Deko, nicht Pflichtausstattung.
Mittendrin: Menschen wie Leon aus Neuss, der mit Freunden bereits am frühen Mittwochmorgen ankam. Stau inklusive. Doch statt Frust regierte Festivalhunger – es wurde gehupt, gelacht, Musik gemacht. Andere, wie Marlen aus Köln, erwischten ein besseres Zeitfenster und landeten am Donnerstagvormittag beinahe staufrei auf dem Gelände. Sie arbeitet in einer Festivalbar, kennt den Trubel hinter den Kulissen und freut sich, dass trotz der zähen Anfahrt die Stimmung auf den Plätzen entspannt ist.
Und während Techniker letzte Kabel verlegen und Foodtrucks ihre Grills anwerfen, läuft zwischen Zelten, Dixis und Dosenbier bereits das eigentliche Festivalprogramm an: Freunde treffen, neue Nachbarn kennenlernen, alte Rituale aufleben lassen. Noch ist es nur der Auftakt – aber am Nürburgring spürt man schon: Der Funke ist übergesprungen.

04.06.25- Alicia de Larrocha – Die Grande Dame des spanischen Klaviers

Reinhold Möller
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Alicia de Larrocha war nicht nur eine der bedeutendsten Pianistinnen des 20. Jahrhunderts, sondern auch eine kulturelle Brückenbauerin zwischen Spanien und der Welt. Geboren am 23. Mai 1923 in Barcelona, entwickelte sie sich von einem früh geförderten Wunderkind zu einer unvergleichlichen Interpretin des klassischen und insbesondere des spanischen Repertoires. Sie starb am 25. September 2009 in ihrer Heimatstadt – im selben Haus, in dem sie zur Welt gekommen war.
Schon im Alter von drei Jahren begann sie mit dem Klavierunterricht bei Frank Marshall, dem engen Schüler von Enrique Granados. Früh zeigte sich ihre außergewöhnliche Begabung: Mit sechs Jahren trat sie zur Weltausstellung in Barcelona auf, mit elf Jahren spielte sie ihr erstes Konzert mit Orchester. Von da an war ihr Weg vorgezeichnet.
Ihr Ruhm wuchs ab den späten 1940er-Jahren, als sie internationale Tourneen unternahm und weltweit auftrat – von Europa über Amerika bis nach Asien. Dabei arbeitete sie mit vielen der führenden Dirigenten ihrer Zeit zusammen, darunter Eugen Jochum, Zubin Mehta und Simon Rattle. Ebenso suchte sie die Zusammenarbeit mit herausragenden Künstlern wie Victoria de los Angeles oder dem Guarneri String Quartet. Ihre musikalische Tiefe verband sie mit einer Klarheit des Spiels, die sowohl Kritiker als auch Publikum begeisterte.
Alicia de Larrocha galt weltweit als unverwechselbare Botschafterin der spanischen Klaviermusik. Ihre Interpretationen des Gesamtwerks von Isaac Albéniz gelten bis heute als Referenz, ebenso wie ihre Aufnahmen der Stücke von Enrique Granados und Padre Antonio Soler. Mit tiefem Verständnis und poetischem Gespür machte sie die iberische Musiktradition auf den Konzertbühnen der Welt erfahrbar. Dabei war sie nie auf Spanien beschränkt: Auch ihr Mozart hatte Maßstabcharakter, ihr Schumann klang nie routiniert, sondern stets durchdrungen von persönlicher Handschrift.
Besonders eng war sie mit dem Komponisten Federico Mompou befreundet, der ihr mehrere seiner Werke widmete – eine Geste, die ihre Bedeutung als Interpretin auch für lebende Komponisten unterstrich. Dabei blieb de Larrocha stets geerdet. Trotz ihrer Erfolge leitete sie nach dem Tod ihres Lehrers Frank Marshall ab 1959 die Acadèmia Marshall in Barcelona, an der sie auch unterrichtete und die katalanische Pianistenschule entscheidend prägte.
Zahlreiche Auszeichnungen würdigten ihr Lebenswerk. Dreimal wurde sie mit dem Grammy Award geehrt, sie erhielt den Premio Nacional de Música, den spanischen Prinz-von-Asturien-Preis für die Künste und Ehrungen wie die Mitgliedschaft in der Königlichen Akademie der Schönen Künste sowie einen Ehrendoktortitel der University of Michigan.
Privat führte sie ein zurückhaltendes Leben. Seit 1950 war sie mit dem Pianisten Juan Torra verheiratet, der ihre Karriere mit großem Engagement unterstützte. Nach seinem frühen Tod 1982 widmete sie sich verstärkt ihrer Familie – und blieb zugleich bis ins hohe Alter der Musik verbunden.
Alicia de Larrocha war eine Künstlerin, die nie laut auftreten musste, um nachhaltig zu wirken. Ihr Vermächtnis lebt in ihren Einspielungen und im Gedächtnis jener weiter, die sie auf der Bühne erlebt haben – mit einer Musik, die von leiser Autorität, tiefer Leidenschaft und technischer Meisterschaft zeugte.

03.06.25- "Simpsons"-Komponist Alf Clausen mit 84 Jahren gestorben

Die Fernsehwelt trauert um einen der prägendsten Komponisten ihrer Geschichte: Alf Clausen ist im Alter von 84 Jahren verstorben. Wie das US-Branchenmagazin The Hollywood Reporter unter Berufung auf seine Tochter Kaarin Clausen berichtet, starb der Musiker am Donnerstag in seinem Zuhause in Valley Village, einem Stadtteil von Los Angeles. Bereits vor rund acht Jahren war bei ihm eine degenerative Gehirnerkrankung diagnostiziert worden.
Clausen zählte zu den renommiertesten TV-Komponisten seiner Generation. Weltweit bekannt wurde er vor allem durch seine Arbeit für die Zeichentrickserie Die Simpsons, für die er von 1990 bis 2017 über 500 Episoden musikalisch gestaltete. Auch Serienklassiker wie Alf oder Das Model und der Schnüffler mit Cybill Shepherd und Bruce Willis trugen seine Handschrift.
Für seine Kompositionen erhielt Clausen zahlreiche Auszeichnungen. Zwei Emmys – 1997 und 1998 – gewann er für seine Arbeit an Die Simpsons. Insgesamt war er 30-mal für den renommierten Fernsehpreis nominiert, ein beeindruckender Rekord in seiner Branche. „Ein unglaublich talentierter Mann, der der Serie so viel gegeben hat“, würdigte Simpsons-Showrunner Al Jean den Verstorbenen auf Social Media.
Geboren wurde Alf Clausen am 28. März 1941 in Minneapolis, wuchs jedoch in North Dakota auf. Während seines Musikstudiums erkannte er, dass er sich mehr zur Komposition hingezogen fühlte als zur Aufführung. Mitte der 1960er Jahre zog er nach Los Angeles, wo er eine erfolgreiche Karriere als Film- und Fernsehkomponist begann – und schließlich zu einem der einflussreichsten Vertreter seines Fachs wurde.
Alf Clausen hinterlässt seine Ehefrau Sally, mit der er seit 1993 verheiratet war, seine frühere Frau Judy, seine Tochter Kaarin, zwei Söhne, Kyle und Scott, zwei Stiefkinder, Joshua und Emily, seine Schwester Faye sowie elf Enkelkinder.

02.06.25- Teufel Lautsprecher – Direkt aus Berlin in die Ohren der Welt

Sdthuemmel
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Die Berliner Lautsprecher Teufel GmbH steht seit ihrer Gründung im Jahr 1980 für hochwertige Audiotechnik „made in Germany“. Was einst mit einfachen Bausätzen für Lautsprecher begann, hat sich längst zu einem breit aufgestellten Unternehmen für moderne Audio-Lösungen entwickelt – von Heimkinosystemen bis hin zu mobilen Bluetooth-Lautsprechern und Kopfhörern.
Ein Alleinstellungsmerkmal des Unternehmens ist der konsequente Direktvertrieb: Teufel-Produkte sind ausschließlich online erhältlich. Damit verzichtet das Unternehmen bewusst auf Zwischenhändler – zum Vorteil der Kundschaft. Denn durch den Direktvertrieb kann Teufel ein attraktives Preis-Leistungs-Verhältnis bieten, ohne bei der Qualität Abstriche zu machen.
Im Laufe der Jahre hat sich Teufel kontinuierlich weiterentwickelt. Auf klassische Hi-Fi-Lautsprecher folgten leistungsstarke Heimkinosysteme mit Mehrkanal-Ton, THX-zertifizierte 5.1-Soundbars, PC-Soundsysteme, Blu-ray-Komplettanlagen sowie eine stetig wachsende Auswahl an Kopfhörern und Streaming-Lösungen.
Ein weiterer Pluspunkt: Kundinnen und Kunden können sämtliche Produkte innerhalb einer Testphase ausprobieren und bei Nichtgefallen unkompliziert zurücksenden. Darüber hinaus gewährt das Unternehmen auf alle Produkte eine umfassende Garantie – ein Ausdruck des Vertrauens in die eigene Qualität.
Teufel zeigt, dass gute Klangqualität, innovative Technik und faire Preise kein Widerspruch sein müssen – solange man bereit ist, neue Vertriebswege zu gehen.

01.06.25- Al Foster, Meister des Jazz-Schlagzeugs, mit 82 Jahren gestorben

Schorle
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Der legendäre Jazz-Schlagzeuger Al Foster ist im Alter von 82 Jahren verstorben. Bekannt wurde er vor allem durch seine langjährige Zusammenarbeit mit Miles Davis, der seine Fähigkeit lobte, „den Groove für immer am Laufen zu halten“.
Foster, geboren 1943 in Richmond, Virginia, war ein Musiker von außerordentlicher Sensibilität und Vielseitigkeit. Er wurde Anfang der 1970er Jahre von Davis entdeckt und spielte auf einigen seiner wegweisenden Alben, darunter In Concert: Live at Philharmonic Hall (1973) und Agharta (1975). Selbst in der elektrifizierten und experimentellen Phase von Davis' Karriere war Foster ein konstanter, kreativer Anker.
Nach Davis' Rückzug 1975 spielte Foster mit Größen wie Herbie Hancock, Joe Henderson und Sonny Rollins. Als Davis 1981 auf die Bühne zurückkehrte, war Foster einer der wenigen Musiker aus der früheren Ära, den er wieder engagierte – ein Zeichen seines Vertrauens in Fosters musikalische Integrität.
Neben seiner Arbeit als Sideman trat Foster auch mit eigenen Ensembles auf, in denen er seine kompositorischen Fähigkeiten und seinen einzigartigen, lyrischen Stil unter Beweis stellte. Sein Schlagzeugspiel verband komplexe Rhythmen mit einem tiefen Gefühl für Swing und Raum – ein Markenzeichen, das ihn zu einem der gefragtesten Schlagzeuger seiner Zeit machte.
Al Fosters Tod bedeutet einen großen Verlust für die Jazzwelt. Seine Musik lebt jedoch weiter – in Hunderten von Aufnahmen und in der Erinnerung all jener, die sein Spiel erlebt haben.

31.05.25- Tom Morello von Rage Against the Machine entfesselt Anti-Trump-Wut mit Gitarren-Botschaft

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Der Gitarrist von Rage Against the Machine, Tom Morello, hat beim Boston Calling Music Festival ein deutliches politisches Statement gesetzt: Mit einer markanten Botschaft auf der Rückseite seiner Gitarre richtete er sich direkt gegen den ehemaligen US-Präsidenten Donald Trump.
Während seines Auftritts drehte Morello seine Gitarre um – darauf stand in großen Buchstaben: „F* Trump“**. Die Zuschauer reagierten mit lautem Jubel auf die unmissverständliche Botschaft. Morello, bekannt für seinen kompromisslosen politischen Aktivismus, ließ damit erneut keinen Zweifel an seiner Haltung gegenüber dem umstrittenen Politiker.
Neben der Gitarrenaktion nutzte Morello auch die Bühne, um Trumps jüngste Angriffe auf Bruce Springsteen scharf zu kritisieren. Trump hatte den legendären Musiker wiederholt öffentlich beleidigt und seine Relevanz infrage gestellt. Morello konterte deutlich: „Bruce Springsteen hat mehr für Amerika getan als Trump jemals könnte. Er ist ein Künstler des Volkes – Trump ist nur ein Narzisst.“
Tom Morello ist nicht nur Gitarrist bei Rage Against the Machine, sondern auch ehemaliges Mitglied von Audioslave und Prophets of Rage. Seit Jahrzehnten setzt er sich für soziale Gerechtigkeit, Arbeiterrechte und gegen Rassismus ein. Mit seiner Aktion beim Boston Calling reiht er sich in eine lange Tradition politischer Proteste in der Musik ein – und beweist einmal mehr, dass seine Gitarre nicht nur ein Instrument, sondern auch eine Waffe ist.
„Die Wahrheit laut spielen“ – das ist Tom Morellos Motto. Und in Boston hat er sie wieder einmal laut und klar ausgesprochen.

30.05.25- Per Nørgård – Ein Gigant der modernen Musik

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Der dänische Komponist Per Nørgård ist im Alter von 92 Jahren gestorben – und mit ihm verliert die Musikwelt eine der prägendsten Persönlichkeiten der zeitgenössischen Komposition. Nørgård hinterlässt ein beeindruckendes musikalisches Lebenswerk, das weit über die Grenzen Dänemarks hinaus Anerkennung fand.
In seinem Heimatland wird er oft als größter Komponist seit Carl Nielsen bezeichnet – ein Titel, den er sich mit einem Œuvre von rund 400 Werken redlich verdient hat. Darunter befinden sich acht Symphonien, sechs Opern, zahlreiche Chor- und Kammermusikwerke sowie Filmmusik, die seine außergewöhnliche stilistische Vielfalt belegen. Sein Werk zeugt von einer ständigen Suche nach neuen Ausdrucksformen und einem tiefen Verständnis für musikalische Strukturen.
Internationale Bekanntheit erlangte Nørgård unter anderem durch die Musik zum Oscar-prämierten Film „Babettes Fest“ (1988), bei der er seine Fähigkeit bewies, Klang und Emotion meisterhaft zu verbinden. Auch in der Neuen Musik war er ein Innovator: Mit seiner sogenannten „Unendlichkeitsskala“ entwickelte er ein Tonsystem, das ihn von vielen seiner Zeitgenossen unterschied und Komponisten weltweit beeinflusste.
Für sein Schaffen wurde Nørgård vielfach ausgezeichnet, darunter mit dem renommierten Ernst von Siemens Musikpreis, einem der bedeutendsten Preise der klassischen Musik.
Loui Törnqvist von Nørgårds Verlag Edition Wilhelm Hansen brachte es auf den Punkt: „Per Nørgårds musikalische Bedeutung kann nicht genug unterstrichen werden.“ Über mehr als sieben Jahrzehnte hinweg blieb Nørgård ein neugieriger Geist, der seine kompositorische Sprache stets weiterentwickelte – kompromisslos, tiefgründig und visionär.
Mit seinem Tod verliert die Welt einen der letzten großen Vertreter der europäischen Moderne – seine Musik aber wird weiterleben.

29.05.25- Macht, Angst und Missbrauch – Die erschütternden Aussagen der Ex-Assistentin von Sean "Diddy" Combs

Im laufenden Gerichtsverfahren gegen Sean "Diddy" Combs wird ein düsteres Bild von dessen Machtmissbrauch und Gewaltbereitschaft gezeichnet. Besonders brisant sind die Aussagen seiner langjährigen Assistentin Capricorn Clark, die von einem von Kontrolle, Einschüchterung und psychischem Terror geprägten Arbeitsumfeld berichtet.

Ein Alltag zwischen Luxus und Überleben
Clark arbeitete über Jahre hinweg an der Seite des Musikmoguls – und beschreibt ihren Job nicht als glamourös, sondern als existenziell belastend. Sie war täglich fast rund um die Uhr verfügbar, organisierte exzessive Feiern, bei denen laut ihrer Aussage Drogen und sexuelle Eskalationen zum Programm gehörten. Der Druck war so groß, dass sie körperlich darunter litt – bis hin zu Haarausfall.
Morddrohungen und Waffengewalt
Einen besonders erschreckenden Vorfall schildert Clark aus dem Jahr 2011: Nachdem Combs erfahren hatte, dass seine Ex-Freundin Cassie Ventura möglicherweise mit Rapper Kid Cudi in Kontakt stand, zwang er Clark mit vorgehaltener Waffe, ihn zum Haus von Cudi zu begleiten. Sein Ziel sei klar gewesen: Cudi zu töten. Die Assistentin musste ihn nicht nur fahren, sondern später auch Cassie unter Zwang anrufen – um sie zur Kooperation zu bewegen. Für Clark war das ein traumatisches Erlebnis, bei dem sie sich selbst in Lebensgefahr sah.

Gewalt gegen Frauen als wiederkehrendes Muster
Clark sagte zudem aus, dass sie mehrmals Zeugin brutaler Übergriffe Combs' auf Cassie wurde. Sie berichtete davon, wie Cassie von dem Rapper geschlagen und getreten wurde – und wie sie selbst bedroht wurde, als sie dazwischengehen wollte. Die Aussagen fügen sich in eine Kette ähnlicher Vorwürfe ein: Der Musikproduzent soll Frauen über Jahre hinweg systematisch missbraucht und kontrolliert haben. Die Anklage stützt sich dabei auf Dutzende Zeugenaussagen und umfangreiches Beweismaterial.

Einschüchterung als Methode
Auch nach außen hin scheinbar kleinere Vorfälle offenbaren die toxische Kontrolle, die Combs offenbar ausübte. Als wertvoller Schmuck verschwand, wurde Clark tagelang verhört und zu Lügendetektortests gezwungen. Dabei sei ihr mehrfach mit körperlicher Gewalt gedroht worden – unter anderem damit, sie in den East River zu werfen, falls sie nicht „die Wahrheit“ sage.
Nach ihrer Entlassung drohte Combs ihr, sie werde beruflich ruiniert sein und sich das Leben nehmen müssen. Dennoch kehrte Clark einige Jahre später zu ihm zurück – aus finanzieller Not, wie sie selbst sagt.

Ein System der Angst
Was Clark schildert, ist nicht nur das Verhalten eines Einzelnen, sondern das eines ganzen Systems. Eines Systems, das auf Angst, Abhängigkeit und Einschüchterung basiert. Ihre Aussagen werfen ein Licht auf die Strukturen im Hintergrund der Musikindustrie, in denen Machtmissbrauch allzu oft gedeckt oder ignoriert wird.
Sean Combs bestreitet weiterhin alle Vorwürfe. Doch wenn sich die Aussagen der Zeuginnen und Zeugen bestätigen, könnte dieses Verfahren nicht nur das Ende seiner Karriere bedeuten – sondern ein Symbolfall für die Konsequenzen von Machtmissbrauch auf höchstem Niveau werden.

28.05.25- Dietrich Fischer-Dieskau: Zwischen Weltkrieg und Weltbühne – Das vielschichtige Erbe eines Jahrhundertkünstlers

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Auch mehr als ein Jahrzehnt nach seinem Tod bleibt Dietrich Fischer-Dieskau eine prägende Figur der klassischen Musikszene. Der Bariton, der wie kaum ein anderer das Kunstlied des 20. Jahrhunderts prägte, war nicht nur Sänger, sondern auch Dirigent, Maler, Autor und Lehrer. Sein Wirken reicht weit über die Grenzen des Konzertsaals hinaus – und wirft bis heute Fragen auf: Was bleibt von einem Künstler, der nicht nur Maßstäbe setzte, sondern auch polarisierte?

Der Anfang in schwerer Zeit
Fischer-Dieskaus Biografie ist eng verwoben mit der Geschichte des 20. Jahrhunderts. 1925 in Berlin geboren, wurde er während des Zweiten Weltkriegs zur Wehrmacht eingezogen. In Italien geriet er in amerikanische Kriegsgefangenschaft – ein Bruch in seinem Leben, der zugleich ein Anfang war: Im Lager setzte er autodidaktisch seine Gesangsstudien fort und gab seine ersten Konzerte für Mitgefangene. Nach seiner Rückkehr nach Deutschland debütierte er 1947 – eher zufällig – im „Deutschen Requiem“ von Brahms. Ein kranker Kollege musste ersetzt werden, Fischer-Dieskau sprang ein. Der Rest ist Musikgeschichte.
Sein eigentlicher Karrierestart folgte kurz darauf: 1948 sang er erstmals Schuberts „Winterreise“ für den RIAS – ein Werk, das ihn sein ganzes Leben begleiten sollte. Noch im selben Jahr wurde er Ensemblemitglied der Städtischen Oper Berlin. Kurz darauf folgten erste Plattenaufnahmen, internationale Gastspiele, ein Debüt bei den Salzburger Festspielen unter Wilhelm Furtwängler und 1954 der Auftritt bei den Bayreuther Festspielen. Seine Karriere führte ihn auf die großen Bühnen der Welt: die Carnegie Hall, die Bayerische Staatsoper, die Wiener Staatsoper, das Royal Opera House in London. Sein Repertoire umfasste rund 3.000 Lieder von etwa 100 Komponisten.

Die Stimme einer Ära
Fischer-Dieskau galt als Vordenker des Liedgesangs. Was vor ihm vor allem klangschön und stilisiert war, interpretierte er mit intellektuellem Tiefgang und sprachlicher Klarheit. Wo andere das Ideal „prima la musica, poi le parole“ pflegten, rückte er das Wort ins Zentrum. Diese ästhetische Umwälzung, vor allem im deutschsprachigen Kunstlied, machte ihn zum Leitstern ganzer Sänger-Generationen. Besonders Schubert, Schumann, Brahms und Mahler lagen ihm am Herzen – ebenso wie die Musik der Moderne: Er engagierte sich für Werke von Aribert Reimann, Hans Werner Henze und sang die Uraufführung von Benjamin Brittens „War Requiem“ 1962 in Coventry.
An seiner Seite: bedeutende Pianisten wie Gerald Moore und Wolfgang Sawallisch, mit denen er zentrale Zyklen wie die „Winterreise“ immer wieder neu interpretierte. Sein Zugang zum Lied war analytisch, emotional, oft auch kontrovers – was ihn zur Reibungsfläche ebenso wie zur Inspiration machte.

Ein Name, der bleibt – aber wie?
Seinen letzten Bühnenauftritt hatte Fischer-Dieskau 1992 bei einer Silvestergala an der Bayerischen Staatsoper – moderiert von Vicco von Bülow, besser bekannt als Loriot. Danach widmete er sich verstärkt dem Dirigieren, der Malerei, dem Schreiben. Seit 1983 lehrte er an der Hochschule der Künste Berlin, seine Stimme hallte fortan durch Generationen junger Sängerinnen und Sänger nach.

Letzte Heimat – bleibendes Erbe
Dietrich Fischer-Dieskau starb am 18. Mai 2012, zehn Tage vor seinem 87. Geburtstag, in seinem Haus in Berg am Starnberger See. Beigesetzt wurde er in einem Ehrengrab des Landes Berlin auf dem Friedhof Heerstraße – ein Zeichen der Anerkennung, das dauerhaft bestehen bleibt, da er seit 2000 Ehrenbürger der Stadt war.
Sein Erbe bleibt ein Spannungsfeld: zwischen großer Bewunderung, kritischer Auseinandersetzung und immer wieder neuer Einordnung. Die Tatsache, dass seine Arbeit auch heute noch Debatten auslöst, zeigt: Dietrich Fischer-Dieskau war mehr als ein Sänger. Er war ein Denkender im Klang – und ist es bis heute.

27.05.25- Rick Derringer ist tot – Rückblick auf eine außergewöhnliche Karriere mit Licht und Schatten

Der US-amerikanische Gitarrist, Sänger und Produzent Rick Derringer ist am Montagabend (27. Mai) im Alter von 77 Jahren verstorben. Wie sein Betreuer Tony Wilson am Dienstag via Facebook mitteilte, starb Derringer um 20:09 Uhr im Beisein seiner Ehefrau Jenda Derringer. Über die Todesursache wurde bislang nichts bekannt, laut Variety soll Derringer jedoch bereits seit mehreren Monaten gesundheitlich angeschlagen gewesen sein.
Derringers musikalisches Vermächtnis erstreckt sich über sechs Jahrzehnte – geprägt von Virtuosität an der Gitarre und einem Gespür für eingängige Rocksongs. Berühmt wurde er Mitte der 1960er-Jahre mit der Band The McCoys und dem Nummer-eins-Hit "Hang On Sloopy". In den folgenden Jahrzehnten arbeitete der gebürtige Ohioaner mit Größen wie Cyndi Lauper, Steely Dan, Barbra Streisand, Alice Cooper, KISS und “Weird Al” Yankovic zusammen – eine bemerkenswerte Bandbreite an Genres und Künstlern.
Seine bekanntesten Songs als Solokünstler bleiben "Rock and Roll, Hoochie Koo" (1974), das Platz 23 der Billboard Hot 100 erreichte, sowie das patriotische Stück "Real American", das unter anderem als Einlaufmusik für Wrestling-Legende Hulk Hogan diente. Interessanterweise wurde der Song später auch im politischen Kontext verwendet – etwa von Barack Obama, Hillary Clinton und Donald Trump. 2017 arbeitete Derringer an einer neuen Version des Songs, die „die Nation über politische Lager hinweg einen“ sollte, wie sein damaliger Manager erklärte.
Derringer veröffentlichte in seiner Karriere vier Alben, die es in die Billboard 200 schafften, darunter All American Boy (1974) und Derringer Live (1977). Im Jahr 2002 landete er zudem mit Free Ride auf der Jazz-Albumliste – ein Beweis für seine stilistische Vielseitigkeit. Sein letztes musikalisches Lebenszeichen setzte Derringer 2022 mit dem Song "Let It Be the Blues", nachdem er 2018 zusammen mit seiner Frau Jenda ein emotionales Cover von "Always Be Your Mom" veröffentlichte.

Kritik an Exzessen – ein später Wandel?
Wie viele Rockmusiker seiner Generation war auch Derringers Karriere nicht frei von dunklen Kapiteln. In Interviews sprach er offen über die Verlockungen und Gefahren des Rock’n’Roll-Lifestyles, insbesondere über den Umgang mit Drogen. In den 1970er- und 1980er-Jahren war Derringer Teil einer Szene, in der Alkohol und Drogen allgegenwärtig waren. Später distanzierte er sich von diesen Zeiten, fand zum christlichen Glauben und trat in christlichen Medien auf. Sein Wandel wurde teils positiv aufgenommen, teils aber auch kritisch betrachtet, da er sich in den letzten Jahren politisch zunehmend konservativ positionierte.
Derringers Lebensweg war geprägt von Höhen und Tiefen – musikalisch wie persönlich. Mit seinem Tod verliert die Musikwelt einen Künstler, der Rockgeschichte mitgeschrieben hat, aber auch immer wieder Anlass zur Diskussion bot. Seine Fans erinnern sich an einen leidenschaftlichen Musiker, der mit seiner Gitarre Generationen geprägt hat.

26.05.25- Georg Neumann – Mikrofonpionier und Firmengründer

Georg Neumann wurde 1898 im brandenburgischen Chorin als Sohn eines Reichsbahnangestellten geboren. Seine technische Ausbildung absolvierte er in Berlin bei Mix & Genest sowie im AEG-Kabelwerk Oberspree unter Eugen Reisz. Später arbeitete er in der Firma von Reisz, nachdem dieser sich selbstständig gemacht hatte.
Neumann war 1923 an der Entwicklung des sogenannten Reisz-Mikrofons beteiligt, das beim ersten deutschen Rundfunksender in der Nähe Berlins zum Einsatz kam. 1928 gründete er zusammen mit Erich Rickmann die Firma Georg Neumann & Co. in Berlin. Ziel war die Herstellung von Kondensatormikrofonen, die durch die Kapazitätsänderung einer schwingenden Membran elektrische Signale erzeugen. Das CMV3 war das erste Modell, das in Serie gefertigt wurde. Die Firma stellte außerdem Geräte für die Schallplattenproduktion her.
Für die Olympischen Spiele 1936 in Berlin entwickelte Neumann ein Mikrofon mit der später bekannt gewordenen M7-Kapsel. Dieses Mikrofon konnte mit verschiedenen austauschbaren Kapseln ausgestattet werden und war eine frühe Form modularer Studiotechnik.
Während des Zweiten Weltkriegs wurde das Berliner Firmengebäude zerstört. 1943 zog das Unternehmen nach Gefell in Thüringen um, da es als kriegswichtig galt. Nach dem Krieg baute Neumann in Berlin-Kreuzberg eine neue Produktionsstätte auf und gründete die Georg Neumann GmbH. Neben Mikrofonen wurden dort auch Schallplattenschneidemaschinen und Regieanlagen produziert. Der Betrieb in Gefell wurde in der DDR verstaatlicht und später in VEB Mikrofontechnik Gefell umbenannt. Neumanns Einfluss auf diesen Standort ging in den Folgejahren vollständig verloren.
Neumann hatte ab den 1930er-Jahren einen Vertriebsvertrag mit Telefunken, wodurch viele seiner Mikrofone im Ausland unter dem Telefunken-Logo bekannt wurden. Erst mit dem Aufbau eines eigenen US-Vertriebs in den 1950er-Jahren änderte sich dies.
1947 entwickelte Neumann ein Verfahren zur gasdichten Versiegelung von Nickel-Cadmium-Akkus. Daraus entstand die sogenannte „Stabylitzelle“, ein Spezialkondensator, der in der Röhrentechnik Anwendung fand.
Georg Neumann starb 1976. Er war verheiratet und hatte zwei Kinder.

Nachwirkungen:
Nach der Wiedervereinigung wurde der Standort Gefell rückübertragen und firmiert seit 1990 unter dem Namen Microtech Gefell. Neben Mikrofonen werden dort inzwischen auch Festkörperlaser produziert.
Die Berliner Georg Neumann GmbH wurde in den 1990er-Jahren von Sennheiser übernommen. Während Entwicklung und Kundenservice in Berlin verblieben, wurde die Fertigung nach Wedemark verlegt. Mikrofone unter dem Namen „Neumann“ werden weiterhin produziert, ebenso wie Monitorlautsprecher – teils unter Einbindung der ehemaligen Marke Klein + Hummel.
An der Universität der Künste Berlin wurde ein Veranstaltungsraum als Georg-Neumann-Saal benannt. 2013 eröffnete auf dem Gelände von Microtech Gefell ein kleines Museum, das unter anderem frühe Mikrofonmodelle aus der Firmengeschichte zeigt.

25.05.25- Wolfgang Petry: Zwischen Volksnähe, Vermarktung und musikalischer Einfalt

Wolfgang Petry CD - ALLES
Hansa ‎– 74321 40296 2

Wolfgang Petry gilt als einer der erfolgreichsten Schlagersänger Deutschlands, doch sein Werdegang wirft auch Fragen auf – über Authentizität, künstlerische Tiefe und den Umgang mit Erfolg.
Geboren 1951 in Köln-Raderthal, wuchs Petry in eher bescheidenen Verhältnissen auf. Der frühe Tod seines Vaters prägte ihn, doch statt sich für eine künstlerische Laufbahn zu entscheiden, absolvierte er zunächst eine Ausbildung zum Feinmechaniker. Während dieser Zeit begann er, mit seiner Band Screamers in Kölns Kneipenszene aufzutreten – ein bescheidener Start, dem bald ein durchkomponierter Karriereweg folgen sollte.
Sein Entdecktwerden im Jahr 1975 durch das Produzententeam Tony Hendrik und Karin Hartmann wirkte wie ein Startschuss für eine Musiklaufbahn, die stark von externen Einflüssen geprägt war. Seine ersten Hits waren weniger Ausdruck einer inneren Notwendigkeit als das Produkt strategischer Popproduktion – glatt, massentauglich, auf Wirkung berechnet. Dass viele seiner frühen Erfolge aus der Feder anderer stammten, etwa das Comeback-Lied Verlieben, verloren, vergessen, verzeih’n (ursprünglich für Jürgen Drews vorgesehen), lässt Zweifel an seiner kreativen Eigenständigkeit aufkommen.
Ab Mitte der 1990er-Jahre setzte Petry gezielt auf ein Image zwischen bodenständigem Kumpeltyp und stadionfüllendem Schlagerrocker. Die Gründung der sogenannten „Petry-Band“ – bestehend aus erfahrenen Rockmusikern – verlieh seinem Sound einen raueren Anstrich, ohne jedoch die Grenzen des Schlagers zu verlassen. Der Versuch, Petry als Grenzgänger zwischen Rock und Schlager zu positionieren, wirkte oft wie ein Marketing-Konstrukt: rebellisch im Sound, aber angepasst in der Botschaft. Dass er mit „Einfach geil!“ ein Stadionkonzert veröffentlichte, illustriert diesen Spagat zwischen Authentizität und kalkulierter Provokation.
Sein über Jahre kultiviertes Image – inklusive der unzähligen Freundschaftsbändchen am Arm – wurde zur Marke. Spätestens als er diese 2002 öffentlichkeitswirksam zugunsten von Hochwasseropfern versteigerte, wurde deutlich, wie geschickt Petry persönliche Symbole für karitative wie kommerzielle Zwecke einsetzte.
Auch die musikalische Entwicklung blieb überschaubar. Trotz diverser Alben in den 2000er- und 2010er-Jahren – darunter das Comeback mit englischsprachiger Musik als „Pete Wolf“ – blieb die stilistische Vielfalt eher Fassade als substanzielle Neuerfindung. Kritiker monieren, dass sein Spätwerk selten über einfache Akkordfolgen und sentimentale Botschaften hinausging.
Dennoch ist Petrys gesellschaftliches Engagement hervorzuheben. Die Benefizaktion Mut zur Menschlichkeit zeigte, dass er bereit war, seine Reichweite für politische und soziale Anliegen zu nutzen – ein eher seltener Schritt im deutschen Schlagergeschäft.

Fazit:
Wolfgang Petry ist zweifellos ein Phänomen des deutschen Schlagers – jedoch eines, dessen Erfolg eng mit Inszenierung, Produzentenmacht und dem konsequenten Ausschlachten eines massentauglichen Images verknüpft ist. Seine Karriere war weniger ein Ausdruck musikalischer Innovation als vielmehr das Resultat erfolgreicher Markenbildung. Was bleibt, ist ein Vermächtnis zwischen Kultstatus und kalkulierter Einfachheit.

24.05.25- Bruce Springsteen veröffentlicht neues Live-EP "Land of Hopes and Dreams" – und gerät erneut mit Donald Trump aneinander

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Bruce Springsteen hat eine neue sechsstückige EP mit dem Titel Land of Hopes and Dreams veröffentlicht. Die Aufnahmen stammen von seinem Konzert am 14. Mai in der Co-op Live Arena in Manchester, das Teil seiner aktuellen Europatournee ist.
Springsteen startete die Tournee letzte Woche mit drei Konzerten in Manchester – das letzte fand am 20. Mai statt. Weitere Stationen folgen unter anderem in Lille, Marseille, Liverpool, Berlin, Prag, Frankfurt, San Sebastián, Gelsenkirchen und schließlich Mailand.
Obwohl die Shows bisher überwiegend positiv aufgenommen wurden, sorgen vor allem Springsteens scharfe Angriffe auf die Trump-Regierung für Schlagzeilen. Seine politischen Aussagen führten bereits zu öffentlicher Kritik aus dem Umfeld des ehemaligen US-Präsidenten.
Die EP umfasst vier Songs, darunter ein Cover von Bob Dylans Chimes of Freedom sowie eine leidenschaftliche Ansprache vor den Liedern Land of Hopes and Dreams und My City of Ruins.

Vor der Darbietung von Land of Hopes and Dreams sagte Springsteen:
„In meinem Heimatland – dem Amerika, das ich liebe, über das ich geschrieben habe und das seit 250 Jahren ein Leuchtfeuer der Hoffnung und Freiheit ist – liegt die Macht derzeit in den Händen einer korrupten, unfähigen und verräterischen Regierung.“

Springsteen forderte das Publikum zudem zum Handeln auf:
„Alle, die an die Demokratie und das Beste unserer amerikanischen Erfahrung glauben, sollen sich mit uns erheben, ihre Stimmen gegen Autoritarismus erheben und die Freiheit erklingen lassen!“

Die Reaktion von Donald Trump ließ nicht lange auf sich warten. Auf seiner Plattform Truth Social schrieb er:
„Ich mochte ihn noch nie, mochte seine Musik nie, oder seine radikale linke Politik. Und außerdem ist er kein talentierter Typ – einfach ein aufdringlicher, nerviger IDIOT.“

Er bezeichnete Springsteen zudem als „so dumm wie ein Stein“ wegen seiner Unterstützung für Präsident Joe Biden und drohte indirekt:
„Dieser vertrocknete ‚Pflaumenrocker‘ (seine Haut ist völlig eingefallen!) sollte SEIN MAUL HALTEN, bis er wieder im Land ist – das ist ganz normal. Dann werden wir ja sehen, was mit ihm passiert!“
Springsteen reagierte jedoch nicht mit Rückzug, sondern erneuerte seine Kritik an Trump während seines Konzerts am 17. Mai in Manchester. Trump wiederum eskalierte den Streit weiter, indem er eine „großangelegte Untersuchung“ ankündigte. Dabei soll geklärt werden, ob Springsteen für zwei Auftritte bei Wahlkampfveranstaltungen der Demokraten im vergangenen Jahr bezahlt wurde.
Die Kontroverse rund um den Rock-Veteranen zeigt: Springsteen bleibt auch mit 74 Jahren nicht nur musikalisch, sondern auch politisch eine laute Stimme – und scheut keinen Konflikt.

23.05.25- Flugzeugabsturz in San Diego: Ex-Schlagzeuger Daniel Williams von The Devil Wears Prada unter den Toten

CD: Dead Throne
Ferret Music ‎– F143-2

Der ehemalige Schlagzeuger der Metalcore-Band The Devil Wears Prada, Daniel Williams (1985–2025), ist bei einem Flugzeugabsturz in einem Wohngebiet nahe dem Montgomery-Gibbs Executive Airport ums Leben gekommen. Die zweistrahlige Cessna 550 stürzte laut Behördenangaben am Donnerstag gegen 3:45 Uhr morgens Ortszeit in San Diego ab – mitten in ein dicht bewohntes Viertel.
Die Umstände des Absturzes werfen Fragen auf. Williams hatte kurz vor dem Unglück Bilder des Flugzeugs und des Cockpits auf Instagram gepostet – versehen mit dem scherzhaften Hinweis: „Ich bin jetzt der (Co-)Pilot.“ Obwohl sein Vater später betonte, dass dies nicht ernst gemeint gewesen sei und Daniel keinen Pilotenschein besessen habe, bleibt der Eindruck eines leichtfertigen Umgangs mit der Situation. In sozialen Medien wurden bereits Spekulationen laut, ob der Musiker während des Flugs möglicherweise selbst das Steuer in der Hand hatte – ein Verdacht, dem die Behörden nun nachgehen könnten.
Williams, der von 2005 bis 2016 als Schlagzeuger bei The Devil Wears Prada aktiv war, hatte sich nach seiner Musikerkarriere zurückgezogen. Die Band veröffentlichte nach Bekanntwerden des Unglücks ein emotionales Statement, in dem sie ihn würdigte – doch der Unfall wirft auch ein Schlaglicht auf die Risiken, die mit privaten Charterflügen verbunden sind.
Neben Williams starb auch Dave Shapiro, ein einflussreicher Musikagent und Mitgründer der Sound Talent Group. Laut Billboard kamen möglicherweise auch zwei weitere Mitarbeiter der Agentur ums Leben. Shapiro hatte mit zahlreichen namhaften Acts zusammengearbeitet, darunter Sum 41.

Gefahr durch Privatflüge: Kein Einzelfall
Insgesamt befanden sich laut Polizei sechs Personen an Bord der Maschine. Der Absturz richtete enormen Schaden im umliegenden Viertel an: Zehn Häuser wurden beschädigt, rund 100 Anwohner mussten evakuiert werden, acht Menschen wurden verletzt – ein Szenario, das schlimmer hätte enden können. Die Ursache des Absturzes ist noch unklar. Die US-Flugsicherheitsbehörde (NTSB) und die Federal Aviation Administration (FAA) haben Ermittlungen eingeleitet.
Unfälle mit kleineren Privatflugzeugen wie der Cessna 550 sind in den USA keine Seltenheit – immer wieder sorgen sie für schwere Zwischenfälle, oft mit tödlichem Ausgang. Branchenexperten kritisieren seit Jahren die teils unzureichenden Sicherheitsstandards, insbesondere bei nicht gewerblich betriebenen Flügen oder Charterunternehmen mit geringen regulatorischen Auflagen.
Auch in diesem Fall bleiben viele Fragen offen: Wer saß tatsächlich im Cockpit? Wurde gegen Vorschriften verstoßen? Und hätte der Flug überhaupt in dieser Form stattfinden dürfen?
Die Tragödie um Daniel Williams ist nicht nur ein Verlust für die Musikszene, sondern auch ein erneuter Weckruf an eine Branche, die Sicherheit oft dem Status unterordnet.

22.05.25- The Girl from Ipanema – Ein Welthit des Bossa Nova

LP: Polydor - H 811
Stan Getz & Astrud Gilberto - The Girl From Ipanema

„The Girl from Ipanema“ (portugiesisch: Garota de Ipanema) ist wohl das bekannteste Lied des Bossa Nova und eines der am häufigsten aufgenommenen Musikstücke weltweit. Es wurde 1962 vom brasilianischen Komponisten Antônio Carlos Jobim geschrieben, der Text stammt vom Lyriker und Diplomaten Vinícius de Moraes. Das Lied steht exemplarisch für die musikalische Verschmelzung brasilianischer Rhythmen mit Elementen des Cool Jazz – ein Markenzeichen des Bossa Nova.

Ursprung und Entstehung
Entgegen romantischer Legenden, die behaupten, das Lied sei spontan in der Bar Veloso in Rio de Janeiro entstanden, beruhte seine Entwicklung auf einem sorgfältigen künstlerischen Prozess. Jobim komponierte die Musik zunächst auf einen früheren Text de Moraes’, der jedoch verworfen wurde. Erst die überarbeitete Fassung brachte den heute bekannten Text hervor. Während des Entstehungszeitraums galt der Stadtteil Ipanema in Rio de Janeiro als kulturelles Zentrum der Bohème – ein Ort, an dem Kunst, Musik und Dichtung florierten.

Internationale Bekanntheit
Berühmtheit erlangte das Stück durch eine Aufnahme am 19. März 1963 in den New Yorker A&R Studios. Die Session vereinte brasilianische und amerikanische Künstler: Der Jazz-Saxophonist Stan Getz, der Sänger und Gitarrist João Gilberto und dessen Frau Astrud Gilberto nahmen gemeinsam das Stück auf. Die Version erschien 1964 auf dem Album Getz/Gilberto, das zu einem Meilenstein des Jazz und der Weltmusik wurde.
Astrud Gilbertos zarte, englisch gesungene Stimme in der Singleauskopplung verhalf dem Lied zu weltweiter Popularität – und ihr selbst zu einer internationalen Karriere, obwohl sie bis dahin keine professionelle Sängerin war.

Musikalische Merkmale
Musikalisch vereint „The Girl from Ipanema“ Elemente klassischer Liedform mit der rhythmischen Leichtigkeit des Samba und der harmonischen Raffinesse des Jazz. Jobim verwendet einfache, eingängige Melodien, die durch subtile harmonische Wechsel eine melancholische, gleichzeitig elegante Atmosphäre erzeugen. Der berühmte synkopierte Rhythmus, typisch für den Bossa Nova, vermittelt Leichtigkeit und urbane Coolness.
Interessant ist die Balance zwischen klischeehaften Wendungen – etwa dem romantisierenden Blick auf eine schöne, vorbeigehende Frau – und hochoriginellen Stilmitteln, die das Lied über bloße Unterhaltungsmusik hinausheben. Die Musik trägt maßgeblich zur Interpretation des Textes bei: Die Unnahbarkeit der „Garota“ spiegelt sich in der scheinbaren Schlichtheit und gleichzeitigen Raffinesse der Melodie.

Kulturelle Bedeutung
Der große Erfolg in den USA – begünstigt auch durch den politischen Kontext des brasilianischen Militärputsches 1964, nach dem Jobim dauerhaft in die Vereinigten Staaten zog – bedeutete gleichzeitig das Ende der kreativen Zusammenarbeit von Jobim und de Moraes. „Garota de Ipanema“ blieb ihr letztes gemeinsames Werk.
Das Lied ist zu einem globalen Symbol für brasilianische Kultur geworden. Es transportiert eine idealisierte Vorstellung von Rio de Janeiro, von Sonne, Schönheit und Melancholie. Dabei bleibt es ein Kunstwerk, das weit über seine touristische Popularisierung hinausgeht.

Fazit:
The Girl from Ipanema ist mehr als nur ein Ohrwurm. Es ist das Ergebnis einer fruchtbaren künstlerischen Zusammenarbeit und Ausdruck eines spezifischen kulturellen Moments – der Verbindung brasilianischer Musik mit dem internationalen Jazz. Seine anhaltende Popularität zeugt von der universellen Anziehungskraft dieses scheinbar einfachen, in Wahrheit jedoch hochkomplexen Liedes.

21.05.25- Kesha überarbeitet Single-Cover nach Kritik an KI-Einsatz – ein moderner Popstar zwischen Kunst und Technologie

Peter Neill
CC BY 2.0 Wikimedia Commons

Die Popsängerin Kesha hat das Artwork ihrer zweiten Single Delusional überarbeitet – und damit eine kleine, aber vielsagende Debatte rund um den Einsatz von künstlicher Intelligenz in der Musikindustrie ausgelöst. Nachdem das ursprüngliche Cover Anfang November 2024 erschienen war, entbrannte in den sozialen Medien Kritik: Das Bild – eine chaotische Ansammlung von Handtaschen auf einer Straße, übermalt mit einem hastig gesprühten „delusional“ – wirkte unausgereift. Schnell fiel auf, dass die Grafik mithilfe generativer KI entstanden war. Fans bemängelten Fehler in der Typografie und einen Mangel an künstlerischer Tiefe.
Die Reaktion ließ nicht lange auf sich warten. Kesha veröffentlichte ein neues Cover – diesmal offenbar ohne KI – und nahm in einem Statement Stellung. Sie sprach über die Diskrepanz zwischen künstlerischem Anspruch und den Erwartungen an Kreative in einer zunehmend automatisierten Welt.
Was hier auf den ersten Blick wie ein belangloser Streit über Ästhetik wirkt, ist in Wirklichkeit Teil einer größeren Diskussion: Was bedeutet künstlerische Integrität im Zeitalter von KI? Und wie gehen Künstler*innen damit um, wenn Technologie beginnt, ihre Ausdrucksmittel zu simulieren – oder gar zu ersetzen?
Keshas Versuch, ihr ursprüngliches Artwork als politisches Statement zu begreifen, ist nachvollziehbar, aber in seiner Umsetzung unglücklich. Die Kritik trifft nicht allein den ästhetischen Nerv, sondern auch ein wachsendes Unbehagen mit KI-generierter Kunst im Pop-Bereich. Viele Künstler*innen kämpfen derzeit nicht nur mit den Folgen der Digitalisierung ihrer Musik, sondern zunehmend auch mit der Entwertung des Visuellen, des Persönlichen – der Handschrift, die KI nicht authentisch nachbilden kann.
In ihrer Antwort betont Kesha, dass es ihr wichtiger sei, „im Einklang mit ihrer Integrität“ zu handeln als ein intellektuelles Statement zu erzwingen. Damit trifft sie einen Nerv: Viele kreative Menschen befinden sich in einem Spannungsfeld zwischen dem Wunsch nach Relevanz und der Notwendigkeit, sich gegenüber automatisierten Produktionsprozessen abzugrenzen.
Was bleibt, ist ein Bild einer Künstlerin im Wandel. Delusional ist mehr als ein Songtitel – es ist ein Spiegel unserer Zeit, in der zwischen Technologie, Kunst und Kommerz immer wieder neu ausgehandelt werden muss, was Originalität bedeutet. Kesha stellt sich dieser Herausforderung – nicht perfekt, aber ehrlich. Und genau das macht sie derzeit relevanter denn je.

20.05.25- Wenn Präzision stört – Josh Freese und das leise Ende bei den Foo Fighters

Sven Mandel
CC BY-SA 4.0 Wikimedia Commons

Josh Freese gilt als einer der versiertesten und gefragtesten Schlagzeuger seiner Generation. Wer ihn bucht, weiß, was er bekommt: makellose Technik, absolute Verlässlichkeit und einen musikalischen Instinkt, der über Jahrzehnte in Bands wie A Perfect Circle, Nine Inch Nails oder Devo geschärft wurde. Doch gerade diese Eigenschaften könnten ihm nun zum Verhängnis geworden sein.
Am Freitag verkündete Freese überraschend auf Instagram, dass er nicht länger Teil der Foo Fighters sei. Die Mitteilung kam nicht von der Band, sondern von ihm selbst. „Well, there it is“, schrieb er lapidar. Der begleitende Text offenbarte jedoch eine deutliche Mischung aus Überraschung, Enttäuschung und einem Hauch Sarkasmus. Er sei am Montagabend von der Band informiert worden, dass man „in eine andere Richtung“ gehen wolle. Eine Begründung habe es nicht gegeben.
Nach außen hin betont Freese seine Dankbarkeit für die zwei gemeinsamen Jahre mit der Band. Doch wer zwischen den Zeilen liest, erkennt einen Musiker, der sich zu Recht fragt, warum jemand mit seiner Reputation und Leistung aus einem laufenden Projekt ausgeschlossen wird – ohne Erklärung. In einem zweiten Post veröffentlichte er eine ironische Liste mit zehn möglichen Gründen für seine Entlassung, darunter absurde Punkte wie „Ich habe versehentlich Taylor Hawkins’ Geisterkostüm auf der Bühne getragen“ oder „Ich spielte zu viele Ghost Notes, nicht Geisternoten“.
Doch hinter dem Humor steckt ein ernstes Thema: Freese’ Spielweise wird in manchen Kommentaren als zu präzise, zu „metronomhaft“ bezeichnet – und damit als „seelenlos“. In einer Band wie den Foo Fighters, die sich als Erben des rohen, ungeschliffenen Grunge verstehen, könnte diese makellose Kontrolle als zu steril empfunden worden sein. Frontmann Dave Grohl, selbst ein ikonischer Drummer, hat nie einen Hehl daraus gemacht, dass für ihn Gefühl und Energie über technischer Perfektion stehen.
Es stellt sich die Frage: Darf ein Drummer in einer Rockband zu gut sein? Ist es möglich, dass jemand wie Freese, der mit absoluter Präzision agiert, nicht zur musikalischen Identität einer Band passt, die ihre Wurzeln in der Ungeschliffenheit und dem Zufälligen hat?
Die Reaktionen auf Freeses Posts deuten darauf hin, dass viele in der Musikwelt seine Sichtweise teilen. Größen wie Stewart Copeland (The Police) oder Michael Bublé bekundeten öffentlich ihre Unterstützung. Es geht hier nicht nur um einen Personalwechsel – es geht um die grundsätzliche Frage, wie viel Raum Individualität und technisches Können in einer Bandstruktur wirklich haben.
In einer Branche, in der Authentizität oft mit Unvollkommenheit gleichgesetzt wird, scheint Freese dem Ideal zu nahe gekommen zu sein. Und das ist möglicherweise sein „Fehler“. Der Musiker, der nie zu viel Raum einnimmt, aber jede Bühne veredelt, war vielleicht zu professionell, zu präzise, zu verlässlich – und damit letztlich zu wenig „Foo Fighters“.
Was bleibt, ist ein bitterer Beigeschmack: Ein Musiker von Weltrang wird ohne Begründung aus einer Band geworfen, die sich stets als familiär und loyal inszenierte. Freese wird nicht auf der Strecke bleiben – dafür ist sein Ruf zu gefestigt. Doch seine Entlassung wirft ein Schlaglicht auf einen Widerspruch, den die Rockmusik bis heute nicht auflösen kann: dass gerade die besten oft nicht in das Bild passen, das vom „wahren Rock’n’Roll“ gezeichnet wird.

19.05.25- Plötzlicher Tod des französischen Rappers Werenoi wirft Fragen auf

J24N
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Der französische Rapper Werenoi ist im Alter von nur 31 Jahren gestorben. Die Nachricht vom Tod des Künstlers, der mit bürgerlichem Namen Jérémy Bana Owona hieß, bestätigte am Samstagabend sein Produzent Babs über soziale Medien – ein dürrer Abschied, der kaum erahnen lässt, welche Tragweite das Ereignis für die französische Musikszene hat. Was bleibt, sind Schock, Ratlosigkeit – und viele offene Fragen.
Noch vor wenigen Tagen galt Werenoi als eines der größten Versprechen des französischen Rap. Mit seinem Debüt „Telegram“ katapultierte er sich 2022 in die Charts, 2023 und 2024 dominierte er laut Branchenverband Snep die Verkaufszahlen im Land. Doch während seine Musik millionenfach gestreamt wurde, blieb der Mensch hinter dem Künstler weitgehend im Schatten. Interviews gab er selten, sein Privatleben hielt er konsequent aus der Öffentlichkeit heraus. In einem der wenigen Gespräche mit Journalisten erklärte er knapp: „Ich behalte mein Privatleben lieber für mich.“
Diese Abgrenzung wirkt im Rückblick beinahe prophetisch. Denn auch jetzt, im Moment der größten Aufmerksamkeit, bleibt vieles im Dunkeln. Werenois Tod kam plötzlich – und die offizielle Bestätigung folgte erst Stunden, nachdem bereits Gerüchte kursierten. Die genauen Umstände sind weiterhin unklar. Laut „Le Parisien“ hatte der Musiker noch Anfang der Woche einen öffentlichen Auftritt bei einer Preisverleihung abgesagt. Von „schweren Verletzungen“ war die Rede, über die Ursache aber schweigt sich sein Umfeld aus.
Die Öffentlichkeit erfährt also erneut nur Bruchstücke – Statements, Posts, Andeutungen. Währenddessen ist die Trauer groß, vor allem in der Rap-Community, die Werenoi längst als Ausnahmetalent verstand. Doch hinter der kollektiven Erschütterung schwingt auch eine Unruhe mit. Wie konnte ein junger, scheinbar gesunder Künstler, der gerade erst auf dem Höhepunkt seiner Karriere stand, so plötzlich sterben? Welche Umstände führten zu dem, was sein Produzent mit den knappen Worten „Ruhe in Frieden, mein Bruder“ kommentierte?
Es bleibt der bittere Nachgeschmack einer Geschichte, die zu früh zu Ende ging – und eines Musikers, der viel sagte, gerade weil er so wenig sprach.

18.05.25- Konrad Ragossnig: Ein Leben für Gitarre und Laute

LP: Archiv Produktion – 2723 061
Musik Für Laute (Cover Booklet)

Der österreichische Gitarrist und Lautenist Konrad Ragossnig prägte über Jahrzehnte die Welt der Zupfinstrumente – als Interpret, Herausgeber, Lehrer und Forscher. Geboren 1932, begann er 1954 sein Gitarrenstudium bei Karl Scheit an der Wiener Musikhochschule. Bereits wenige Jahre später, von 1960 bis 1964, kehrte er als Professor an seine Alma Mater zurück.
Ein prägender Abschnitt seines Wirkens folgte an der Musik-Akademie der Stadt Basel, wo er von 1964 bis 1983 unterrichtete. Danach übernahm er – erneut in Wien – die Nachfolge seines einstigen Lehrers Karl Scheit und leitete bis 2002 die Gitarrenklasse. Parallel dazu war Ragossnig zwischen 1989 und 1997 als Gastprofessor an der Zürcher Hochschule der Künste tätig. Zu seinen Schülern zählen unter anderem Leon Koudelak, der Münchner Musiker Peter Meier und Alexander Swete – allesamt erfolgreiche Vertreter der Gitarrenszene.
Als Herausgeber veröffentlichte Ragossnig rund 70 Ausgaben mit Werken aus dem 16. bis 20. Jahrhundert, darunter Bearbeitungen von Lautenmusik Johann Sebastian Bachs sowie Transkriptionen von Klavierstücken Isaac Albéniz’. Auch auf Tonträgern hinterließ er ein bedeutendes Vermächtnis: Etwa 60 Einspielungen dokumentieren sein Schaffen. Besonders hervorsticht die sechsteilige Anthologie Musik für Laute (1973/74), die vom Magazin Fono Forum zur „Schallplatte des Jahrhunderts“ gekürt wurde.
Ragossnigs Repertoire reichte von Solo- bis Kammermusik. Er brachte Werke namhafter Komponisten wie Mario Castelnuovo-Tedesco, Hans Haug, Gottfried von Einem und Armin Schibler zur Uraufführung. Als Herausgeber betreute er die renommierte Reihe Musik für Gitarre bei Edition Schott, die sowohl Solowerke als auch kammermusikalische Literatur umfasst.
Seine letzten Lebensjahre verbrachte Konrad Ragossnig gemeinsam mit seiner Frau Godelieve Monden in Antwerpen, wo er 2018 im Alter von 85 Jahren verstarb.

17.05.25- Kanye West provoziert erneut mit NS-Verherrlichung – „WW3“ in den Spotify-Charts

Cosmopolitan UK
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US-Rapper Kanye West sorgt erneut für massive Empörung: Am 8. Mai, dem Tag der Befreiung vom Nationalsozialismus, veröffentlichte er einen Song mit dem Titel „Heil Hitler“. In dem Lied inszeniert sich West – der sich mittlerweile Ye nennt – als missverstandenes Opfer und verknüpft dies mit eindeutiger NS-Rhetorik. Eine Zeile daraus: „Niggas see my Twitter, but they don’t see how I be feelin’. So I became a Nazi – yeah, bitch, I’m the villain.“

Streaming-Plattformen reagieren – aber nur teilweise
Der Track wurde mittlerweile auf Plattformen wie YouTube und Spotify entfernt, nachdem er innerhalb kürzester Zeit hohe Zugriffszahlen erreichte. Dennoch taucht das Lied immer wieder über Umwege auf, etwa durch Re-Uploads von Dritten. Kanye West selbst teilte am Montag mit, ein Fan habe das Stück bei Apple Music erneut veröffentlicht. Auf X (ehemals Twitter), einer Plattform mit schwacher Moderation und zunehmender rechtsradikaler Präsenz, ist der Song weiterhin auf Wests Account zu finden – inklusive eines Videos, das Männer in Bärenfellen zeigt, die im Chor „Nigga Heil Hitler“ skandieren. Das Video endet mit einer historischen Rede Adolf Hitlers aus dem Jahr 1935. Allein auf X wurde es bereits 8,7 Millionen Mal abgerufen.

Weitere problematische Inhalte: „WW3“ auf Platz 1 bei Spotify
Bereits im Vorfeld hatte Kanye West mit einem weiteren Song, „WW3“, für Irritation gesorgt. In diesem bekennt er sich offen zu Antisemitismus: „I’m antisemitic fully“, heißt es darin. In einer anderen Passage rappt er: „Reading Mein Kampf, two chapters before I go to sleep.“ Trotz dieser klaren Bezugnahmen auf NS-Ideologie und Judenhass ist der Titel auf Spotify weiterhin verfügbar – und belegt aktuell sogar Platz 1 in den „Viral Charts Global“. Die Plattform hat bislang nicht auf die Inhalte reagiert.

Bekannte Rhetorik – und ein wiederkehrendes Muster
West ist in der Vergangenheit wiederholt durch antisemitische Aussagen aufgefallen. Dabei bedient er sich eines argumentativen Scheinschutzes: Er könne kein Antisemit sein, da er schwarz sei – ein rhetorisches Manöver, das keine Grundlage hat, jedoch in bestimmten Milieus auf Resonanz stößt. Seine Texte und Äußerungen wirken mittlerweile weniger wie Provokation und mehr wie bewusste Ideologievermittlung, die durch millionenfache Reichweite multipliziert wird.

Ein Fall für die Behörden?
Die anhaltende Verbreitung von eindeutig rechtsextremen Inhalten durch eine globale Pop-Ikone wirft auch Fragen an die Verantwortung der Plattformen und möglicherweise der Justiz auf. Während private Unternehmen wie Spotify oder X über ihre Richtlinien entscheiden, liegt es letztlich auch an der Gesellschaft und den Institutionen, eine klare Grenze gegenüber Hassrede und NS-Verherrlichung zu ziehen – auch dann, wenn sie aus dem Mund eines Superstars stammt.

16.05.25- Iggy Pop und seine wilden Jahre – Der Urvater des Punkrock

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Iggy Pop, geboren als James Newell Osterberg Jr. am 21. April 1947 in Muskegon, Michigan, gilt als einer der exzentrischsten, kompromisslosesten und einflussreichsten Musiker der Rockgeschichte. Oft als „Godfather of Punk“ bezeichnet, lebte er ein Leben am Limit – künstlerisch wie privat. Seine wilden Jahre, insbesondere in den 1960er und 70er Jahren, schrieben Musikgeschichte.

Der Aufstieg mit den Stooges
Ende der 1960er gründete Iggy Pop gemeinsam mit Ron Asheton, Scott Asheton und Dave Alexander die Band The Stooges – eine rohe, aggressive Rockband, die mit ihrer Energie und Kompromisslosigkeit weit ihrer Zeit voraus war. Ihr gleichnamiges Debütalbum erschien 1969 und war kommerziell kein Erfolg, doch Songs wie „I Wanna Be Your Dog“ oder „No Fun“ wurden später als Blaupausen des Punkrock gefeiert.
Auf der Bühne war Iggy eine Naturgewalt: Er warf sich ins Publikum, schnitt sich mit Glasscherben, schmierte sich mit Erdnussbutter ein oder wälzte sich halbnackt auf dem Boden – Performances, die zwischen Selbstzerstörung und Kunst lagen.

Exzesse, Drogen und Zusammenbrüche
Mit dem zunehmenden Drogenkonsum (vor allem Heroin) gerieten Iggy und die Stooges in den frühen 70ern immer tiefer in den Abgrund. Das zweite Album „Fun House“ (1970) gilt heute als Meisterwerk, war aber ebenfalls ein Flop. Erst mit dem dritten Album „Raw Power“ (1973) – produziert von David Bowie – bekamen sie etwas mehr Aufmerksamkeit. Doch zu spät: Die Band zerbrach an internen Spannungen und Iggys exzessivem Lebensstil.
Nach einem psychischen und physischen Zusammenbruch ließ sich Iggy 1975 in eine psychiatrische Klinik einweisen. Es war Bowie, der ihn dort besuchte, unterstützte und ihn wieder aufbaute – sowohl musikalisch als auch persönlich.

Berlin, Bowie und Neubeginn
Zwischen 1976 und 1978 zog Iggy Pop gemeinsam mit David Bowie nach West-Berlin, um dem Drogenmilieu von Los Angeles zu entkommen. Diese Zeit markierte einen Wendepunkt. Iggy nahm die Alben „The Idiot“ und „Lust for Life“ auf, beide stark von Bowie beeinflusst. Hits wie „Lust for Life“ und „The Passenger“ machten ihn einem breiteren Publikum bekannt.
Die Berliner Jahre waren zwar ruhiger, aber keineswegs zahm – Iggy blieb ein wilder Geist, doch künstlerisch gereifter. Der neue Sound, geprägt von Synthesizern, düsteren Texten und kaltem Post-Punk-Vibe, öffnete ihm Türen zu neuen Fan-Generationen.

Vermächtnis
Iggy Pop überlebte nicht nur seine Zeitgenossen, sondern auch seine Dämonen. In den folgenden Jahrzehnten veröffentlichte er zahlreiche Alben, spielte in Filmen, kooperierte mit Künstlern wie Josh Homme (Queens of the Stone Age), und blieb immer: kompromisslos.
Sein Körper ist gezeichnet von Narben, seine Stimme rau und knarzig – aber seine Energie, Bühnenpräsenz und künstlerische Integrität sind bis heute legendär. Iggy Pop ist mehr als ein Überlebender – er ist ein Symbol des musikalischen Widerstands und ein ewiger Außenseiter mit Kultstatus.

Fazit:
Die wilden Jahre von Iggy Pop waren ein ekstatischer Tanz auf dem Vulkan – voller Risiko, Kreativität, Schmerz und Rebellion. Doch gerade dieser Wahnsinn formte ihn zu einer Ikone, die bis heute als Inbegriff des Punkrocks gilt.

15.05.25- Musical-Legende Charles Strouse im Alter von 96 Jahren gestorben

LP: The Original Motion Picture Score
"Bonnie And Clyde"

Der vielfach ausgezeichnete US-amerikanische Komponist Charles Strouse ist tot. Wie ein Sprecher der Familie gegenüber mehreren US-Medien, darunter Entertainment Weekly, bestätigte, starb Strouse am Donnerstag im Alter von 96 Jahren in seinem Haus in New York City.
Charles Strouse, geboren am 7. Juni 1928 in New York, galt als einer der bedeutendsten Komponisten des amerikanischen Musiktheaters. Zu seinen bekanntesten Werken zählen die Broadway-Erfolge Bye Bye Birdie, Applause und Annie, mit denen er Musikgeschichte schrieb. Auch Produktionen wie Golden Boy und Charlie & Algernon trugen zu seinem langjährigen Ruhm bei. Seine Karriere spannte sich über mehr als sieben Jahrzehnte – geprägt von kreativer Vielseitigkeit und musikalischem Innovationsgeist.
Neben seiner Arbeit für die Bühne komponierte Strouse auch Filmmusik, unter anderem für den Klassiker Bonnie und Clyde mit Warren Beatty und Faye Dunaway. Weitere Werke wie Die Nacht, als Minsky aufflog sowie die Musik zum Animationsfilm Charlie – Alle Hunde kommen in den Himmel zeugen von seiner stilistischen Bandbreite.
Strouse wurde im Laufe seines Lebens mit zahlreichen Auszeichnungen geehrt, darunter ein Tony Award, ein Grammy und ein Emmy. 1985 erfolgte seine Aufnahme in die Songwriters Hall of Fame, außerdem war er Mitglied der Theater Hall of Fame. Mehrere Universitäten verliehen ihm Ehrendoktorwürden.
Charles Strouse hinterlässt vier Kinder – Benjamin, Nicholas, Victoria und William – sowie acht Enkelkinder. Seine Ehefrau, die Choreografin Barbara Siman, mit der er seit 1962 verheiratet war, verstarb 2023.

14.05.25- Hughes & Kettner wird Teil der Thomann GmbH – Ein bedeutender Schritt in der deutschen Musikindustrie

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Am 1. Mai 2025 wurde ein Kapitel deutscher Musikgeschichte neu geschrieben: Der traditionsreiche Gitarrenverstärkerhersteller Hughes & Kettner ist offiziell in den Besitz der Thomann GmbH übergegangen. Damit wird eine der renommiertesten deutschen Amp-Marken Teil des weltweit größten Online-Versandhändlers für Musikinstrumente und Musiktechnik mit Sitz im oberfränkischen Treppendorf.

Eine Marke mit Klang und Geschichte
Seit ihrer Gründung im Jahr 1984 durch Hans und Lothar Stamer hat sich Hughes & Kettner einen internationalen Ruf für innovative Gitarrenverstärker „Made in Germany“ erarbeitet. Die Firma, mit Sitz in St. Wendel im Saarland, setzte früh auf moderne Technologien und einzigartige Designs, die sich besonders durch eine hohe Klangqualität, transparente Röhrensounds und auffällige, meist blau beleuchtete Frontpanels auszeichneten.
Mit Produkten wie dem TriAmp, dem Switchblade, dem Tubemeister oder dem digitalen Black Spirit 200 prägte Hughes & Kettner nicht nur die heimische Musikszene, sondern wurde auch weltweit von Profimusikern eingesetzt – darunter Größen wie Alex Lifeson (Rush), Tommy Thayer (KISS) oder Jeff Waters (Annihilator).

Thomann – Der Gigant aus Treppendorf
Die Thomann GmbH gilt als eine der größten Erfolgsgeschichten im europäischen Musikeinzelhandel. Das Familienunternehmen, gegründet 1954, entwickelte sich von einem kleinen Musikgeschäft in Oberfranken zum weltweit führenden Anbieter für Musikinstrumente, Licht- und Tontechnik. Besonders die eigene Online-Plattform thomann.de ist heute für Musiker aus aller Welt eine zentrale Anlaufstelle.
Mit einem breit aufgestellten Markenportfolio, das auch eigene Marken wie Harley Benton, the t.bone oder Millenium umfasst, zeigt Thomann seit Jahren Expansionskraft und Innovationsfreude. Der Erwerb von Hughes & Kettner unterstreicht diese Entwicklung und markiert eine strategische Erweiterung im Bereich hochwertiger Gitarrenverstärker.

Was bedeutet der Zusammenschluss?
Der Kauf von Hughes & Kettner durch Thomann wird von Branchenkennern als strategisch kluger Schritt gewertet. Während sich Thomann damit Zugang zu jahrzehntelanger Verstärker-Expertise und technologischer Innovationskraft verschafft, bekommt Hughes & Kettner eine noch stärkere Plattform für weltweite Distribution, Marketing und Weiterentwicklung.
Die Unternehmensführung ließ verlauten, dass die Produktentwicklung und Fertigung in Deutschland bleiben soll – ein klares Bekenntnis zur Qualität und Herkunft der Marke. Thomann plant offenbar, die Traditionslinie von Hughes & Kettner weiterzuführen und gleichzeitig neue Synergien zu nutzen – etwa durch Integration in den globalen Onlinevertrieb und mögliche Erweiterungen der Produktpalette.

Stimmen zur Übernahme
Branchenexperten und Musiker reagieren überwiegend positiv auf die Nachricht. In sozialen Netzwerken äußerten sich viele Gitarristen hoffnungsvoll, dass der charakteristische Sound und das Design von Hughes & Kettner erhalten bleiben – zugleich sehen sie in Thomann einen verlässlichen Partner für die Zukunft der Marke.

Auch aus dem Unternehmen Thomann heißt es:
„Wir freuen uns sehr, Hughes & Kettner in der Thomann-Familie willkommen zu heißen. Diese Marke steht für deutsche Ingenieurskunst, kreative Klanglösungen und einen unverwechselbaren Stil – genau die Werte, die wir bei Thomann schätzen und fördern.“

Ausblick
Die Übernahme von Hughes & Kettner durch Thomann ist nicht nur ein bedeutender Moment für die deutsche Musikindustrie, sondern auch ein starkes Signal an die internationale Gitarrenszene. Sie zeigt, dass Innovation und Tradition kein Widerspruch sein müssen – und dass die Zukunft hochwertiger Gitarrenverstärker weiterhin „Made in Germany“ geschrieben wird, nun unter dem Dach eines Unternehmens, das wie kaum ein anderes für Musikbegeisterung und Kundenbindung steht.
Ob neue Produktlinien, Kooperationen mit Künstlern oder erweiterte Services – die kommenden Jahre könnten für Fans der Marke besonders spannend werden.

13.05.25- Zwischen Stille und Zensur – Russische Musikkultur im Schatten des Krieges

Seit Jahrhunderten gilt Russland als ein Land großer musikalischer Tiefe und Ausdruckskraft. Die russische Musik war stets mehr als nur Unterhaltung – sie war kulturelle Identität, seelischer Spiegel, auch politisches Bekenntnis. Von den erhabenen Sinfonien Tschaikowskys über die rebellischen Stimmen der Perestroika bis hin zu den elektronischen Subkulturen der letzten zwei Jahrzehnte war sie ein vielschichtiges Echo der russischen Seele. Doch seit dem Angriffskrieg auf die Ukraine im Februar 2022 hat sich die Lage grundlegend gewandelt. Musik, so scheint es, hat ihren gesellschaftlichen Stellenwert in Russland nicht verloren – aber er ist zu einem gefährlichen geworden.
Der Krieg hat die kulturelle Landschaft nicht nur erschüttert, sondern gespalten. Künstlerinnen und Künstler sehen sich vor die Wahl gestellt: Schweigen oder Stellung beziehen. Die staatliche Propaganda nutzt Musik als Vehikel zur Mobilisierung, während oppositionelle Stimmen zusehends zum Schweigen gebracht werden. Das betrifft nicht nur aktiv protestierende Musiker – auch scheinbar unpolitische Künstler geraten unter Verdacht, wenn sie sich nicht eindeutig mit den offiziellen Narrativen solidarisieren. Kritiklosigkeit ist zur Währung des Überlebens geworden.
Besonders deutlich wird die neue ideologische Ordnung in der Pop- und Rockmusik. Namenhafte Künstler wie Oxxxymiron, der sich früh öffentlich gegen den Krieg stellte, mussten ins Exil gehen. Konzerte wurden abgesagt, Musikvideos gelöscht, Konten eingefroren. Gleichzeitig erhalten Musiker mit patriotischer Haltung staatliche Unterstützung und Medienpräsenz. Der Bruch geht durch ganze Genres, ja durch Künstlerbiografien selbst. Der Mainstream wurde gleichgeschaltet – nicht per Gesetz, sondern durch ein Klima der Einschüchterung, Denunziation und Kontrolle.
Doch auch die sogenannte „hohe Kultur“ bleibt nicht verschont. Die klassische Musikszene, einst ein Aushängeschild russischer Weltgeltung, wird zunehmend politisiert. International gefeierte Dirigenten wie Valery Gergiev wurden wegen ihrer Nähe zum Kreml auf westlichen Bühnen ausgeladen, während in Russland Künstler, die sich kritisch äußerten, von staatlichen Institutionen ausgeschlossen wurden. Das Repertoire russischer Komponisten gerät unter Druck: Einerseits wird es im Westen zum Gegenstand moralischer Debatten, andererseits wird es im Inland zur Bühne politischer Identifikation.
Gleichzeitig formiert sich im Exil eine neue Generation russischer Musiker. In Städten wie Berlin, Tiflis oder Tel Aviv entstehen kreative Knotenpunkte, in denen künstlerischer Ausdruck und politische Haltung miteinander verschmelzen. Musik wird hier wieder zu dem, was sie in Russland nicht mehr sein darf: ein Ort der Freiheit. Doch die Bedingungen sind schwierig. Der Alltag im Exil ist geprägt von Unsicherheit, begrenzten Ressourcen und kultureller Entwurzelung. Dennoch entstehen in diesen Freiräumen Lieder, Alben, Gemeinschaftsprojekte, die eine neue Sprache des Widerstands formulieren – jenseits von staatlicher Repression und ideologischer Gängelung.
Der Begriff der „Freiheit in der Musik“ ist unter diesen Bedingungen neu zu verhandeln. In Russland bedeutet er aktuell oft nur noch das taktische Schweigen oder die kreative Umgehung direkter Aussagen. Wahre Freiheit – im Sinne uneingeschränkter künstlerischer Ausdruckskraft – findet kaum noch innerhalb der Landesgrenzen statt. Dort, wo Musik sich nicht fügen will, wird sie zum Risiko. Gleichzeitig bleibt sie ein Fluchtpunkt für viele: ein emotionales Refugium in einer Zeit politischer Sprachlosigkeit.
Musik in Russland steht heute exemplarisch für die Spaltung einer Gesellschaft zwischen Anpassung, Flucht und innerem Widerstand. Ihre öffentliche Funktion ist ambivalent geworden: Sie kann mittragen, verschweigen oder opponieren – aber sie bleibt nicht neutral. Der Krieg hat die Musik nicht zum Schweigen gebracht, doch ihr Echo klingt heute brüchiger, leiser und oft aus der Ferne. Es ist ein Echo der Entwurzelung, des Protestes – und der Hoffnung auf einen anderen Morgen.

12.05.25- Neue Klangwelten mit KI: Was Suno 4.5 jetzt besser macht

Grafik: Suno, Inc.
CC Wikimedia Commons

Die KI-Musikplattform Suno hat mit der Veröffentlichung ihrer neuen Version 4.5 einen weiteren bedeutenden Schritt in der Entwicklung KI-gestützter Musikproduktion gemacht. Nachdem Version 4.0 bereits mit positiven Rückmeldungen aufgenommen wurde, bringt die aktuelle Version nun eine Reihe spürbarer Verbesserungen und Neuerungen, die das Tool sowohl für Musikschaffende als auch für neugierige Laien noch attraktiver machen sollen.
Suno 4.5 verspricht laut dem Entwicklerteam eine dynamischere und präzisere Umsetzung von Nutzereingaben. Dabei wurde nicht nur das zugrunde liegende Modell verbessert, sondern auch die Benutzeroberfläche überarbeitet, um eine intuitivere Bedienung zu ermöglichen. Die KI soll nun in der Lage sein, musikalische Details, Stimmungen und instrumentale Nuancen aus den eingegebenen Textbeschreibungen noch genauer zu interpretieren und umzusetzen. Besonders die Klangqualität hat ein spürbares Upgrade erfahren: Die generierten Stimmen wirken natürlicher und differenzierter, was zu einem deutlich realistischeren Hörerlebnis führt.
Ein besonderes Augenmerk liegt auf der Erweiterung der musikalischen Ausdrucksmöglichkeiten. So wurden der Plattform neue Genres hinzugefügt – darunter ungewöhnliche Stilrichtungen wie Punkrock, Jazz House oder auch Gregorianischer Gesang. Diese ermöglichen es den Nutzern, in bisher kaum abgedeckte Klangwelten vorzudringen. Gleichzeitig wurde die Fähigkeit der KI verbessert, verschiedene Musikstile zu kombinieren und auf kreative Weise miteinander zu verweben, was die stilistische Vielfalt erheblich erweitert. Auch die sogenannte Cover-Funktion, bei der bestehende Songs neu interpretiert werden können, wurde überarbeitet. Nun bleibt mehr von der melodischen Struktur des Originals erhalten, während zugleich die Möglichkeit besteht, das Genre eines Covers zu verändern. Zusätzlich lassen sich die Covers mit sogenannten „Personas“ versehen – KI-generierten Stimmen und Charakteren, die den Stil und die Darbietung eines Songs anpassen und verfeinern können.
Für die Nutzer bringt Version 4.5 zudem spürbare Leistungsverbesserungen: Songs lassen sich schneller generieren und können nun eine Länge von bis zu acht Minuten erreichen, ohne dass die inhaltliche Kohärenz oder Klangqualität darunter leidet. Darüber hinaus wurden neue Hilfsmittel eingeführt, mit denen sich präzisere und individuellere Prompts formulieren lassen – ein entscheidender Vorteil für alle, die mit komplexen Stil- oder Genreideen arbeiten.
All diese Innovationen kommen zu einem Zeitpunkt, an dem Suno auch mit juristischen Herausforderungen zu kämpfen hat. Die deutsche Verwertungsgesellschaft GEMA hat Klage gegen das Unternehmen eingereicht. Der Vorwurf lautet, Suno habe bei der Entwicklung seines Modells urheberrechtlich geschützte Werke ohne Genehmigung verwendet, was nicht nur das Training des Systems betrifft, sondern auch die Möglichkeit einschließt, ähnliche Inhalte automatisch zu erzeugen. Der Ausgang dieses Verfahrens könnte richtungsweisend für die gesamte Branche werden.
Trotz dieser Auseinandersetzung zeigt sich Suno zukunftsorientiert und kündigt bereits neue Kooperationen an. Eine mögliche Integration in Amazons Sprachassistenten Alexa+ wird derzeit geprüft. Sollte diese Partnerschaft zustande kommen, könnten Nutzer in naher Zukunft ganz einfach per Sprachbefehl eigene Songs erstellen – ein weiterer Beleg dafür, wie rasant sich KI-basierte Musiktools derzeit entwickeln.

11.05.25- Der Kaiser hat keine Kleider

Was bleibt von einer Karriere, wenn der Glanz abblättert und nur noch Schweigen zurückbleibt? Bei Diddy ist es nicht bloß Schweigen – es ist ein Echo aus Schmerz, ein Rückhall dunkler Zimmer und geschlossener Türen. Die Show ist vorbei. Jetzt spricht das Protokoll.
Die Anklage liest sich wie das Drehbuch eines Albtraums: Räume, in denen Kontrolle zum Kult wurde, Inszenierungen, in denen Menschen keine Menschen mehr waren, sondern Mittel zum Zweck. Und im Zentrum: ein Mann, der sich selbst als Architekt des Erfolgs sah – doch dessen Bauwerk, so scheint es, auf Missbrauch gegründet war.
Diddy, der stets den Ton angab, hört nun zu. Vielleicht zum ersten Mal. Da sitzt er – Vater, Sohn, Mogul – und blickt auf ein System, das er möglicherweise selbst geschaffen hat. Nicht aus Musik, nicht aus Kunst, sondern aus Manipulation, aus Machtspielen, aus gezielter Verwischung von Grenzen.
Seine Verteidigung wird versuchen, Zweifel zu säen. Wird fragen, warum erst jetzt, wird mit Begriffen wie "Einvernehmlichkeit" jonglieren. Es ist das alte Spiel: Wer spricht die Wahrheit? Wer will nur Geld? Wer hat etwas zu verlieren?
Doch wer hinhört – wirklich hinhört – erkennt die Muster. Die Wiederholungen. Die Ungeheuerlichkeit der Details. Hier geht es nicht um eine einzelne Nacht oder eine falsche Entscheidung. Es geht um eine jahrelange Struktur. Um ein System, in dem Sucht, Sex und Schweigen die Währung waren.
Diddy stand immer für Kontrolle. Für Image. Für Inszenierung. Nun steht er vor einem Gericht, das sich nicht beeindrucken lässt von Glitzer und Grammys. Kein Refrain wird ihn retten. Kein Beat kann übertönen, was jetzt ans Licht kommt.
Was auch immer das Urteil sein wird: Die Fassade ist gefallen. Und dahinter steht ein Mann, der sich selbst zum Mythos gemacht hat – und nun zusehen muss, wie dieser Mythos zerbricht.

10.05.25- Die Neue Harmonielehre – Band 1 & 2: Ein modernes Standardwerk für Jazz, Rock und Pop

Grafik: Bottomline
CC BY-SA 4.0 Wikimedia Commons

Frank Haunschilds zweiteiliger Band „Die Neue Harmonielehre“ hat sich zu einem echten Klassiker unter Musikschaffenden entwickelt – und das aus gutem Grund. Beide Bände ergänzen sich hervorragend und bilden zusammen ein fundiertes, durchdachtes Lernsystem für alle, die sich ernsthaft mit Harmonielehre auseinandersetzen möchten – insbesondere im Kontext von Jazz, Pop und Rockmusik.
Band 1 bietet einen strukturierten, gut nachvollziehbaren Einstieg in die Welt der Harmonielehre. Dabei werden grundlegende Themen wie Intervalle, Akkordaufbau, Tonleitern und Stufentheorie behandelt – stets mit Blick auf die praktische Anwendung in der modernen Musik. Besonders für angehende Jazzmusiker ist dieser Einstieg von großem Wert, da hier bereits zentrale Konzepte vermittelt werden, die später für komplexere Zusammenhänge essenziell sind. Haunschild gelingt es dabei, auch Anfänger*innen mitzunehmen, ohne die Inhalte zu stark zu vereinfachen.
Band 2 knüpft nahtlos an und führt tief in die weiterführenden Themen der Harmonielehre ein: Modal Interchange, Sekundärdominanten, Tritonussubstitution, alterierte Akkorde und funktionale Zusammenhänge werden ausführlich behandelt – nicht nur theoretisch, sondern auch mit zahlreichen praktischen Übungen. Die enthaltene Audio-CD ermöglicht es zudem, die Klangbeispiele auch ohne Instrument nachzuvollziehen, was das Lernen deutlich unterstützt. Das beigelegte Lösungsheft hilft, das eigene Verständnis zu überprüfen und gezielt zu vertiefen.
Ein besonderes Highlight ist das große Harmonielehre-Chart aus Band 2 – ein inspirierendes Werkzeug, das nicht nur Theorie visualisiert, sondern auch im kreativen Prozess unterstützt. Es lädt dazu ein, neue Akkordverbindungen auszuprobieren und beim Komponieren oder Arrangieren harmonische Möglichkeiten zu entdecken, die man sonst vielleicht übersehen hätte.
Fazit:
Mit „Die Neue Harmonielehre – Band 1 & 2“ liegt ein außergewöhnlich durchdachtes Lehrwerk vor, das sowohl im Selbststudium als auch im Unterricht hervorragend funktioniert. Trotz gelegentlich fachlich dichter Sprache bleiben die Inhalte meist gut nachvollziehbar – insbesondere durch die klaren Beispiele und die konsequente Praxisorientierung. Wer ernsthaft Harmonielehre verstehen und musikalisch anwenden möchte, findet hier ein unschätzbares Werkzeug.

09.05.25- Der Tod von Xatar: Eine Gangster-Rap-Legende mit dunklem Erbe

Foto: Giwar Hajabi
CC BY-SA 2.0 Wikimedia Commons

Mit 43 Jahren ist Giwar Hajabi, besser bekannt als Xatar, überraschend verstorben. Die Umstände seines Todes sind noch unklar, doch die Reaktionen in der deutschen Rap-Szene ließen nicht lange auf sich warten: Kolleginnen und Kollegen wie Farid Bang, Marina Buzunashvilli und Fler zollten dem als "Legende" gefeierten Künstler ihren Respekt. Dabei ist Xatars Vermächtnis ein zwiespältiges – denn der Aufstieg des Gangster-Rappers war geprägt von Gewalt, Kriminalität und einer bewusst zur Marke stilisierten kriminellen Identität.
Xatar war vieles: Musiker, Labelchef, Unternehmer – aber eben auch verurteilter Straftäter. Er inszenierte sich mit Vorliebe als "echter Gangster", und sein Ruf gründete sich nicht nur auf seinen Texten, sondern auf realen Verbrechen. Im Jahr 2009 überfiel er mit mehreren Komplizen einen Goldtransporter – ein Coup, der an ein Drehbuch für einen Heist-Film erinnert: getarnt als Steuerfahnder und Polizisten, erbeutete die Gruppe rund 1,7 Millionen Euro in Gold. Die Flucht endete im Irak, wo Hajabi schließlich verhaftet und nach Deutschland ausgeliefert wurde. Ein deutsches Gericht verurteilte ihn zu acht Jahren Haft, von denen er etwa fünf absaß.
Diese Biografie, in der kriminelle Realität und Selbstdarstellung auf drastische Weise ineinanderflossen, machte Xatar zu einer Ikone des Gangster-Raps – aber auch zu einer umstrittenen Figur. In seinen Songs glorifizierte er Gewalt, Macht und Reichtum, stets aus der Perspektive eines Mannes, der das System hinter sich gelassen und sich selbst zum Gesetz gemacht hatte. Die Grenze zwischen Kunstfigur und echtem Leben war bei Xatar oft nur noch schwer zu erkennen – das war Teil seines Erfolgs.
Dass sich Xatar nach seiner Haftentlassung auch als Geschäftsmann neu positionierte – mit eigenen Labels, einem Imbiss und einer Shisha-Bar – änderte wenig an der Wahrnehmung seiner Person. Sein Image blieb das des Mannes, der sich mit roher Energie, Härte und Loyalität Respekt erzwang. Die Verfilmung seiner Lebensgeschichte durch Fatih Akin in Rheingold verstärkte dieses Bild noch, brachte ihm aber auch Anerkennung als Kultfigur über die Rap-Szene hinaus.
Nun ist Xatar tot – und mit ihm eine Figur, die für viele die Inkarnation eines Lebens jenseits gesellschaftlicher Regeln war. Doch während Fans ihn für seine Authentizität verehren, bleibt die kritische Frage bestehen: Was sagt es über unsere Gesellschaft aus, wenn ein verurteilter Straftäter zur Legende erhoben wird? Der Mythos Xatar lebt weiter – aber er wirft auch einen dunklen Schatten.

08.05.25- Die Musikindustrie schaut in die falsche Richtung – Das wahre Problem liegt im KI-Training

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Die Debatte um generative KI in der Musik konzentriert sich fast ausschließlich auf Outputs: Wem gehört ein Song? Wer wird genannt, wenn eine Melodie ähnlich klingt? Doch das verkennt den Kern des Problems. Generative KI funktioniert nicht wie menschliche Kreativität. Sie basiert auf dem Training mit riesigen Datenmengen – Millionen Songs, die analysiert werden, um musikalische Muster und Stile zu verallgemeinern.
Die dabei entstehenden Outputs sind keine direkten Kopien, sondern statistische Neuzusammensetzungen. Das bedeutet: Der eigentliche Eingriff geschieht beim Training – nicht bei der Veröffentlichung. Wer sich nur auf Lizenzen für einzelne generierte Stücke konzentriert, reagiert zu spät. Der kreative Wert wurde bereits vorher entnommen.
Dabei wäre der technische Bedarf deutlich geringer. Um leistungsfähige KI-Musiksysteme zu trainieren, reichen bereits relativ kleine, qualitativ hochwertige Datensätze. Trotzdem wird weiterhin massenhaft Musik aus dem Netz extrahiert. Nicht aus technischer Notwendigkeit, sondern um rechtlichen Forderungen auszuweichen. Wer behauptet, „alles zu brauchen“, will vermeiden, für die wirklich relevanten Werke zu zahlen.
Ein weiteres Problem: Neue Werkzeuge ermöglichen es, aus fertigen Songs einzelne Bestandteile wie Gesang, Melodien oder Schlagzeugspuren herauszulösen. Diese Fragmente fließen ungesehen ins Training ein – ohne Zustimmung und ohne Nachweis. So wird jedes veröffentlichte Lied zur stillen Datenquelle. Das Konzept individueller Lizenzierung wird damit obsolet.
Die Musikindustrie aber verharrt im alten Denkrahmen: Es geht um Urheberschaft, Ähnlichkeit, einzelne Outputs. Dabei findet die zentrale Wertübertragung längst im Hintergrund statt – dort, wo kreative Arbeit in Modelle übergeht. Die Frage ist nicht, ob ein Ergebnis einem Lied ähnelt, sondern wie stark ein Werk zur Leistungsfähigkeit eines Systems beigetragen hat.
Solange dieser Beitrag nicht erkannt und vergütet wird, bleibt die Musik nur Rohmaterial für maschinelle Verwertung – mit weitreichenden Folgen für die künstlerische Vielfalt und wirtschaftliche Grundlage echter Musiker.

07.05.25- Underground-Rapper Wifiskeleton stirbt mit 21 – Fans trauern weltweit

LP Cover: Suburban Daredevil
Wifiskeleton

Die Untergrund-Musikszene trauert um den Rapper Wifiskeleton aus Atlanta. Der Künstler, mit bürgerlichem Namen Jerimiah, wurde am 5. Mai 2025 tot aufgefunden – ersten Berichten zufolge durch eine Überdosis. Er wurde nur 21 Jahre alt.
Die Nachricht verbreitete sich zuerst über Discord, wo der befreundete Künstler Witchbox sie mit ernsten Worten bestätigte: „Das ist kein Scherz. Skel ist tot. Als Polizei und Sanitäter kamen, war er schon kalt.“ Die Meldung schockierte Fans und Freunde gleichermaßen.
Wifiskeleton hatte sich mit einem einzigartigen Sound zwischen Lo-Fi-Beats, Emo-Rap und düsteren Themen wie Einsamkeit, psychische Gesundheit und Resilienz eine treue Fangemeinde aufgebaut. Besonders unter jungen Menschen, die sich mit seinen Texten identifizierten, fand er großen Anklang.
Kurz vor seinem Tod veröffentlichte der Musiker eine verstörende Aussage während eines Instagram-Livestreams: „Ich werde mich heute Nacht überdosieren und umbringen.“ Diese Ankündigung entfachte im Nachhinein große Bestürzung bei seinen Fans. Viele entdeckten seine Musik erst kurz vor seinem Tod – der Song "Nope You’re Too Late, I’m Already Dead" gilt nun als tragisch-prophetisches Vermächtnis.
Zahlreiche emotionale Beiträge überfluteten die sozialen Netzwerke. Ein Fan schrieb: „Ich habe noch nie so sehr geweint wegen jemandem, den ich nicht persönlich kannte.“ Auch Weggefährten erinnerten an den Künstler. Der Magier Johnny Montilla postete: „Du hattest noch so viel vor dir. Ich kann nicht glauben, dass du wirklich weg bist.“ Und der Künstler imsg schrieb: „Du hast mir geholfen, mein Leben anders zu sehen. Danke, Skel.“
Wifiskeleton – auch bekannt unter den Namen fuxkcy und 67 – war Mitglied des Kollektivs gothangelz und verband in seiner Musik Einflüsse aus Cloud Rap, Hyperpop und Internet-Ästhetik. Während der Pandemie gewann er stark an Bekanntheit. Sein erfolgreichstes Stück „Nope You’re Too Late I Already Died“ erreichte über 86.000 Aufrufe auf SoundCloud, sein Album Suburban Daredevil über 131.000.
Er hätte Ende Mai und Anfang Juni Konzerte in New York und Los Angeles gespielt – ausverkaufte Shows, die nun nicht mehr stattfinden werden. Offiziell hat sich die Familie des Musikers bisher nicht zu seinem Tod geäußert.
Der Verlust erinnert eindringlich an die Wichtigkeit psychischer Gesundheit und offener Gespräche über seelische Krisen – besonders im kreativen Umfeld. Wifiskeletons Musik bleibt als Ausdruck tief empfundener Emotionen bestehen und wird auch nach seinem Tod viele weiter begleiten.

06.05.25- Tal Farlow – Der stille Revolutionär der Jazzgitarre

Vernon Hyde
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In der Jazzszene der 1950er-Jahre galt Tal Farlow als Ausnahmeerscheinung – ein Gitarrist, der das Instrument neu definierte. Als Mitglied des Trios des Vibraphonisten Red Norvo, zusammen mit dem jungen Charles Mingus am Bass, machte er 1950 erste Aufnahmen für das Discovery-Label. Diese Sessions zählen bis heute zu den bedeutendsten kammermusikalischen Dokumenten des Jazz und verhalfen Farlow zu seinem legendären Ruf.
Im Gegensatz zu vielen jungen Gitarristen seiner Generation, die sich stark an Charlie Christian und Charlie Parker orientierten, schritt Farlow stilistisch eigenständig voran. Während Kollegen wie Barney Kessel oder Herb Ellis große Beachtung fanden, setzte Farlow Maßstäbe – mit atemberaubender Geschwindigkeit, technischer Präzision und einer Musikalität, die weit über bloße Virtuosität hinausging. Seine Phrasierung, die Verwendung weiter Intervalle und sein harmonisches Verständnis ließen selbst komplexe Bebop-Passagen fließend und selbstverständlich klingen. Dass er dabei eine vollkommen neue Anschlagtechnik verwendete – das Wechselspiel von Abschlag und Aufschlag – war Teil seiner Innovation: eine radikale Abkehr vom bis dahin üblichen Downstroke-Stil.
Seine Spielweise beeindruckte nicht nur das Publikum, sondern auch Kollegen. Johnny Smith, selbst eine Gitarrenlegende, brachte es auf den Punkt: „Dieses Spiel kommt aus Herz und Seele.“
Der Erfolg blieb nicht aus: In den Jahren 1954, 1956 und 1957 wurde Farlow von den Kritikern des Magazins DownBeat zum führenden Jazzgitarristen gewählt. Trotz dieser Erfolge zog sich Farlow Ende der 1950er-Jahre überraschend zurück. Nach einem Engagement im New Yorker Composer Club verschwand er beinahe völlig von der Bildfläche der Jazzmetropole – für fast zehn Jahre.
Die Gründe lagen nicht in künstlerischer Frustration, sondern in einer bewussten Lebensentscheidung. Farlow, frisch verheiratet, kehrte in seine Heimatstadt Sea Bright in New Jersey zurück, wo er in aller Ruhe als Schildermaler arbeitete – einem Beruf, den er schon vor seiner Musikerkarriere gelernt hatte. Boote, Angeln und gelegentliche lokale Auftritte ersetzten die große Bühne. Der Rückzug war freiwillig, das einfache Leben offenbar erfüllend genug.
Erst 1967 überredete ihn der Radiomoderator Mort Fega zu einem Comeback in einem kleinen Club in Manhattan. Die Resonanz war überwältigend. Farlow hatte – ohne es selbst zu merken – Kultstatus erlangt. Die Rückkehr wurde zum Ereignis. In den folgenden Jahren blieb seine Beziehung zur Jazzwelt jedoch ambivalent. Immer wieder zog er sich zurück, nur um bei besonderen Gelegenheiten überraschend wieder aufzutreten – so etwa beim Newport Jazz Festival 1969, wo er mit Red Norvo wieder auf der Bühne stand, oder 1973 im Duo mit Jim Hall.
Ein Höhepunkt dieser späten Jahre war das Konzert „Salute to Tal“ 1976 in der Carnegie Hall. Im selben Jahr begann seine Zusammenarbeit mit dem Concord-Label. Der Dokumentarfilm Talmage Farlow von Lorenzo DeStefano, der 1981 Premiere feierte, rückte den Gitarristen noch einmal ins Rampenlicht. Die sensible Filmbiografie zeigte den Menschen hinter dem Musiker – zurückhaltend, charmant, frei von Starallüren.
Der Film weckte neues Interesse, das selbst einen zurückgezogenen Geist wie Farlow zur Reaktion zwang. Es folgten internationale Tourneen, Festivalauftritte und schließlich in den 1990er-Jahren der Beitritt zur legendären „Great Guitars“-Formation an der Seite von Herb Ellis und Charlie Byrd.
Tal Farlow starb am 25. Juli 1998 im Alter von 77 Jahren. Bis zuletzt blieb er sich treu – ein bescheidener Mensch, der nie ganz verstand, warum so viele ihn für einen der größten Jazzgitarristen aller Zeiten hielten. Doch genau das war er.

05.05.25- Maschinen, Musik und die Zukunft der Improvisation

Kindel Media
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Im Zeitalter künstlicher Intelligenz und algorithmischer Präzision verschwimmen die Grenzen zwischen Mensch und Maschine – nicht nur in Fabriken oder auf Finanzmärkten, sondern zunehmend auch in den Künsten. Die Musik, einst ein Paradebeispiel menschlicher Spontaneität, ist hiervon besonders betroffen. Während Maschinen zunehmend Fähigkeiten zur Improvisation entwickeln, wird der Mensch in der Musik mehr und mehr zur perfekten Kopiermaschine degradiert. Der Widerspruch ist kaum zu übersehen: Während Algorithmen lernen zu improvisieren, hat die klassische Musik ihre eigene Improvisation fast vollständig aufgegeben.

Der Verlust menschlicher Spontaneität
Im 18. und 19. Jahrhundert galt Improvisation noch als selbstverständlicher Bestandteil des Musikschaffens. Große Namen wie Bach oder Mozart waren nicht nur Komponisten, sondern ebenso begnadete Improvisatoren. In der heutigen klassischen Musik ist davon kaum etwas übrig. Hochschulausbildung, Wettbewerbsdruck und die Idealisierung des „perfekten Tons“ haben ein System geschaffen, das menschliche Unvollkommenheit nicht duldet. Übrig geblieben ist eine fast industrielle Reproduktion technisch perfekter Darbietungen – so austauschbar wie Maschinen.
Dieser Trend wurde durch die Entwicklung der Tonaufzeichnung massiv verstärkt. Aufnahmen setzen einen Referenzmaßstab, dem sich jedes Live-Konzert zu unterwerfen hat. Was früher als Ausdruck von Individualität und Moment galt, wird heute oft als Fehler abgewertet. Musikerinnen und Musiker werden in eine Rolle gedrängt, in der nicht das kreative Risiko zählt, sondern die perfekte Wiederholung – ein musikalisches Fließband.

Der Rückzug der Improvisation ins Abseits
Mit dem Rückzug der Improvisation aus der klassischen Musik wurde sie zum Markenzeichen eines anderen Genres: des Jazz. Doch auch hier wird sie häufig marginalisiert – nicht selten durch institutionellen Rassismus und akademische Hierarchien. Improvisation bleibt in vielen Ausbildungsstätten ein Randthema, bestenfalls toleriert, selten gefördert. Die Vorstellung, dass Werke mit improvisatorischen Anteilen oder gar aus der Jazztradition stammend nicht „ernstzunehmend“ seien, hält sich hartnäckig.
Dabei ist genau diese spontane, intuitive Schöpfungskraft eine der letzten Bastionen menschlicher Ausdruckskraft. In ihr liegt nicht nur Musikalität, sondern auch Widerspruch, Emotion und eine gewisse Form von Widerstand gegen das Planbare. Wenn aber auch hier Maschinen zu imitieren beginnen, was bleibt dann noch?

Maschinen lernen improvisieren – wirklich?
Künstliche Intelligenz hat in den letzten Jahren erstaunliche Fortschritte gemacht. Vom algorithmischen Börsenhandel bis hin zu autonomen Fahrzeugen reicht das Spektrum. Auch in der Musik generieren KI-Systeme mittlerweile plausible Jazz-Soli oder Barockfugen. Doch bleibt dabei oft unklar, ob es sich um echte Improvisation handelt – oder lediglich um extrem schnelle, statistisch fundierte Kompositionen.
Denn wahre Improvisation ist mehr als Berechnung. Sie lebt vom Scheitern, vom Risiko, von der Fähigkeit, im Moment Entscheidungen zu treffen, die auch falsch sein dürfen – und gerade deshalb besonders sind. Ob Maschinen je diese Fähigkeit zur intuitiven „Fehlentscheidung“ erlernen können, bleibt offen.

Zukunftsperspektiven: Verlust oder Chance?
Die Zukunft wirft komplexe Fragen auf. Werden Orchester in Zukunft durch Roboter ersetzt, die nie falsch spielen und nie krank sind? Werden Musikhochschulen „Aufführungssimulation“ unterrichten, während kreative Spontaneität algorithmisch berechnet wird? Oder erleben wir vielleicht eine Rückbesinnung auf das Menschliche, das Unvollkommene, das Einmalige?

Fest steht: Wenn die Musik nicht erneut den Mut zur Unvorhersehbarkeit findet, riskiert sie, zur bloßen Klangtapete technologischer Effizienz zu verkommen. Die Ausbildung muss dringend reformiert werden. Es braucht ein neues Bewusstsein für Improvisation – nicht nur im Jazz, sondern quer durch alle musikalischen Stile. Denn genau dort, im Spannungsfeld zwischen Fehler und Ausdruck, zwischen Struktur und Freiheit, liegt das, was Maschinen bislang nicht können: wahrhaft lebendige Musik.

Fazit
Die Musik der Zukunft steht an einem Scheideweg. Entweder sie wird perfektioniert und damit entmenschlicht – oder sie öffnet sich wieder dem Risiko, dem Zufall und dem lebendigen Ausdruck. Es liegt an uns, welche Richtung wir einschlagen.

04.05.25- Jill Sobule gestorben – Die "andere" Sängerin von I Kissed a Girl

Uncensored Interview
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Jill Sobule, Singer-Songwriterin und feministische Stimme der 1990er, ist tot. Laut ihrem Management kam sie im Alter von 66 Jahren bei einem Hausbrand in den USA ums Leben – mehrere Medien, darunter Variety, berufen sich auf diese Information. Ein offizielles Statement beschreibt Sobule als „Naturgewalt“ und „Verfechterin der Menschenrechte“, deren Musik „in unsere Kultur eingewoben“ sei.
Bekannt wurde Sobule vor allem durch ihren 1995er Hit I Kissed a Girl. Doch wer bei diesem Titel sofort an Katy Perry denkt, denkt zu kurz. Sobules Version war zarter, ironischer – und tatsächlich subversiv. Sie erzählte von einer realen, zärtlich-hinterfragten lesbischen Erfahrung, nicht von einem kalkulierten Tabubruch für die Charts. Dass Perrys gleichnamiger Song 2008 fast völlig ohne Bezug zum Original zum Megahit wurde, rückte Sobules Beitrag zur LGBTQ+-Sichtbarkeit unfairerweise in den Hintergrund.
Musikalisch blieb Sobule nie beim reinen Pop stehen. Mit Songs wie Supermodel (aus dem Film Clueless) oder ihren zahlreichen, oft selbstveröffentlichten Alben kombinierte sie Ironie mit politischem Witz, Folk-Einflüsse mit Pop-Appeal. Sie war mehr Indie als Mainstream, mehr Beobachterin als Star – und gerade darin lag ihre Relevanz.
In einer Ära, in der queere Sichtbarkeit oft noch verpönt war, stand Sobule aufrecht und klug in der Öffentlichkeit. Ihr Tod reißt eine Lücke – nicht in die Hitparaden, sondern in die widerständige Ecke der Popkultur, in der Haltung mehr zählt als Hype.

03.05.25- Das Mysterium von „Subway of Your Mind“ – Die Spurensuche nach einem verlorenen Lied

Im weiten Kosmos der Musikgeschichte tauchen gelegentlich Stücke auf, die wie aus dem Nichts zu kommen scheinen – und ebenso schnell wieder verschwinden. Eines dieser Stücke ist das geheimnisvolle Lied „Subway of Your Mind“ der kaum bekannten Fex Band. Ein Track, der im Internet Kultstatus erlangte, obwohl (oder gerade weil) fast nichts über seine Herkunft bekannt ist.

Der Ursprung: Wer ist die Fex Band?
Die Fex Band ist ein Mysterium für sich. Es existieren keine offiziellen Veröffentlichungen, keine Biografien, kaum belastbare Informationen. Die wenigen Hinweise stammen aus alten Radiomitschnitten, Blogs und Foren. Vermutet wird, dass das Lied in den 1980er-Jahren entstanden ist – vielleicht in den USA oder in Kanada. Der Sound erinnert an eine Mischung aus Soft Rock, Dream Pop und New Wave, mit hallgetränkten Gitarren, sphärischen Synthesizern und einer melancholischen Gesangsstimme.

„Subway of Your Mind“ – Eine musikalische Zeitkapsel
Das Lied selbst wirkt wie eine Reise durch eine unterbewusste Welt, eine Art musikalischer Traumzug durch die Psyche. Textzeilen wie „Riding the subway of your mind“ sprechen von inneren Labyrinthen, Erinnerungen und Einsamkeit. Die Atmosphäre erinnert an die introspektive Seite von Bands wie The Church, Talk Talk oder Mazzy Star.
Musikalisch ist es gut produziert, was darauf hindeutet, dass es in einem professionellen Studio aufgenommen wurde – und doch bleibt es ein Einzelstück. Es gibt keine bekannten Alben, keine weiteren Songs. Das Stück ist wie ein Schatten im Netz: ein Fragment aus einer Zeit, die vergessen scheint.

Internetphänomen: Die Suche nach der Wahrheit
„Subway of Your Mind“ wurde über Plattformen wie Reddit, YouTube und TikTok bekannt. Musikarchäologen und Hobbydetektive versuchen seit Jahren, die Identität der Fex Band aufzudecken – bisher ohne Erfolg. Manche spekulieren, dass es sich um ein Werbelied, ein nie veröffentlichtes Demoband oder gar einen bewussten Hoax handelt.
Doch andere glauben an seine Echtheit: Die emotionale Tiefe und klangliche Raffinesse sprechen für ein ernst gemeintes Kunstwerk – ein verlorenes Juwel aus der goldenen Ära der Independent-Musik.

Fazit
„Subway of Your Mind“ ist mehr als nur ein Lied – es ist ein kulturelles Phantom, das eine seltsame Faszination ausübt. In einer Zeit, in der Musik allgegenwärtig und leicht zugänglich ist, erinnert uns dieses verschwommene Stück an den Zauber des Unbekannten, des Vergessenen – und an die Magie der Suche selbst.

02.05.25- Tod eines Metal-Musikers: Polizeieinsatz eskaliert in South San Francisco

Sven Mandel
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Der Gitarrist Brian Montana, einst Mitglied der legendären Death-Metal-Band Possessed, wurde am Montagabend von der Polizei erschossen – ausgerechnet nach einem Nachbarschaftsstreit über abgeschnittene Äste.
Was als alltäglicher Streit zwischen Nachbarn begann, endete in einem tödlichen Feuergefecht. Laut Angaben der Polizei von South San Francisco rückten die Einsatzkräfte gegen 18 Uhr in die Arroyo Drive aus, nachdem ein Anrufer meldete, dass ein bewaffneter Mann seinen Nachbarn bedrohe. Der 60-jährige Brian Montana, ein früher Gitarrist der Band Possessed, hatte sich offenbar über Baumabfälle aufgebracht und geriet darüber in Rage.
Nach offiziellen Angaben eröffnete Montana mit drei verschiedenen Waffen – einer Handfeuerwaffe, einer Schrotflinte und einem Gewehr – das Feuer auf die Polizei. Über eine halbe Stunde lang soll er aus dem Schutz von Fahrzeugen und Gartensträuchern auf die Einsatzkräfte geschossen haben. Diese reagierten mit Gegenfeuer, wobei Montana schließlich tödlich getroffen wurde. Erste Hilfe blieb erfolglos. Ein weiterer Anwohner wurde verletzt, befindet sich laut Behörden aber außer Lebensgefahr. Polizeikräfte blieben unverletzt.
Die Band Possessed, stilprägend für das Death-Metal-Genre, veröffentlichte am Mittwoch ein schlichtes Statement in den Instagram-Stories: „Rest In Peace Brian Montana“ – versehen mit einem Foto des Verstorbenen. Weitere Details oder eine Stellungnahme zu dem Vorfall blieb bislang aus.
Kritiker stellen indes unbequeme Fragen: Wie konnte ein eskalierender Nachbarschaftskonflikt derart außer Kontrolle geraten? Hätte die Polizei den Einsatz anders deeskalieren können – oder müssen? War Montana, ein Mann mit musikalischem Vermächtnis, möglicherweise psychisch labil? Und was sagt es über den Zustand gesellschaftlicher Kommunikation aus, wenn ein Disput über Gartenabfälle in einer tödlichen Schießerei mündet?
Obwohl Montana schon seit Jahren nicht mehr aktiv mit Possessed musizierte, bleibt sein Tod ein Schlag für die Szene – und ein Mahnmal für das Scheitern sozialer und institutioneller Konfliktbewältigung.

01.05.25- Wintergatan: Musik zwischen Mechanik und Magie – Die Geschichte der Marble Machine

Wintergatan ist eine schwedische Folktronica-Band aus Göteborg, die internationale Bekanntheit vor allem durch den Bau einer mechanischen Musikmaschine erlangte: der Marble Machine. Diese aufwendig konstruierte Apparatur wurde von Bandmitglied Martin Molin zwischen 2014 und 2016 entworfen und gebaut. Sie funktioniert rein mechanisch, wird per Handkurbel betrieben und nutzt Stahlkugeln, die auf programmierbare Weise auf verschiedene Instrumente fallen und so Musik erzeugen. Die Mechanik ist äußerst komplex: Die Kugeln werden über Röhren in eine obere Ebene transportiert, von wo aus sie präzise gesteuert auf ein Vibraphon, eine Bassgitarre, Becken und durch Kontaktmikrofone simulierte Schlagzeugklänge treffen. Die Notenfolge wird auf zwei drehbaren Rädern mit Lego-Technic-Teilen gespeichert, die die Auslösung der Kugeln kontrollieren.
Das dazugehörige Musikvideo, das 2016 veröffentlicht wurde, ging viral und wurde über 240 Millionen Mal auf YouTube angesehen. Der Erfolg dieses Projekts machte Wintergatan auch über die Musikwelt hinaus bekannt. Die ursprüngliche Maschine wurde später im Museum Speelklok in den Niederlanden ausgestellt, bevor sie wieder in den Besitz der Band zurückkehrte.
Im Anschluss an den Erfolg der ersten Maschine begann Martin Molin mit dem Bau einer verbesserten Version: Marble Machine X. Diese sollte robuster, präziser und vor allem tourtauglich sein. Zahlreiche Ingenieure, Designer und Fans aus aller Welt beteiligten sich an der Weiterentwicklung. Doch trotz jahrelanger Arbeit stellte Molin das Projekt Ende 2021 ein – die Komplexität und Unzuverlässigkeit der Konstruktion erwiesen sich als nicht praktikabel für den Live-Einsatz.
Beide Maschinen wurden schließlich dem „Siegfried’s Mechanisches Musikkabinett“ in Deutschland übergeben. Im März 2022 begann Molin mit einem dritten Anlauf unter dem Titel Martin vs the Machine, in dem er sich erneut der Herausforderung stellt, eine funktionierende mechanische Musikmaschine zu bauen – diesmal mit den Lehren aus den vorherigen Projekten im Gepäck.
Wintergatan besteht aus Martin Molin, Evelina Hägglund, David Zandén und Marcus Sjöberg. Alle Bandmitglieder sind Multiinstrumentalisten mit unterschiedlichen Schwerpunkten. Der Klang von Wintergatan verbindet akustische und elektronische Elemente, oft erzeugt mit ungewöhnlichen Instrumenten wie dem Modulin (ein bandgesteuerter Synthesizer in Geigenform), Theremini, Autoharp, Hackbrett, musikalischer Säge oder sogar einer Schreibmaschine. Die Band veröffentlichte 2013 ihr Debütalbum Wintergatan und tourte 2014 und 2016 durch Schweden. Die mechanischen Musikmaschinen jedoch wurden zum Markenzeichen – ein außergewöhnliches Zusammenspiel aus Musik, Ingenieurskunst und künstlerischer Vision.

30.04.25- Roger "Chappo" Chapman – Der eigenwillige Rock-Charakter mit dem unverkennbaren Vibrato

Roger Maxwell Chapman (*8. April 1942 in Leicester, England) ist ein britischer Rocksänger, der durch seine markante Stimme mit starkem Vibrato und seine kompromisslose Bühnenpräsenz bekannt wurde. Als Frontmann der Progressive-Rock-Band Family und später der Streetwalkers sowie als erfolgreicher Solokünstler prägte Chapman über Jahrzehnte die Rock- und Blues-Szene in Europa.

Frühes Leben
Chapman wuchs unter schwierigen sozialen Verhältnissen in Leicester auf. Nach eigenen Angaben wurde er als Kind hin- und hergeschoben und schließlich von seinen Großeltern aufgezogen. In der Schule fiel er durch Autoritätsprobleme auf und brach mehrere Ausbildungsversuche ab. Ein schwerer Autounfall mit 18 Jahren veränderte seine Lebensrichtung. Er heiratete jung, wurde früh Vater – die Ehe hielt jedoch nur kurz.

Musikalische Anfänge
Seine musikalische Karriere begann 1958 mit Straßenmusik und später in lokalen Bands wie The Rocking R's. Der Durchbruch kam mit The Farinas, der Vorläuferband von Family, der Chapman 1966 beitrat. Unter dem Einfluss des Produzenten Kim Fowley entstand der Name Family, der mafiose Assoziationen aufgriff. Die Band wurde in Großbritannien mit sieben Alben sehr erfolgreich. Besonders Family Entertainment (1969), A Song for Me (1970) und Anyway (1970) erreichten hohe Chartplatzierungen.
Nach Auflösung der Band 1973 gründete Chapman mit Charlie Whitney die Streetwalkers, die bis 1977 aktiv waren.

Solokarriere und Erfolge
1979 erschien sein erstes Soloalbum Chappo. Es wurde ein Achtungserfolg, besonders mit Songs wie Moth to a Flame und Who Pulled the Nite Down. Begleitet von der Band The Shortlist tourte er intensiv durch Europa. In den 1980er Jahren veröffentlichte er zahlreiche erfolgreiche Alben wie Mail Order Magic (1980), Hyenas Only Laugh for Fun (1981) oder The Shadow Knows (1984).
Ein besonderer Höhepunkt war der Auftritt bei der Rockpalast Nacht 1981, der ihn mit einem Schlag einem Millionenpublikum in Europa bekannt machte. Der Song Shadow on the Wall, aufgenommen mit Mike Oldfield, wurde 1983 ein europaweiter Hit, insbesondere im deutschsprachigen Raum.

Zusammenarbeit mit bekannten Musikern
Chapman arbeitete mit einer Vielzahl prominenter Künstler wie Mike Batt, Rory Gallagher, John Wetton, Alvin Lee, Mick Rogers und Mike Oldfield. Er war auf Alben von Box of Frogs, Karl Ratzer, der SAS Band sowie mit Rainer Baumann zu hören.

Spätere Jahre
In den 1990er Jahren bis heute veröffentlichte Chapman weitere Alben, darunter Hide Go Seek (2009), ein Doppelalbum mit teils unveröffentlichten Stücken, und Peaceology (2014). Insgesamt erschienen bis 2021 fünfzehn Studioalben unter seinem Namen.

Bedeutung und Stil
Chapmans unverwechselbares Vibrato, seine raue Bühnenenergie und seine genreübergreifenden Songs machten ihn zu einer einzigartigen Figur des britischen Rock. Er beeinflusste unter anderem Peter Gabriel und wurde in Deutschland mehrfach als bester ausländischer Sänger ausgezeichnet.

29.04.25- Der walisische Sänger Mike Peters, Frontmann von The Alarm, ist tot

Foto: @markheybo
CC BY 2.0 Wikimedia Commons

Drei Jahrzehnte lang lebte Mike Peters mit der Diagnose Blutkrebs – ein Schicksal, das ihn nicht brach, sondern prägte. Am 28. April 2025 ist der charismatische Musiker, der mit seiner Band The Alarm die britische Rockszene der 1980er Jahre aufmischte, im Kreise seiner Familie gestorben. Er wurde 66 Jahre alt.
Peters war mehr als ein Musiker – er war ein Kämpfer. 1995 wurde bei ihm erstmals ein Lymphom festgestellt. Trotz der Krankheit blieb er über Jahrzehnte hinweg künstlerisch aktiv. Erst im vergangenen Jahr musste er eine geplante US-Tour absagen: Ein besonders aggressiver Krebs hatte ihn erneut getroffen.
In den 1980ern erlangte Mike Peters mit The Alarm internationale Bekanntheit. Songs wie "68 Guns" oder "Strength" wurden zu Hymnen einer Generation – kraftvolle Rocknummern mit politischem und persönlichem Anspruch. Die Band war ein fester Bestandteil der alternativen Szene Großbritanniens, oft in einem Atemzug mit Größen wie U2 genannt. Peters tourte mit Bono und Co., spielte mit Bruce Springsteen und Bob Dylan – und brachte stets seine eigene Stimme ein: laut, ehrlich, unerschütterlich.
Auch abseits der Bühne kämpfte Peters für das Leben. Gemeinsam mit seiner Frau Jules, die selbst an Brustkrebs erkrankte, gründete er die Organisation Love Hope Strength, die sich der Krebsbekämpfung verschrieben hat. Peters trat öffentlich für die Stammzellspende ein, organisierte Benefizkonzerte – unter anderem auf dem Mount Everest – und sprach offen über seine Erkrankung. Sein Kampf wurde für viele zum Symbol der Hoffnung.
Geboren wurde Mike Peters 1959 in Prestatyn, einem kleinen Ort im Norden von Wales. Mit seiner Frau Jules war er 39 Jahre verheiratet. Gemeinsam haben sie zwei Söhne: Dylan (20) und Evan (18). Sie waren an seiner Seite, als er starb.
Mike Peters hinterlässt eine musikalische und menschliche Spur, die weit über sein Werk hinausreicht. Er war ein Mann, der nicht leise ging. Seine Lieder bleiben – laut, klar und voller Leben.

28.04.25- Jamie McMann ist im Alter von 48 Jahren gestorben

Lp Cover
Engineer: Jamie McMann

Toningenieur und Produzent arbeitete mit Punkgrößen wie Me First and the Gimme Gimmes.
Die Musikwelt trauert um Jamie McMann. Der renommierte Toningenieur und Produzent, der unter anderem mit der Punk-Supergroup Me First and the Gimme Gimmes arbeitete, ist im Alter von 48 Jahren gestorben. Die Band setzte sich aus Mitgliedern legendärer Gruppen wie den Ramones und den Foo Fighters zusammen.
Wie jetzt bekannt wurde, starb McMann bereits am 24. April. Die Nachricht wurde jedoch erst kürzlich durch einen Instagram-Beitrag von Punk-Ikone Fat Mike öffentlich gemacht.
"Ein sehr trauriger Tag… Jamie McMann ist viel zu jung gestorben", schrieb Fat Mike. "Für diejenigen, die ihn nicht kennen: Er war sieben Jahre lang Toningenieur in den Motor Studios. Er war der Typ, mit dem ich zwölf Stunden am Tag gearbeitet habe, um einige der besten Musikstücke meiner Karriere zu schaffen. Zu viele Nächte durchgemacht? So etwas gibt es nicht, wenn man Musik macht, die etwas bedeutet... Schaut ihn bitte auf Wikipedia nach. Er hat so viele unglaubliche Platten gemacht!!! Jamie, danke für alles… Du wirst nicht vergessen werden!"
Die genaue Todesursache wurde bislang nicht veröffentlicht.
McMann hinterlässt ein musikalisches Vermächtnis, das weit über die Punk-Szene hinausreicht. Sein Gespür für Sound und seine Leidenschaft für Musik prägten zahlreiche Alben, die bis heute als Meilensteine gelten.
Einer der bekanntesten Songs, an denen McMann mitwirkte, ist die gefeierte Coverversion von "Country Roads" durch Me First and the Gimme Gimmes – ein Stück, das exemplarisch für seinen mitreißenden Sound und seine präzise Produktionsarbeit steht und bis heute Kultstatus in der Punkszene genießt.

27.04.25- Künstliche Intelligenz komponiert – und wir hören den Unterschied (fast) nicht mehr

Musik entsteht aus Emotion, Kreativität – und neuerdings auch aus Codezeilen. Dank Plattformen wie Udio oder Suno können Nutzer heute per Klick ganze Songs generieren. Das Beeindruckende daran: Die künstliche Intelligenz (KI) hinter diesen Tools imitiert den menschlichen Stil derart überzeugend, dass selbst geübte Ohren oft nicht mehr unterscheiden können, wer – oder was – die Musik erschaffen hat.
Ein Journalist der MIT Technology Review hat diesen Eindruck kürzlich in einem Selbstversuch bestätigt. Mithilfe eines Tests ließ er Probanden Stücke hören, teils von Menschen komponiert, teils von KI-Modellen erzeugt – das Ergebnis: Die Mehrheit konnte die Herkunft der Songs nur erraten.

Maschinenlernen mit menschlichem Material
Programme wie Udio und Suno beruhen auf generativer KI: Sie wurden mit Abertausenden von menschlichen Musikbeispielen trainiert. Statt alte Songs zu kopieren, erstellen sie daraus neue Werke, die im Stil, in der Struktur und im Klang verblüffend authentisch wirken. Oft werden Vocals, Instrumentierung und Produktionsqualität gleich so gestaltet, dass sie an moderne Chart-Hits oder klassische Bandproduktionen erinnern.

Warum erkennen wir KI-Musik so schwer?
Musik ist für das menschliche Gehirn ein hoch emotionaler Reiz. Wir achten instinktiv auf Muster wie Melodien, Rhythmen oder Harmonien – genau diese Muster lernen KI-Systeme perfekt nachzubilden. Dazu kommt: Unser Gehör ist auf Emotion und Atmosphäre geeicht, nicht auf die Produktionsweise.
Hinzu kommt, dass KI-Musik gezielt so gestaltet wird, dass sie die Erwartungen erfüllt, die wir an „echte“ Musik haben. Kleine Unregelmäßigkeiten, vermeintliche Spontaneität – auch das lässt sich algorithmisch simulieren.

Was bedeutet das für die Zukunft der Musik?
Dass wir KI-Produktionen so schwer erkennen, wirft spannende Fragen auf: Wird Originalität in Zukunft noch messbar sein? Verlieren wir den emotionalen Bezug, wenn Musik nicht mehr von Menschen stammt? Oder gewinnen wir neue Formen der Kreativität, in denen Künstler und Maschinen zusammenarbeiten?

Fest steht: Die Musiklandschaft befindet sich im Umbruch – und unser Gehör wird lernen müssen, mitzuhalten.

26.04.25- Die Celesta: Himmlische Klänge auf Tasten

Wer den zarten, glitzernden Klang der Celesta einmal gehört hat, wird ihn nie wieder vergessen. Dieses ungewöhnliche Tasteninstrument, das an eine Mischung aus Klavier und Glockenspiel erinnert, verzaubert seit über einem Jahrhundert die Musikwelt.
Erfunden wurde die Celesta 1886 von dem französischen Instrumentenbauer Auguste Mustel. Sein Ziel war es, ein Instrument zu entwickeln, das die Klarheit von Glockenklängen mit der Spielbarkeit einer Klaviatur verband. Der Name „Celesta“, abgeleitet vom lateinischen „caelestis“ (himmlisch), beschreibt den Charakter des Instruments perfekt.
Optisch ähnelt die Celesta einem kleinen Klavier, doch der Klang entsteht nicht durch Saiten, sondern durch kleine Metallplatten, die von filzüberzogenen Hämmerchen angeschlagen werden. Diese Platten sitzen über hölzernen Resonanzkästen, die den Ton verstärken und ihm seine typische, silbrig-weiche Färbung verleihen. Das Gehäuse selbst besteht meist aus edlem Holz, gefertigt mit größter Präzision. Zusammen ergeben diese Materialien ein Instrument, dessen Preis heute schnell zwischen 20.000 und 50.000 Euro liegen kann – bei handgefertigten Modellen renommierter Hersteller wie Schiedmayer auch deutlich darüber.
Berühmt wurde die Celesta durch Pjotr Iljitsch Tschaikowsky, der sie 1892 in seinem Ballett Der Nussknacker einsetzte. Besonders der "Tanz der Zuckerfee" lebt vom zauberhaften Klang der Celesta und machte sie über Nacht weltbekannt. Seitdem fand sie ihren Weg in die Musik großer Komponisten wie Gustav Mahler und Béla Bartók. Mahler integrierte die Celesta in seine 6. und 8. Symphonie, während Bartók ihr in seinem Werk „Musik für Saiteninstrumente, Schlagzeug und Celesta“ eine zentrale Rolle gab.
Doch auch jenseits der klassischen Bühne hat die Celesta Spuren hinterlassen: John Williams’ weltberühmtes „Hedwig’s Theme“ aus den Harry Potter-Filmen lebt von ihrem magischen Klang. Sogar Pop- und Rockgrößen wie The Beatles („Baby, You’re a Rich Man“) und Radiohead („Motion Picture Soundtrack“) experimentierten mit ihrem einzigartigen Klang.
Heute begegnet man der Celesta vor allem in Orchestern, bei Ballettaufführungen und in der Filmmusik. Ihr zarter Klang eignet sich perfekt für Passagen voller Zauber, Träume oder kindlicher Unschuld. Gespielt wird sie meist von Pianisten, denn die Spieltechnik entspricht weitgehend der des Klaviers – allerdings sollte man nicht vergessen: Die Celesta ist ein transponierendes Instrument, sie klingt eine Oktave höher als notiert.
Die Celesta bleibt ein seltenes Juwel im Klanguniversum – faszinierend durch ihre Schlichtheit und zugleich überwältigend durch ihre zauberhafte Präsenz. Ihr Klang öffnet Fenster in andere Welten, lässt Zuhörer träumen und macht sie für Komponisten bis heute unverzichtbar, wenn es um die Vertonung des Wunderbaren geht.
Im Deutschen heißt es die Celesta. Das Wort „Celesta“ ist ein weibliches Substantiv und stammt aus dem Französischen (célesta), wo es ebenfalls feminin ist. Deshalb wird es im Deutschen korrekt mit dem Artikel „die“ verwendet. Man sagt also beispielsweise: „Die Celesta erklingt im Orchester“ oder „Tschaikowsky setzte die Celesta im Nussknacker ein.“

25.04.25- David Thomas ist tot – Ein Avantgarde-Pionier verlässt die Bühne

Joe Mabel
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David Thomas, Mitbegründer und langjähriger Sänger der US-amerikanischen Rockband Pere Ubu, ist am 23. April 2025 im Alter von 71 Jahren gestorben. Das teilte die Band über soziale Medien mit. Thomas starb demnach nach längerer Krankheit in Großbritannien, wo er zuletzt lebte. Seine Ehefrau und seine jüngste Stieftochter waren in seinen letzten Stunden an seiner Seite.
Thomas zählte zu den prägenden Figuren der experimentellen Rockszene der 1970er-Jahre. Mit Pere Ubu schuf er eine musikalische Handschrift, die Elemente des Punk, Art-Rock und elektronischer Klangcollagen miteinander verband. Auch mit der Band Rocket From The Tombs sowie verschiedenen Solo- und Kollaborationsprojekten war er künstlerisch aktiv.
Bis kurz vor seinem Tod arbeitete Thomas an neuen Projekten. Laut Angaben der Band schloss er erst kürzlich gemeinsam mit Pere Ubu die Aufnahmen zu einem neuen Album ab – in dem Wissen, dass es sein letztes sein würde. Die Veröffentlichung ist zu einem späteren Zeitpunkt geplant.
Neben der Musik widmete sich Thomas auch dem Schreiben. An seiner Autobiografie arbeitete er bis zuletzt, konnte sie jedoch nicht vollenden. Ein Veröffentlichungstermin steht derzeit noch nicht fest.
Thomas soll seinem Wunsch entsprechend in seine Heimat überführt werden – auf eine Farm im US-Bundesstaat Pennsylvania. Dort, so teilte die Band mit, habe er darum gebeten, „in die Scheune geworfen“ zu werden – eine letzte ironische Geste des Künstlers, der für seine unkonventionelle Art bekannt war.
Zum Abschied ließ die Band seine eigenen Worte sprechen:
„Mein Name ist David Fucking Thomas... und ich bin der Leadsänger der besten verdammten Rock-'n'-Roll-Band der Welt.“

24.04.25- Banjo Roots: Wie schwarze Musiker ein vergessenes Erbe neu beleben

Das Banjo klingt für viele nach Bluegrass, nach Nashville und nach weißen Cowboys. Doch das beliebte Saiteninstrument hat eine ganz andere Geschichte: Es stammt ursprünglich aus Westafrika. Und genau dorthin – zu seinen kulturellen Wurzeln – kehrt es gerade zurück. Eine neue Generation schwarzer Musiker bringt das Banjo wieder dorthin, wo es einst begann: in die Hände afroamerikanischer Künstler.
Lange bevor das Banjo durch Country und Folk populär wurde, wurde es von versklavten Afrikanern nach Nordamerika gebracht. Über Jahrhunderte hinweg spielte es eine zentrale Rolle auf den Plantagen – als Ausdruck von Erinnerung, Schmerz und Hoffnung. Erst im 19. Jahrhundert betrat es die große Bühne – aber unter fragwürdigen Bedingungen: In den berüchtigten Minstrel-Shows traten weiße Künstler mit schwarz geschminkten Gesichtern auf und karikierten afroamerikanische Musik. Das Banjo wurde zur Requisite rassistischer Unterhaltung – und prägte so jahrzehntelang das Bild des Instruments.
Dass sich heute schwarze Musiker*innen wie die Carolina Chocolate Drops das Banjo zurückholen, ist mehr als nur musikalische Rehabilitierung – es ist ein kultureller Akt. Die Band fand sich 2005 beim „Black Banjo Gathering“ in North Carolina zusammen – einer Schlüsselmoment für das, was heute als Black Banjo Revival gilt. Dort wurde nicht nur gespielt, sondern auch gesprochen: über afrikanische Ursprünge, karibische Einflüsse, klassische Banjo-Ragtimes und traditionelle Old-Time-Stile. Es war eine Rückbesinnung und eine Selbstermächtigung zugleich.
Musiker wie Joe Thompson, einer der letzten afroamerikanischen Old-Time-Fiddler, inspirierten diese Bewegung. Sie zeigen: Schwarze Banjo-Traditionen gab es immer – sie wurden nur übertönt, verdrängt, vergessen. Doch genau jetzt ist der Moment, diese Geschichten neu zu erzählen. Nicht mit Nostalgie, sondern mit Stolz.
Dass dieser Perspektivwechsel endlich stattfindet, ist auch Produzenten und Musikliebhabern wie Jay Rutledge zu verdanken. Der BR-Redakteur und Labelchef von Out Here Records setzt sich seit Jahren für afrikanische Musik und ihre globale Relevanz ein – auch mit seiner aktuellen Radiosendung über das Banjo und seine verdrängte Herkunft.
Das Banjo war nie nur ein Soundtrack für weiße Cowboys. Es war ein Instrument des Widerstands, der Identität und der kulturellen Verbindung. Jetzt beginnt eine neue Ära – und sie ist schwarz.

23.04.25- Der Klang des Augenblicks: Indische Musik verstehen

Sukanto Debnath
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Indische Musik ist nicht einfach nur Klang – sie ist eine Philosophie. Anders als die westliche Musik, die auf Harmonien und Akkordfolgen aufbaut, dreht sich hier alles um einen einzigen Ton: den Grundton „sa“. Um ihn kreist die gesamte Musik, getragen von einer Solostimme oder einem Instrument, begleitet von Trommeln und der Tamboura. Letztere erzeugt mit ihren konstanten Borduntönen ein schwebendes Klangfundament – ein meditatives Zentrum, aus dem sich alles entwickelt.
Im Zentrum der klassischen indischen Musik stehen zwei Konzepte: Raga und Tala. Der Raga ist mehr als nur eine Tonleiter – er ist ein musikalischer Charakter, fast schon ein Lebewesen. Er bringt eine bestimmte Stimmung mit sich, kennt festgelegte Tonfolgen, typische Verzierungen und oft sogar eine Tageszeit, zu der er am besten zur Geltung kommt. Ein Raga für den Sonnenaufgang klingt ganz anders als einer für den Abend – nicht nur wegen der Töne, sondern wegen seiner inneren Haltung.
Der zweite Pfeiler, der Tala, gibt der Musik ihren Rhythmus – aber nicht als starres Metrum, sondern als pulsierender Zyklus mit kunstvollen Akzenten. Zusammen formen Raga und Tala ein System, das sowohl streng als auch frei ist: Es gibt klare Regeln, doch Improvisation ist ausdrücklich erwünscht – solange sie dem Geist des Ragas treu bleibt.
Notiert wird das Ganze mit Silben wie „sa, re, ga, ma, pa, dha, ni“, statt mit Noten. Diese sogenannten Swaras können – mit Ausnahme von „sa“ und „pa“ – erhöht oder erniedrigt werden. Feinheiten wie diese eröffnen eine enorme klangliche Vielfalt. Das gesamte Tonsystem ordnet sich dabei sogenannten Thaats unter – Skalenmodelle, aus denen Hunderte von Ragas hervorgehen.
Die Verbindung zur Natur ist tief: Manche Ragas sind mit Regen, Feuer oder bestimmten Lichtverhältnissen verknüpft. In alten Texten ist von bis zu 16.000 Ragas die Rede. Heute sind rund 300 überliefert, aber nur etwa 100 werden aktiv gepflegt. Dennoch zeigt sich darin die enorme Lebendigkeit dieser musikalischen Tradition.
Indische Musik lebt im Moment – sie ist Klang gewordene Zeit. Und genau das macht sie so faszinierend: Sie zwingt uns, zuzuhören, nicht nur mit den Ohren, sondern mit dem ganzen Wesen.

22.04.25- Bossa Nova: Die leise Revolution der brasilianischen Musik

Ines Saraiva
CC BY 2.0 Wikimedia Commons

Der Bossa Nova entstand Ende der 1950er-Jahre in Brasilien, als eine neue Generation junger Musiker in den urbanen Zentren wie Rio de Janeiro begann, die traditionelle Samba mit Elementen des Cool Jazz zu verschmelzen. Diese Musik war leiser, intimer und raffinierter als die leidenschaftliche, oft ekstatische Samba. Die Gitarrenbegleitung wurde subtiler, mit komplexeren Akkorden und rhythmischen Mustern, während der Gesang fast flüsternd, beinahe gesprochen wirkte. Im Zentrum dieser Bewegung stand João Gilberto, dessen Spielweise auf der klassischen Gitarre – eine Mischung aus synkopierten Rhythmen und jazzartigen Voicings – den Klang des Bossa Nova maßgeblich definierte. Sein Gesangsstil war introvertiert, fast meditativ, und stellte eine radikale Abkehr von der Expressivität früherer brasilianischer Popmusik dar.
Gilberto war jedoch nicht allein. Der Komponist Antônio Carlos Jobim brachte seine klassische Ausbildung und seine Affinität zum Jazz ein und schuf einige der unsterblichsten Melodien der brasilianischen Musikgeschichte. Seine Zusammenarbeit mit dem Lyriker Vinícius de Moraes, einem Diplomaten und Dichter, führte zu Werken, die nicht nur musikalisch anspruchsvoll, sondern auch literarisch bedeutend waren. Lieder wie „Chega de Saudade“, „Garota de Ipanema“ („The Girl from Ipanema“) oder „Desafinado“ gelten heute als Standards, nicht nur des Bossa Nova, sondern des gesamten globalen Jazzrepertoires. Sie zeigen eine perfekte Balance zwischen Harmonie, Melodie und Poesie.
Musikalisch ist der Bossa Nova geprägt von Jazzakkorden wie Major7, 9 oder 13, oft mit chromatischen Verbindungen und inneren Stimmen, die die Harmonie lebendig halten. Die Gitarre übernimmt dabei nicht nur die rhythmische Basis, sondern auch harmonische Feinheiten, die in engem Dialog mit der Melodie stehen. Besonders faszinierend ist der Umgang mit der Synkope, dem rhythmischen Verschieben der Betonungen, das dem Bossa Nova seine unverkennbare Leichtigkeit und seinen „schwebenden“ Charakter verleiht. Auch der Einfluss der klassischen Musik, etwa durch impressionistische Komponisten wie Debussy oder Ravel, ist bei Jobim hörbar – sei es in den Voicings oder in der strukturellen Entwicklung seiner Kompositionen.
Der internationale Durchbruch kam Anfang der 1960er-Jahre, vor allem durch die Kollaboration von João Gilberto, Antônio Carlos Jobim und dem amerikanischen Saxophonisten Stan Getz. Das Album Getz/Gilberto wurde zu einem weltweiten Erfolg und katapultierte Songs wie „The Girl from Ipanema“ auf die Bühnen der Welt. Besonders auffällig war hierbei die Stimme von Astrud Gilberto, deren zarter, fast schüchterner Gesang den Klang des Bossa Nova weiter definierte – eine Stimme, die mehr andeutete als ausdrückte und damit perfekt zum Wesen dieser Musik passte.
Im Laufe der Zeit wurde der Bossa Nova von vielen Musikern weltweit aufgegriffen und weiterentwickelt. Künstler wie Baden Powell brachten afrobrasilianische Elemente und virtuose Gitarrentechnik in die Stilistik ein, während spätere Interpreten wie Elis Regina oder Milton Nascimento eine emotionale Tiefe hinzufügten, die die Musik nie ganz verlassen hat. Obwohl die Blütezeit des klassischen Bossa Nova nur ein knappes Jahrzehnt währte, wirkt seine Ästhetik bis heute nach – in der Jazzwelt, in der Popmusik und in der Kunst des Gitarrenspiels. Seine Meisterwerke sind bis heute lebendig: nicht nur als Repertoirestücke, sondern als Ausdruck einer musikalischen Revolution, die in ihrer Zurückhaltung eine neue Form der Intensität fand.

21.04.25- Die Stimmgabel – Das kleinste Orchester der Welt

Ewald Judt
CC BY 4.0 Wikimedia Commons

Die Stimmgabel ist eines dieser merkwürdigen Objekte, das aussieht, als hätte jemand versucht, ein minimalistisches Essbesteck zu entwerfen – und es dann aus Versehen für Musik perfektioniert. Zwei metallene Zinken, ein Griff, und wenn man sie anschlägt, entsteht ein Ton, der so rein und gleichmäßig ist, als hätte er nie etwas von Popmusik gehört. In der Regel handelt es sich dabei um den Ton a' mit 440 Hertz – ein Ton, der als internationales Standard-Stimmton dient und somit die Welt der Musik im Zaum hält, damit das Orchester nicht klingt, als würde jeder Instrumentalist seine eigene Wetterlage vertonen.
Erfunden wurde dieses kleine Wunderwerk 1711 von John Shore, einem Trompeter und Lautenisten, der vermutlich genug davon hatte, dass Musiker ständig aneinander vorbeistimmen. Also erfand er kurzerhand ein Gerät, das kompromisslos klar war – wie ein musikalischer Schiedsrichter in U-Form. Seitdem hat sich die Stimmgabel einen festen Platz in der Musikwelt gesichert, von den Kammern klassischer Geigenlehrer bis zu modernen Tonstudios – und sogar darüber hinaus.
Denn was viele nicht wissen: Die Stimmgabel hat auch eine medizinische Karriere hingelegt. In der Neurologie wird sie eingesetzt, um das Vibrationsempfinden zu testen, zum Beispiel bei Menschen mit Verdacht auf Nervenschäden. Auch in der Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde kommt sie zum Einsatz, wenn Ärztinnen und Ärzte das Hörvermögen diagnostisch erforschen. Es ist also durchaus möglich, dass dieselbe Idee, die Musiker in Stimmung bringt, auch hilft, Nervenschäden zu entdecken. Man könnte sagen, die Stimmgabel hat eine Doppelausbildung gemacht – Musikerin bei Tag, Medizinerin bei Nacht.
In einer Welt voller digitaler Helfer und Smartphone-Apps wirkt die Stimmgabel fast wie ein Relikt. Doch genau das verleiht ihr einen gewissen Charme. Keine Batterien, kein Display, keine Updates – nur ein klarer, vibrierender Ton. Und wenn man sie auf eine Tischplatte hält, wird der ganze Tisch zum Resonanzkörper. Plötzlich wird aus einem stillen Objekt eine klingende Bühne, und man kann sich für einen Moment wie ein Klangzauberer fühlen.
Natürlich ist sie kein Alleskönner. Sie kann keine Gitarre automatisch stimmen oder ein Orchester dirigieren – aber was sie tut, das tut sie mit majestätischer Schlichtheit. Man schlägt sie an, sie klingt. Kein Drama, kein Theater – nur Musik in ihrer pursten Form.
Wer also das nächste Mal auf eine Stimmgabel trifft, sollte nicht nur an gestimmte Geigen denken, sondern an eine kleine Revolution in Metall. Und vielleicht daran, dass manchmal die schlichtesten Dinge die reinsten Töne anschlagen – im wahrsten Sinne des Wortes.

20.04.25- Die wohltemperierte Stimmung – ein Wendepunkt in der Musikgeschichte

LP Cover: F. Gulda (Klavier)
Das wohltemperierte Klavier 1

Die wohltemperierte Stimmung ist ein System zur Temperierung von Musikinstrumenten mit festen Tonhöhen wie Klavier oder Orgel, das – anders als die reine oder mitteltönige Stimmung – die uneingeschränkte Verwendung aller Tonarten des Quintenzirkels ermöglicht. Der Begriff „temperiert“ leitet sich vom lateinischen temperare ab und bedeutet „richtig bemessen“. In der Musik bezeichnet er das gezielte Verstimmen von Intervallen, um die natürlichen Tonhöhenabweichungen – etwa das pythagoreische oder syntonische Komma – gleichmäßig zu verteilen und so klanglich akzeptable Kompromisse zu schaffen.
Ab dem späten 17. Jahrhundert entwickelte Andreas Werckmeister mehrere wohltemperierte Stimmungen, die eine Erweiterung der bis dahin vorherrschenden mitteltönigen Systeme darstellten. Sie erlaubten es erstmals, in allen Tonarten zu komponieren und zu spielen – ein entscheidender Schritt für die Musikentwicklung des Barock. Frühere Versuche, dies zu erreichen, gab es unter anderem bei Orgelbauern wie Christian Förner. Besonders in Mitteldeutschland verbreiteten sich durch Werckmeister und dessen Umfeld zahlreiche Orgeln mit wohltemperierten Stimmungen, die Komponisten wie Johann Sebastian Bach zu neuen kompositorischen Möglichkeiten inspirierten.
Anders als die später dominierende gleichstufige Stimmung, bei der alle Halbtöne identisch sind und die Tonartencharakteristik verloren geht, bewahrten historische wohltemperierte Systeme – wie die von Werckmeister, Kirnberger oder Vallotti – den individuellen Klang jeder Tonart. Sie balancierten reine und leicht verstimmte Intervalle so aus, dass häufig verwendete Tonarten besonders gut klangen, während entferntere Tonarten einen schärferen Charakter erhielten.
Bachs berühmtes Werk Das Wohltemperierte Klavier steht exemplarisch für diesen Fortschritt. Es zeigt, wie Kompositionen in allen Tonarten durch wohltemperierte Stimmungen möglich wurden – ohne dass Bach dabei die moderne gleichstufige Stimmung gemeint hätte. Welche genaue Stimmung er dabei verwendete, ist bis heute nicht zweifelsfrei geklärt. Manche Theorien versuchen, aus grafischen Elementen auf dem Titelblatt des Werks Rückschlüsse auf sein Stimmungsverfahren zu ziehen, doch bleiben diese Spekulationen umstritten.
Die wohltemperierte Stimmung markiert somit einen entscheidenden Wendepunkt in der Musikgeschichte – zwischen klanglicher Vielfalt und praktischer Spielbarkeit – und war eine notwendige Voraussetzung für die musikalische Entwicklung der Tonalität in ihrer ganzen Breite.

19.04.25- Judas Priest trauern um ein ehemaliges Band-Mitglied: Schlagzeuger Les Binks ist gestorben

LP Cover: Killing Machine

Die legendäre britische Heavy-Metal-Band Judas Priest hat einen schmerzlichen Verlust erlitten. Ihr ehemaliger Schlagzeuger Les Binks ist im Alter von 71 Jahren verstorben. Die Nachricht wurde von seiner Familie und Musikerkollegen bestätigt. Binks, der zwischen 1977 und 1979 Teil der Band war, galt als einer der prägenden Drummer der klassischen Judas-Priest-Ära.
Les Binks spielte auf den Alben „Stained Class“ (1978), „Killing Machine“ (1978, in den USA auch bekannt als „Hell Bent for Leather“) und dem Live-Klassiker „Unleashed in the East“ (1979). Sein technisch versiertes, kraftvolles Spiel trug maßgeblich dazu bei, den Sound der Band in dieser entscheidenden Entwicklungsphase zu formen. Besonders das rasante „Exciter“, das oft als eines der ersten Speed-Metal-Stücke überhaupt genannt wird, lebt von seinem markanten Drumming.
Bandgründer Ian Hill und Sänger Rob Halford äußerten sich in sozialen Medien tief betroffen und würdigten Binks als „einen großartigen Musiker und Freund“. Auch zahlreiche Fans und Weggefährten zeigen sich erschüttert – Binks galt trotz seiner relativ kurzen Bandzugehörigkeit als Fan-Favorit.
Nach seinem Ausstieg bei Judas Priest blieb Les Binks musikalisch aktiv, spielte unter anderem mit der Band Lionheart und trat in den letzten Jahren mit dem Projekt Les Binks' Priesthood auf, das Klassiker aus seiner Zeit bei Judas Priest interpretierte.
Die Musikwelt verliert mit Les Binks nicht nur einen begnadeten Schlagzeuger, sondern auch einen der Mitbegründer des klassischen Metal-Sounds. Seine Energie, Präzision und Leidenschaft werden unvergessen bleiben.

18.04.25- Flügel von Steinway & Grotrian / Große Vergangenheit – Zukunft ungewiss

Steffiewe
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Für viele ist der Name dieser niedersächsischen Stadt mit Fachwerk, Forschung und Fußball verbunden. Doch unter Musikliebhabern erklingt Braunschweig noch in ganz anderen Tönen: Hier nahm einst die Geschichte zweier weltberühmter Klaviermarken ihren Anfang – Steinway & Sons und Grotrian-Steinweg.

Ein musikalisches Erbe mit Weltruhm
Im Jahr 1835 gründete Heinrich Engelhard Steinweg in Seesen, südlich von Braunschweig, seine erste Klavierwerkstatt. Nur wenige Jahre später zog er in die Residenzstadt Braunschweig, wo er seine Instrumente weiterentwickelte und verfeinerte. 1850 emigrierte er mit seiner Familie in die USA – unter dem Namen Steinway & Sons revolutionierte er den Klavierbau und machte die Marke zum Synonym für Konzertflügel höchster Qualität.
Sein Sohn Theodor blieb zunächst in Deutschland und arbeitete weiter mit Friedrich Grotrian zusammen, einem Musikliebhaber und Unternehmer, der den deutschen Zweig der Familie unterstützte. Daraus entstand Grotrian-Steinweg – eine Firma, die bis heute in Braunschweig ansässig ist und sich dem Bau von Flügeln und Klavieren mit handwerklicher Präzision und klanglicher Finesse widmet.

Zwischen Tradition und Herausforderungen
Während Steinway & Sons heute in Hamburg und New York produziert und weltweit gefragt ist, steht Grotrian-Steinweg exemplarisch für die Herausforderungen mittelständischer Manufakturen in einer globalisierten Welt. Trotz ihres Rufs in Fachkreisen und der Treue vieler Pianisten kämpft die Marke seit Jahren mit einem schrumpfenden Markt, steigendem Preisdruck und sich wandelnden Musikgewohnheiten.
Chinesische Investoren retteten das Unternehmen im Jahr 2015 vor dem Aus. Die Produktion blieb in Braunschweig, doch die Frage bleibt: Wie lange kann ein traditionsreicher Betrieb mit handgefertigten Instrumenten gegen Massenproduktion und digitale Klavieralternativen bestehen?

Kulturstadt mit Klang
Braunschweig hat mit seinen Flügeln musikalische Weltgeschichte geschrieben. Doch auch vor Ort lebt die Musik weiter: mit einem engagierten Staatstheater, Musikhochschule, zahlreichen Ensembles und Festivals. Es wäre ein Verlust, wenn der Name Braunschweig im internationalen Konzertbetrieb nicht mehr mitschwingen würde – nicht nur als Herkunftsort legendärer Instrumente, sondern als lebendige Musikstadt mit Zukunft.

Fazit:
Braunschweig hat der Musikwelt viel gegeben. Die Flügel von Steinway und Grotrian sind mehr als Instrumente – sie sind klingende Botschafter einer Stadt, deren musikalische Geschichte noch lange nicht enden muss. Doch sie braucht Aufmerksamkeit, Förderung und vielleicht ein wenig mehr Stolz auf das, was in ihren Werkstätten entstand.

17.04.25- Robert Schumann und seine 3. Sinfonie „Rheinische“ – Kunst, Wahnsinn und Abschied

Robert Schumann (1810–1856) gilt als einer der bedeutendsten Komponisten der Romantik. Sein Werk zeichnet sich durch poetische Tiefe, emotionale Ausdruckskraft und einen starken inneren Zusammenhalt zwischen Musik und Literatur aus. Besonders faszinierend ist seine 3. Sinfonie in Es-Dur op. 97, die sogenannte „Rheinische“, die nicht nur ein musikalisches Zeugnis seiner reifen Schaffensperiode ist, sondern auch ein Spiegelbild seiner inneren Welt kurz vor dem tragischen Ende seines Lebens.

Die 3. Sinfonie „Rheinische“ (Es-Dur op. 97)
Schumann komponierte die „Rheinische“ Sinfonie im Jahr 1850, kurz nachdem er die Stelle als Musikdirektor in Düsseldorf angetreten hatte. Die Stadt am Rhein und ihre lebendige, festliche Atmosphäre inspirierten ihn zu einem Werk, das sich von seinen früheren Sinfonien durch eine besonders volkstümliche, heitere und rhythmisch energische Sprache abhebt. Die Uraufführung fand am 6. Februar 1851 unter seiner eigenen Leitung in Düsseldorf statt.
Die Sinfonie besteht aus fünf Sätzen – ungewöhnlich für die damalige Zeit, da Sinfonien meist vier Sätze hatten. Schumann folgt hier einer freien Form, die möglicherweise von Beethovens Pastoral-Sinfonie beeinflusst ist.

Lebhaft – Der erste Satz beginnt mit einem schwungvollen, triumphalen Thema, das oft als musikalische Darstellung des Rheins selbst interpretiert wurde. Die Musik wirkt beschwingt, kraftvoll und optimistisch.
Schlicht – Ein ruhiger Ländler im zweiten Satz, der volkstümliche Tänze zitiert und die rheinische Landschaft musikalisch einfängt.
Nicht schnell – Ein lyrischer, pastoraler Satz, der als Intermezzo dient. Hier dominiert eine intime, fast kammermusikalische Atmosphäre.
Feierlich – Der wohl bedeutendste Satz der Sinfonie. Inspiriert durch einen Besuch im Kölner Dom, spiegelt dieser Satz eine Art geistliche Erhabenheit wider. Die Musik wirkt wie ein sakrales Ritual – getragen, ernst und mit monumentaler Klangfülle.
Lebhaft – Der letzte Satz bringt die Sinfonie zu einem versöhnlichen, lebensbejahenden Ende zurück, mit schwungvoller Energie und rheinischem Optimismus.

Obwohl Schumann selbst keine programmatische Deutung ausdrücklich veröffentlicht hat, gilt es heute als sicher, dass persönliche Eindrücke – insbesondere die rheinische Kultur und Natur – die Sinfonie stark geprägt haben.

Psychische Krankheit und Selbstmordversuch
Bereits seit seiner Jugend litt Schumann unter psychischen Problemen, die sich im Lauf seines Lebens verschärften. Er schwankte zwischen Phasen intensiver Kreativität und tiefen Depressionen. Zeitweise glaubte er, von Geistern heimgesucht oder von Engelschören inspiriert zu werden.
Im Februar 1854 verschlechterte sich sein Zustand dramatisch. Schumann litt unter akustischen Halluzinationen – er hörte Musik, die nicht da war, darunter angeblich ein „Engelskonzert“, das in ein „Höllenkonzert“ überging. Am 27. Februar 1854 versuchte er, sich das Leben zu nehmen, indem er sich in den Rhein stürzte. Er wurde jedoch von Fischern gerettet und nach Hause gebracht.
Nach diesem Vorfall bat er selbst darum, in die Heilanstalt Endenich bei Bonn eingeliefert zu werden, wo er die letzten zwei Jahre seines Lebens verbrachte – weitgehend isoliert von der Außenwelt.
Robert Schumann starb am 29. Juli 1856 im Alter von nur 46 Jahren in der psychiatrischen Klinik in Endenich. Die genaue Todesursache ist bis heute nicht eindeutig geklärt – diskutiert werden Syphilis, eine bipolare Störung oder eine neurodegenerative Erkrankung. Sicher ist nur: Er starb geistig umnachtet, weit entfernt von der Welt, die ihn einst gefeiert hatte.
Seine Frau Clara Schumann, selbst eine bedeutende Pianistin und Komponistin, durfte ihn erst kurz vor seinem Tod noch einmal besuchen. Diese Begegnung war von großer Emotionalität geprägt, doch Schumann war zu diesem Zeitpunkt kaum noch ansprechbar.

Nachklang
Die 3. Sinfonie bleibt als letztes großes Orchesterwerk Schumanns ein leuchtender Moment in einem Leben voller Dunkelheit. Sie steht am Übergang vom schöpferischen Leben zum tragischen Ende – ein Werk von heiterer Kraft, das im Kontrast zu seinem seelischen Zerfall steht.

Schumann selbst sagte einmal:
„Ich bin ein Künstler, der durch Leiden gegangen ist.“
Und doch hinterließ er der Welt eine Musik, die weit über sein persönliches Leiden hinausreicht.

16.04.25- Max Romeo – Jamaikas wortgewaltiger Reggae-Pionier stirbt mit 80 Jahren

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Max Romeo, einer der einflussreichsten Stimmen des Reggae, ist im Alter von 80 Jahren gestorben. Geboren am 22. November 1944 in Saint Ann Parish, Jamaika, wuchs er unter schwierigen Verhältnissen auf und entdeckte schon früh die Musik als Ausdrucksmittel. Seinen bürgerlichen Namen, Maxwell Livingston Smith, legte er ab, um sich als Max Romeo neu zu erfinden – ein Name, der bald über Jamaikas Grenzen hinaus Bedeutung erlangen sollte.
Romeos Karriere begann in den frühen 1960er-Jahren, als sich Ska und Rocksteady auf der Insel etablierten. Sein erster großer Erfolg kam 1968 mit dem provokanten Song „Wet Dream“, der aufgrund seiner sexuellen Anspielungen in Großbritannien für Furore sorgte. Trotz Zensurmaßnahmen wurde das Lied ein Hit und machte ihn international bekannt. Doch Max Romeo war mehr als nur ein Skandal-Popstar – er entwickelte sich zu einem politischen Künstler, dessen Texte zunehmend die gesellschaftlichen und spirituellen Spannungen seiner Heimat widerspiegelten.
In den 1970er-Jahren fand Romeo seine künstlerische Stimme im Roots Reggae – einem Genre, das Spiritualität, soziale Kritik und afrikanische Identität miteinander verband. Mit dem Album War Ina Babylon, das 1976 unter der Produktion von Lee "Scratch" Perry entstand, setzte er einen Meilenstein der jamaikanischen Musikgeschichte. Der Song „Chase the Devil“, dessen ikonischer Refrain später von The Prodigy und Jay-Z gesampelt wurde, verkörperte Romes Mischung aus biblischer Bildsprache, politischer Haltung und hypnotischem Groove.
Romeos Musik war stets geprägt von seinem Engagement für Gerechtigkeit und einem tiefen Bewusstsein für die Widersprüche seiner Zeit. Ob in Liedern gegen Armut, Korruption oder Kolonialismus – er verstand es, seine Stimme als Waffe einzusetzen. Auch in späteren Jahren blieb er aktiv, veröffentlichte weiterhin Alben und tourte weltweit. Dabei begleitete ihn oft seine Familie, unter anderem seine Kinder Azizzi Romeo und Xana Romeo, die ebenfalls musikalische Wege einschlugen.
Mit seinem Tod verliert die Welt nicht nur einen musikalischen Pionier, sondern auch einen Chronisten der jamaikanischen Seele. Max Romeo war ein Künstler, der nie aufgehört hat, sich einzumischen – und dessen Songs auch heute noch kraftvoll klingen, weil sie vom Kampf, vom Glauben und von der Hoffnung erzählen.

15.04.25- Die Musikwelt trauert um Drew Zingg: Gitarrenlegende mit 68 Jahren verstorben

Steely Dan ‎– Alive In America
Drew Zingg on guitar

Die Musikwelt verliert mit Drew Zingg einen ihrer bemerkenswertesten Gitarristen. Im Alter von 68 Jahren verstarb der Künstler, der mit seinem einzigartigen Stil und seiner außergewöhnlichen Fähigkeit, Jazz, Rock und Blues zu verschmelzen, tiefe Spuren hinterlassen hat. Besonders seine Zusammenarbeit mit Steely Dan und Boz Scaggs prägte die Musikszene nachhaltig.
Die Nachricht von seinem Tod verbreitete sich durch eine bewegende Erklärung seiner Familie in den sozialen Medien, in der sie ihre tiefe Trauer zum Ausdruck brachte. Drew Zingg widmete sein Leben voll und ganz der Musik. Sein Talent als Gitarrist und Arrangeur, gepaart mit seiner umfassenden Kenntnis amerikanischer Musiktraditionen und seinem tiefen musikalischen Gespür, begeisterte nicht nur ein breites Publikum, sondern zog auch zahlreiche Künstler an, die er als Mentoren, Freunde und Kollegen schätzte.
Sein unverwechselbarer Klang, seine ruhige Ausstrahlung und seine inspirierende Bühnenpräsenz werden in der Musikwelt eine schmerzliche Lücke hinterlassen. Für seine Familie war er nicht nur ein begnadeter Musiker, sondern auch ein liebevoller Vater und ein unerschütterlicher Rückhalt.
Im Juni wird in San Francisco ein Gedenkgottesdienst stattfinden, um sein Leben und sein musikalisches Erbe zu würdigen. Anstelle von Blumen bittet die Familie um Spenden an den Sweet Relief Musicians Fund oder eine andere Organisation, die notleidende Musiker unterstützt. Details zu Datum und Ort der Gedenkfeier werden zu einem späteren Zeitpunkt bekannt gegeben.
Drew Zingg war bekannt für seinen eleganten, melodischen Stil und seine Fähigkeit, komplexe Harmonien mühelos zu spielen. Seine Arbeit mit Steely Dan in den 1990er Jahren, insbesondere auf der „Alive in America“-Tour, gilt als Höhepunkt seiner Karriere. Auch seine langjährige Zusammenarbeit mit Boz Scaggs trug maßgeblich zu dessen musikalischen Sound bei. Er war ein hoch angesehener Musiker, der von Kollegen für seine Bescheidenheit, sein Talent und seine Hilfsbereitschaft geschätzt wurde. Viele Gitarristen nennen ihn als wichtige Inspiration.
Der Sweet Relief Musicians Fund hilft Musikern, die mit gesundheitlichen Problemen, Behinderungen oder altersbedingten Problemen zu kämpfen haben. Seine Musik wird weiter leben, und seine Einflüsse werden noch lange in der Musikwelt zu hören sein.

14.04.25- Die Entzauberung der Musik: Vom Zauber zur algorithmischen Formel

Bocardodarapti
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Einst war Musik ein Tor zu neuen Welten, ein magischer Moment der Entdeckung. Eine verrauschte Kassette, ein zufällig gefundener Radiosender – und plötzlich öffnete sich ein Universum voller Klänge und Emotionen. Musik war kein Konsumgut, sondern ein tiefgreifendes Erlebnis. Man verliebte sich nicht nur in Lieder, sondern durch sie hindurch, jeder Ton trug eine Geschichte, eine Bedeutung, eine Erinnerung. Wer die Magie von Depeche Mode wirklich erlebt hat, versteht, was damit gemeint ist.
Heute genügt ein einfacher Befehl, und eine Künstliche Intelligenz erschafft einen kompletten Song. Stimme, Text, Instrumente, Stilrichtungen – alles wird nach Wunsch kombiniert. In Sekunden entsteht Musik aus dem Nichts, oder zumindest etwas, das so klingt. Diese KI-generierten Werke erobern die Charts, gehen viral und laufen in Dauerschleife auf Playlists. Doch hinter der perfekten Oberfläche bleibt ein fader Beigeschmack, denn diese Musik wurde nicht erschaffen, sondern berechnet.
In der KI-Musik fehlt das Risiko, die Persönlichkeit, die Geschichte. Sie reproduziert Bekanntes, bedient sich an Erfolgsrezepten und kombiniert sie neu. Das Ergebnis ist gefällig, glatt, oft erstaunlich präzise – aber selten originell. Emotionen werden imitiert, nicht empfunden. Was fehlt, ist das Unvollkommene, das Spontane, das Menschliche. Echte Musik hat Ecken und Kanten, sie zittert, stolpert, schreit – sie lebt. KI-Musik ist ein glatter, fehlerfreier Durchlauf.
Die Folgen sind gravierend. Plattformen wie Spotify werden täglich mit Tausenden KI-generierten Tracks überschwemmt, weil sie billig, skalierbar und funktional sind. Für authentische Künstler wird es immer schwieriger, gehört zu werden. Und damit verschwindet nicht nur die Individualität, sondern auch die Existenzgrundlage. Wenn Musik per Knopfdruck produziert werden kann, was bleibt dann vom Wert der Idee? Vom Stolz auf ein eigenes Werk? Von der Geschichte hinter der Melodie?
Unser Verhältnis zur Musik verändert sich grundlegend. Was einst kostbar, selten oder bewusst gewählt war, ist heute ein endloser, beliebiger Strom. Von Mixtapes über CD-Kopien bis zu MP3s war der Weg in die digitale Freiheit eine Befreiung – aber auch eine Entwertung. Napster, LimeWire, Streaming-Dienste: Musik wurde immer bequemer, billiger, verfügbarer. Und wir haben diese Entwicklung bereitwillig mitgetragen, mit jeder gebrannten CD, jeder übersprungenen Playlist.
Nun hat der Algorithmus die Kontrolle übernommen. Er entscheidet, was wir hören, nicht weil es uns herausfordert, sondern weil es perfekt in den Hintergrund passt. Musik wird zur Funktion, zur Kulisse, zur akustischen Tapete. Und die Künstliche Intelligenz liefert genau das, was dieser Mechanismus verlangt: Inhalte ohne Widerstand, ohne Haltung, ohne Tiefe.
Dabei war Musik so viel mehr: Protest, Identität, Intimität, ein Ort der Selbstbegegnung. All das kann uns keine Maschine zurückgeben. Denn Musik bedeutet, sich selbst einzubringen – nicht nur Daten. Vielleicht ist es noch nicht zu spät, sich daran zu erinnern. Vielleicht lohnt es sich, wieder genauer hinzuhören. Dorthin, wo es noch knistert, wo etwas bricht, wo jemand wirklich etwas zu sagen hat.

13.04.25- Die Welt verliert eine Stimme des Lichts - Amadou Bagayoko ist tot

Der Gitarrist, Sänger und Komponist, der gemeinsam mit seiner Frau Mariam Doumbia als Duo Amadou & Mariam weltberühmt wurde, starb im Alter von 70 Jahren. Sein Leben war geprägt von Dunkelheit – er erblindete bereits in jungen Jahren – und gleichzeitig erfüllt von einer tiefen inneren Leuchtkraft, die in seiner Musik Ausdruck fand. Für Amadou war die Musik nicht nur Berufung, sondern ein Weg durch das Leben, eine Sprache, mit der er die Welt verstand und sich ihr mit offenem Herzen zuwandte.
In Bamako, der Hauptstadt Malis, geboren, entdeckte Amadou früh seine Liebe zur Gitarre. Die Klänge, die er dieser entlockte, waren durchdrungen von westafrikanischen Wurzeln, aber auch von der Liebe zu amerikanischem Blues, Soul und Rock. In den 1970er Jahren begegnete er Mariam, ebenfalls blind, in einer Schule für Sehbehinderte – aus dieser Begegnung erwuchs eine tiefe menschliche und musikalische Verbindung, die ihr ganzes weiteres Leben prägen sollte. Als Duo verbanden sie ihre Stimmen, ihre Erfahrungen, ihre Hoffnungen und ihre Vision einer Welt, in der Grenzen, ob geografisch, kulturell oder körperlich, durch Kunst überwindbar werden.
Internationale Bekanntheit erreichten Amadou & Mariam vor allem mit ihren Alben der 2000er Jahre, doch ihre Musik war nie ein Produkt des Augenblicks. Sie entstand aus einer jahrzehntelangen Hingabe, aus Konzerten auf staubigen Bühnen in Bamako ebenso wie aus Kollaborationen mit Künstlern aus Europa, Amerika und Asien. Ihre Songs erzählen von Liebe und Alltag, von Sehnsucht und Erinnerung, von Heimat und Aufbruch – und immer wieder auch von dem Mut, trotz aller Hindernisse weiterzugehen.

Amadou & Mariam – Eine musikalische Liebesgeschichte
Das Duo Amadou & Mariam wurde ab den 1980er Jahren zunächst in Westafrika bekannt, doch der internationale Durchbruch kam in den frühen 2000er Jahren. Mit einer einzigartigen Mischung aus malischer Musik, westlichem Pop, Blues, Funk und Latin-Einflüssen kreierten sie einen eigenen Sound, der über Genregrenzen hinausging.
Ihr 2004 erschienenes Album “Dimanche à Bamako”, produziert vom französischen Musiker Manu Chao, wurde ein weltweiter Erfolg. Songs wie “Je pense à toi” oder “Senegal Fast Food” brachten ihre Musik auf große Festivalbühnen und in die Charts Europas. Ihre Konzerte, etwa beim Glastonbury Festival oder im Vorprogramm von U2 und Coldplay, machten sie zu internationalen Stars.
Amadou war kein lauter Mensch. Doch wenn er spielte, sprach seine Gitarre mit einer Klarheit und Wärme, die berührte. Er war ein Künstler, der nicht durch große Gesten, sondern durch Tiefe beeindruckte. In einem Interview sagte er einmal, dass Musik für ihn das sei, was andere im Blick eines geliebten Menschen finden: ein Zuhause, ein Sinn, ein Trost.
Mit seinem Tod verliert die Musikwelt eine ihrer ehrlichsten und zugleich außergewöhnlichsten Stimmen. Amadou Bagayoko hat die Bühne verlassen, aber sein Werk wird weiter klingen – auf den Straßen von Bamako, in den Clubs von Paris, in den Herzen von Millionen. Mariam bleibt zurück, nicht allein, sondern begleitet von der Musik, die sie gemeinsam geschaffen haben. Eine Musik, die nicht nur klingt, sondern leuchtet.

12.04.25- Saiten für E-Gitarre und Akustikgitarre von Ernie Ball

Um den vielfältigen Anforderungen von Gitarristinnen und Gitarristen weltweit gerecht zu werden, bietet Ernie Ball ein breit gefächertes Sortiment an E-Gitarren-Saiten in verschiedenen Ausführungen und Stärken. Ob klassische Pure Nickel Sets, die legendären Nickel Slinkys oder die innovativen Slinky M-Steel Saiten – bei Ernie Ball findet jeder Spieler den perfekten Klangbegleiter.
Seit 1962 produziert der weltweit führende Saitenhersteller hochwertige Saiten für E-Gitarren und Bässe – Made in USA. Musikerikonen wie Paul McCartney, Keith Richards, Eric Clapton, Slash, Jimmy Page oder Buddy Guy vertrauten auf Ernie Ball Saiten, um ihren unverwechselbaren Sound zu kreieren. Dank modernster Fertigungstechniken und erstklassiger Materialien sorgt Ernie Ball für ein herausragendes Spielgefühl und eine unvergleichliche Klangvielfalt.

„Großartige Saiten können keinen schlechten Verstärker, einen verzogenen Hals oder schlechte Raumakustik kompensieren – aber wenn die Grundvoraussetzungen stimmen, werden sie zum entscheidenden Faktor. Und genau hier kommen wir ins Spiel: Wir liefern zuverlässige, hochwertige Saiten zum fairen Preis – für die musikalischen Ziele von Gitarristen weltweit.“

Im Jahr 1972 – inspiriert vom weltweiten Erfolg der beliebten Slinky E-Gitarrensaiten – wurde mit „Earthwood“ auch die Akustikgitarrenlinie ins Leben gerufen. In Zeiten des aufkommenden Folk-Rock der späten 1960er erfreuten sich akustische Klänge großer Beliebtheit. Künstler wie Bob Dylan, The Beatles, das Kingston Trio, Crosby, Stills & Nash oder Led Zeppelin prägten mit ihrem Akustiksound die Musikgeschichte.
Mit jahrzehntelanger Erfahrung weiß Ernie Ball, worauf es bei Saiten für Akustikgitarren besonders ankommt. Da akustische Gitarren meist ohne Tonabnehmer gespielt werden, ist die Qualität der Saiten entscheidend für Klangfülle und Dynamik. Nur erstklassige Saiten bringen die Decke optimal zum Schwingen und entfalten das volle Klangspektrum des Instruments.

Für anspruchsvolle Akustikgitarristen bietet Ernie Ball zwei Haupttypen:
80/20 Bronze: für einen frischen, brillanten und obertonreichen Klang
Phosphor Bronze: für einen warmen, klaren und glockigen Ton

Klassik? Fehlanzeige – Warum Ernie Ball bei Nylonsaiten kaum vertreten ist

Während Ernie Ball im Bereich E- und Akustikgitarrensaiten Maßstäbe setzt, blieb die Entwicklung im Segment der klassischen Gitarrensaiten vergleichsweise gering. Ein Grund dafür liegt in der musikalischen Kultur der USA: Dort dominieren bis heute elektrische und steel-string akustische Gitarren – sei es im Rock, Country, Blues oder Pop. Die klassische Gitarre nimmt im amerikanischen Musikverständnis traditionell eine eher untergeordnete Rolle ein.
Ganz anders in Europa, wo die klassische Gitarre als Soloinstrument eine tief verwurzelte kulturelle Bedeutung hat. Hier entwickelte sich ein anspruchsvoller Markt mit hohen Erwartungen an Klangqualität, Intonation und Spielkomfort – europäische Hersteller wie Savarez, Hannabach oder Knobloch wurden zu führenden Marken im Bereich der hochwertigen Nylonsaiten und prägten die Gitarre als echtes Meisterinstrument.
Interessanterweise liegt der Ursprung der modernen Nylonsaite dennoch in den USA: Albert Augustine, ein in Dänemark geborener Gitarrenbauer, entwickelte in den 1940er Jahren in Zusammenarbeit mit Andrés Segovia die erste erfolgreich eingesetzte Nylonsaite für die klassische Gitarre – als Ersatz für die bis dahin üblichen Darmsaiten. Seine Firma, Augustine Strings, ist bis heute aktiv und gehört zu den wichtigsten Namen im Bereich der klassischen Gitarrensaiten.

Neben E- und Akustikgitarren ist Ernie Ball auch in vielen weiteren Bereichen des Saiteninstrumentenbaus äußerst erfolgreich vertreten. Ob E-Bass, Ukulele, Bariton-Gitarre, Banjo oder Mandoline – für all diese Instrumente bietet Ernie Ball speziell entwickelte Saiten mit ausgewogenen Spannungen, langlebiger Qualität und klar definiertem Klang. Besonders im Bereich des E-Basses haben sich die Slinkys als Industriestandard etabliert, während Ukulelen- und Mandolinen-Saiten durch ihre Stimmstabilität und Brillanz überzeugen. Auch Musiker aus dem Americana-, Folk- und Country-Bereich greifen bei Banjo- und Bariton-Gitarren-Saiten regelmäßig zu Ernie Ball – ein Beweis für das Vertrauen, das die Marke genreübergreifend genießt.

11.04.25- KI in den Charts: Gefahr oder Chance für die Musikindustrie?

Im Sommer 2024 geschah, was viele Musiker:innen lange befürchtet hatten: Erstmals schaffte es ein vollständig KI-generierter Song in die deutschen Charts. „Verknallt in einen Talahon“ von Butterbro, eine Parodie auf alte deutsche Schlager, startete als harmloses Meme auf TikTok – doch innerhalb weniger Wochen entwickelte sich daraus ein Phänomen, das sowohl Fans als auch Kritiker:innen in Aufruhr versetzte. Was zunächst wie ein einfacher Scherz wirkte, nahm schnell an Fahrt auf. Der Song wurde millionenfach auf Plattformen wie Spotify und YouTube gestreamt und erreichte schließlich Platz 48 der deutschen Charts. Zwei Wochen lang hielt er sich dort, bevor das Interesse nachließ. Doch der eigentliche Skandal lag nicht in der Platzierung, sondern in der inhaltlichen Gestaltung des Songs. Kritiker:innen warfen Butterbro vor, sich bei der Parodie rassistischer Stereotypen zu bedienen – eine Debatte, die die Grenzen zwischen Humor, Kunstfreiheit und Verantwortung erneut in den Fokus rückte.
Die Tatsache, dass ein KI-generierter Song derartige Erfolge feiern konnte, wirft brisante Fragen auf. Sind menschliche Künstler:innen bald überflüssig? Wenn KI-Systeme mittlerweile in der Lage sind, ganze Songs zu komponieren, zu texten und zu produzieren, was bedeutet das für die Zukunft der Musik? Schon heute werden Algorithmen genutzt, um Musik zu analysieren und auf Basis von Trends neue Hits zu generieren. Wird der kreative Prozess bald vollständig automatisiert? Wie gehen Charts und Plattformen mit KI-Musik um? Der Erfolg von „Verknallt in einen Talahon“ zeigt, dass Plattformen wie Spotify und YouTube keine klaren Regeln für KI-generierte Musik haben. Solange ein Song oft genug gestreamt wird, ist es egal, ob er von einem Menschen oder einer Maschine produziert wurde. Sollte es also Kennzeichnungspflichten für KI-Musik geben? Auch das Urheberrecht stellt sich als große Herausforderung dar. Während menschliche Künstler:innen mit Verwertungsgesellschaften wie der GEMA ihre Rechte schützen können, gibt es für KI-Musik bislang kaum klare rechtliche Regelungen. Wem gehören die Rechte an einem Song, der von einer KI geschrieben wurde? Dem Entwickler der Software? Demjenigen, der die KI bedient hat? Oder niemandem?
Trotz des Erfolgs von „Verknallt in einen Talahon“ bleibt unklar, ob KI-generierte Musik langfristig eine ernsthafte Konkurrenz für menschliche Künstler:innen darstellt. Zwar gibt es bereits zahlreiche Versuche, mit Künstlicher Intelligenz emotionale und eingängige Melodien zu erschaffen, doch bisher fehlt es diesen Songs oft an Tiefe und künstlerischer Originalität. Musik ist mehr als nur perfekt aufeinander abgestimmte Akkorde und harmonische Klänge – sie lebt von menschlichen Erfahrungen, Emotionen und der Individualität der Künstler:innen. Dennoch zeigt der Vorfall, dass sich die Musikindustrie auf tiefgreifende Veränderungen einstellen muss. Während einige Musiker:innen und Produzenten KI als kreatives Werkzeug nutzen, sehen andere darin eine Bedrohung für die Authentizität und Vielfalt der Musikwelt. Ob „Verknallt in einen Talahon“ also ein einmaliges Phänomen bleibt oder den Anfang einer neuen Ära markiert, wird sich erst noch zeigen. Klar ist jedoch: Die Diskussion über die Rolle von KI in der Musik hat gerade erst begonnen.

10.04.25- Hobbymusik im Aufwind: Immer mehr Menschen musizieren in ihrer Freizeit

Ob Klavier spielen, Gitarre zupfen oder einfach nur ein Lied singen – Musik als Hobby erfreut sich wachsender Beliebtheit. Eine aktuelle Umfrage zeigt, dass seit der Corona-Pandemie immer mehr Menschen in ihrer Freizeit musizieren.

Steigendes Interesse an Musik
Laut einer Studie des Instituts für Demoskopie Allensbach, die vom Deutschen Musikinformationszentrum (miz) veröffentlicht wurde, musizieren derzeit rund 16,3 Millionen Menschen in Deutschland – das sind zwei Millionen mehr als noch im Jahr 2020.
Die repräsentative Umfrage unter 1.190 Personen ab 16 Jahren ergab, dass 81 Prozent der Freizeitmusizierenden ein Instrument spielen, während 41 Prozent singen. Etwa jeder Fünfte kombiniert beides.

Nachhaltige Wirkung der Pandemie
Viele Menschen haben offenbar während oder nach der Pandemie das Musizieren (wieder) für sich entdeckt. Studienleiter Michael Sommer betont, dass die Ergebnisse darauf hindeuten, dass Musik als kreative Ausdrucksform in schwierigen Zeiten an Bedeutung gewonnen hat.

Beliebteste Instrumente: Klavier und Gitarre vorne
Die Umfrage zeigt zudem, welche Instrumente besonders populär sind:

Kinder (bis 15 Jahre):
Klavier (24 %)
Blockflöte (19 %)
Gitarre (18 %)
Außerdem beliebt: Keyboard und Schlagzeug

Jugendliche und Erwachsene (ab 16 Jahren):
Gitarre (28 %)
Klavier (24 %)
Blockflöte und Akkordeon (je 9 %)
Violine (3 %), Klarinette oder Saxofon (1 %)
6 % musizieren digital am Computer

Musik als Kostenfaktor
Das Musizieren ist jedoch nicht nur eine Leidenschaft, sondern kann auch eine finanzielle Herausforderung sein. Besonders Familien mit musizierenden Kindern investieren viel: Durchschnittlich 536 Euro pro Jahr kostet das Hobby, 14 Prozent der Eltern geben sogar über 1.000 Euro jährlich für Musikunterricht und Instrumente aus.

Wo wird musiziert?
Musik findet häufig im privaten Rahmen statt:

Zwei Drittel musizieren zu Hause oder im Familien- und Freundeskreis.
Jüngere spielen oft in Schulen, während Erwachsene ihr musikalisches Talent häufig in Kirchen präsentieren.
Chöre, Bands und Orchester sind ebenfalls beliebt – rund die Hälfte der aktiven Musiker*innen tritt bei Konzerten oder Festveranstaltungen auf.

Musik als wichtiger Bestandteil des Lebens
Die Ergebnisse der Umfrage verdeutlichen, dass Musik ein fester Bestandteil des gesellschaftlichen Lebens ist – sowohl als Freizeitbeschäftigung als auch als Ausdruck von Gemeinschaft und Kreativität.

09.04.25- Chicago-Jazzlegende George Freeman mit 97 Jahren verstorben

Schorle
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Der renommierte Jazzgitarrist George Freeman ist im Alter von 97 Jahren verstorben – nur wenige Tage vor geplanten Auftritten im Green Mill, mit denen er seinen 98. Geburtstag feiern wollte.
Freeman gehörte zu einer der bekanntesten Jazzfamilien Chicagos: Sein Bruder war der legendäre Saxophonist Von Freeman, sein Neffe der Jazzmusiker Chico Freeman. Sein unverwechselbarer Gitarrenstil – roh, expressiv und beeinflusst von Blues und Swing – machte ihn zu einer Ausnahmeerscheinung in der Jazzszene.
In den 1940er-Jahren begann er seine Karriere in Chicago und begleitete später Größen wie Charlie Parker, Billie Holiday und Gene Ammons. Charlie Parker soll ihn so geschätzt haben, dass er ohne Freeman nicht auftreten wollte. Billie Holiday hingegen reagierte weniger sentimental, als Freeman einmal vor Rührung über ihre Stimme in Tränen ausbrach.
Sein Vater, ein Polizist, wurde 1947 im Dienst getötet, woraufhin Freeman und seine Brüder sich um ihre Mutter kümmerten. Trotz zahlreicher Erfolge blieb er lange Zeit unterschätzt, erhielt aber in seinen späteren Jahren die verdiente Anerkennung. Sein letztes Album The Good Life erschien 2023, im selben Jahr spielte er beim Chicago Jazz Festival.
Obwohl er zuletzt Schwierigkeiten hatte, einen Gitarren-Pick zu halten, erfand er kreative Wege, um weiterhin zu spielen. Seine für den 11. und 12. April geplanten Konzerte im Green Mill werden nun zu einer Hommage an ihn – aufgeführt von seinen langjährigen Bandkollegen.

08.04.25- KI vs. Kreativität: Der Kampf der Musikindustrie gegen generative Technologien

Davidstankiewicz
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Die generative KI stellt die Musikbranche vor wachsende rechtliche und politische Herausforderungen. Während Plattformen und Gerichte versuchen, den Diebstahl und Missbrauch kreativer Werke zu bekämpfen, bleibt die Durchsetzung schwierig. Die enorme Anzahl von 75.000 von Sony Music entfernten Deepfakes – kaum von Originalen zu unterscheidende digitale Manipulationen – verdeutlicht die Dringlichkeit des Problems.
Obwohl KI-generierte Musik durch technische Merkmale wie Frequenz- und Rhythmusabweichungen erkennbar sein kann, ist sie auf Online-Plattformen weit verbreitet. Streaming-Dienste und Videoportale arbeiten an verbesserten Erkennungsmethoden, doch die rasante Verbreitung unautorisierter KI-Inhalte übertrifft die Entwicklung von Schutzmechanismen. Spotify und YouTube betonen ihre intensiven Bemühungen in diesem Bereich.
Ein zentraler Streitpunkt ist die rechtliche Zulässigkeit der Nutzung urheberrechtlich geschützter Inhalte zum Training von KI-Modellen. Klagen von Branchenführern wie Universal Music gegen KI-Anbieter wie Udio thematisieren diese unbefugte Nutzung. Die Frage der fairen Nutzung im Kontext von KI-Training ist juristisch umstritten, und Professor Joseph Fishman von der Vanderbilt University sieht hier eine bedeutende rechtliche Grauzone mit potenziellen Auswirkungen auf bereits trainierte Modelle.
Die Gesetzgebung reagiert bisher zögerlich. Während einzelne US-Bundesstaaten erste Schutzmaßnahmen gegen Deepfakes erlassen haben, fehlen umfassende nationale Regelungen. Die von Technologieunternehmen wie Meta befürwortete Erlaubnis zur Nutzung frei zugänglicher Daten für KI-Entwicklung könnte die Situation für die Musikbranche weiter verschärfen. Auch politische Entwicklungen, insbesondere die Haltung von Donald Trump zur Deregulierung, könnten relevant werden. In Großbritannien wird ein Gesetzesvorschlag diskutiert, der KI-Unternehmen die Nutzung künstlerischer Inhalte erlauben würde, es sei denn, Rechteinhaber widersprechen aktiv – eine Initiative, die auf den Widerstand zahlreicher Musiker stieß.
Die interne Fragmentierung der Musikbranche behindert eine koordinierte Reaktion auf die KI-Bedrohung, wie Analyst Jeremy Goldman von Emarketer hervorhebt.
Als Gegengewicht entstehen technologische Lösungen wie die Blockchain-basierte Anwendung ARK von Ed Bennett-Coles und Jamie Hartman. Diese Plattform zielt darauf ab, Urheberrechte durch die Dokumentation des Schaffensprozesses und den Einsatz digitaler Signaturen zu schützen. Die Entwickler betonen die Notwendigkeit, den Wert menschlicher Kreativität angesichts der schnellen KI-Produktion zu bewahren und Urhebern die Kontrolle über ihre Werke zu ermöglichen. Die geplante Einführung Mitte 2025, unterstützt durch Branchenpartnerschaften und Investitionen, unterstreicht die Bedeutung dieses Ansatzes.
Die zunehmende Bedrohung durch KI in der Kreativbranche erfordert dringende rechtliche Rahmenbedingungen und technische Schutzmechanismen, um eine Entwertung menschlicher Kreativität zu verhindern. Die Musikindustrie steht vor der Notwendigkeit, geeint und entschlossen nachhaltige Lösungen zu entwickeln.

07.04.25- Gang of Four-Bassist Dave Allen im Alter von 69 Jahren verstorben

Dave Allen, Bassist der britischen Post-Punk-Band Gang of Four, ist im Alter von 69 Jahren gestorben. Er litt an einer früh einsetzenden Form gemischter Demenz und verbrachte seine letzten Momente im Kreis seiner Familie.
Allen wurde am 23. Dezember 1955 in Kendal geboren und stieß 1976 zur Band, nachdem der ursprüngliche Bassist sie verlassen hatte. Mit Gang of Four prägte er den markanten, funk-inspirierten Sound der Gruppe, die mit ihrem Debütalbum Entertainment! (1979) großen Einfluss auf die Post-Punk-Szene nahm. 1981 verließ Allen die Band und widmete sich neuen musikalischen Projekten, darunter die Gründung der Gruppe Shriekback.
Seine musikalische Laufbahn umfasste auch Engagements bei Elastic Purejoy, Low Pop Suicide, King Swamp und Faux Hoax. Neben seiner Tätigkeit als Musiker engagierte er sich später verstärkt in der Musiktechnologie und arbeitete unter anderem für Beats Music und Apple Music.
Gang of Four verlor bereits 2020 ein weiteres prägendes Mitglied: Gitarrist Andy Gill erlag damals einem multiplen Organversagen. Trotz dieses Verlusts setzte die Band ihre Auftritte fort und plante für 2024 eine Abschiedstour durch Nordamerika. Allen war fest entschlossen, noch einmal mit seinen ehemaligen Bandkollegen auf der Bühne zu stehen, doch sein Gesundheitszustand ließ dies nicht mehr zu. Sein Einfluss auf die Musikszene bleibt jedoch unvergessen.

06.04.25- Clem Burke – Der Beat von Blondie und mehr

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Clem Burke, geboren als Clement Anthony Bozewski am 24. November 1954 in Bayonne, New Jersey, war ein US-amerikanischer Schlagzeuger, der vor allem als langjähriges Mitglied der Band Blondie bekannt wurde. Sein prägnanter und kraftvoller Stil prägte viele der größten Hits der Band und machte ihn zu einem der einflussreichsten Schlagzeuger der New-Wave-Ära.
Schon in seiner Jugend begeisterte sich Burke für Musik, insbesondere für die britische Invasion der 1960er Jahre mit Bands wie The Beatles, The Rolling Stones und The Who. Diese Einflüsse spiegelten sich in seinem dynamischen Spiel wider. In den frühen 1970er Jahren schloss er sich Blondie an, die von Chris Stein und Debbie Harry gegründet wurde. Gemeinsam entwickelten sie einen Sound, der Rock, Punk, Pop und Disco-Elemente vereinte und Blondie zu einer der prägendsten Bands der späten 1970er und frühen 1980er Jahre machte. Mit Songs wie Heart of Glass, Call Me, Rapture und Atomic erreichte die Band internationalen Ruhm. Besonders sein treibendes Schlagzeugspiel auf Dreaming von 1979 wurde oft als ein herausragendes Beispiel seines Stils genannt.
Nach der Auflösung von Blondie im Jahr 1982 blieb Burke ein gefragter Musiker und spielte mit Künstlern wie Pete Townshend, Bob Dylan, den Eurythmics, Iggy Pop und Joan Jett. In den 1990er Jahren war er zudem Mitglied der Band The Romantics. 1987 ersetzte er für zwei Auftritte Richie Ramone bei den Ramones und trat unter dem Namen Elvis Ramone auf. Später, im Jahr 2004, spielte er bei einem Benefizkonzert zu Ehren des verstorbenen Johnny Ramone erneut mit ehemaligen Bandmitgliedern der Ramones.
Mit der Wiedervereinigung von Blondie in den späten 1990er Jahren kehrte Burke zur Band zurück und war an neuen Alben und weltweiten Tourneen beteiligt. Parallel dazu blieb er auch als Schlagzeuger für andere Künstler aktiv und begleitete 2004 und 2005 Nancy Sinatra auf Tournee. Seine Bedeutung für die Musik wurde mehrfach gewürdigt, unter anderem durch eine Platzierung auf Rang 61 der „100 größten Schlagzeuger aller Zeiten“ des Magazins Rolling Stone im Jahr 2016.
Clem Burke blieb bis zu seinem Tod am 6. April 2025 ein aktiver Musiker, dessen einzigartiges Schlagzeugspiel die Rock- und Popmusik über Jahrzehnte hinweg mitprägte.

05.04.25- Die ungerechtesten Verträge und Machenschaften des Musikbusiness

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Das Musikbusiness ist eine Industrie voller Glanz, Glamour und künstlerischer Leidenschaft. Doch hinter den Kulissen gibt es oft undurchsichtige Verträge und unfaire Geschäftspraktiken, die viele Musiker finanziell und künstlerisch benachteiligen. Hier sind einige der berühmtesten Beispiele für ungerechte Verträge und fragwürdige Machenschaften in der Musikindustrie.

1. Der Knebelvertrag von Prince
Prince war einer der größten Künstler seiner Zeit, doch selbst er geriet in einen verheerenden Vertrag mit Warner Bros. Er durfte nicht frei über seine eigene Musik verfügen und musste Alben in einem festgelegten Rhythmus veröffentlichen. Aus Protest gegen diese Knebelung erschien er mit dem Wort "Slave" auf der Wange in der Öffentlichkeit. Später kaufte er seine Masterrechte zurück und kämpfte für die Rechte der Künstler.

2. TLCs Finanzskandal
Obwohl TLC in den 90ern riesige Erfolge feierte, mussten sie 1995 Insolvenz anmelden. Der Grund? Ein unfairer Vertrag mit ihrem Label LaFace Records, das den größten Teil der Einnahmen einbehielt. Die Band erhielt nur minimale Gewinne aus Millionenverkäufen und war gezwungen, rechtliche Schritte einzuleiten, um aus der finanziellen Misere herauszukommen.

3. Die Beatles und ihre Rechte
Die Beatles sind eine der erfolgreichsten Bands der Geschichte, doch John Lennon und Paul McCartney besaßen lange Zeit nicht die Rechte an ihren eigenen Songs. Diese wurden an ATV Music verkauft, und später kaufte Michael Jackson die Rechte, nachdem ihm Paul McCartney ironischerweise den Tipp gegeben hatte, in Musikrechte zu investieren. Erst Jahrzehnte später gelang es McCartney, einige der Rechte zurückzubekommen.

4. Der Fall Kesha vs. Dr. Luke
Kesha versuchte jahrelang, sich aus einem Vertrag mit Produzent Dr. Luke zu lösen, den sie der sexuellen und emotionalen Ausbeutung beschuldigte. Doch ihr Label Sony hielt an dem Vertrag fest und zwang sie dazu, weiterhin mit Dr. Luke zusammenzuarbeiten oder ihre Karriere zu riskieren. Der Fall sorgte für weltweite Diskussionen über die Machtverhältnisse in der Musikbranche.

5. Taylor Swift und die Masterrechte
Taylor Swift musste mit ansehen, wie ihr ehemaliges Label Big Machine Records ihre Masteraufnahmen an Scooter Braun verkaufte, ohne ihr ein Kaufangebot zu machen. Dies führte zu einem öffentlichen Streit über die Kontrolle von Künstlern über ihre eigene Musik. Swift reagierte, indem sie ihre früheren Alben neu aufnahm, um die Kontrolle zurückzugewinnen.

6. Die schlechten Deals der Blues- und Rocklegenden
Viele frühe Bluesmusiker wie Robert Johnson, Howlin' Wolf oder B.B. King verkauften ihre Songs für minimale Beträge an Plattenfirmen, die später Millionen daran verdienten. Besonders problematisch war der sogenannte "Work for Hire"-Vertrag, der es Labels ermöglichte, die Rechte an den Songs dauerhaft zu behalten, während die Künstler kaum etwas daran verdienten.

Fazit
Viele dieser Fälle zeigen, dass das Musikbusiness oft weniger mit künstlerischer Freiheit und mehr mit wirtschaftlicher Kontrolle zu tun hat. Musiker haben in den letzten Jahren begonnen, sich besser zu schützen und ihre Rechte einzufordern, doch es bleibt eine Herausforderung, sich gegen mächtige Labels und Produzenten durchzusetzen. Verträge genau zu prüfen und auf eine faire Vergütung zu bestehen, ist für jeden Künstler essenziell, um langfristig erfolgreich zu sein.

04.04.25- Klassik im Wandel: Zwischen Verblödung und kreativer Neuerfindung

Elektromagikum
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Das Subventionsmodell der klassischen Musik ist ein umstrittenes Thema, insbesondere wenn es um die Darstellung im öffentlich-rechtlichen Rundfunk geht. Klassische Musik wird zwar oft gefördert, doch gleichzeitig sehen viele Kritiker eine Tendenz zur Banalisierung oder gar Verhöhnung dieses Kulturguts.
Ein Beispiel für diese Problematik ist der Umgang mit Komponisten wie Wolfgang Amadeus Mozart (1756–1791), dessen Werk oft für seichte Unterhaltungsformate oder ironische Inszenierungen herhalten muss. Dabei wird sein Schaffen nicht selten aus dem historischen Kontext gerissen und auf eine Karikatur reduziert. Dies führt dazu, dass klassische Musik – anstatt als ernstzunehmendes Kulturerbe vermittelt zu werden – zum Gegenstand von Verflachung wird.
Öffentlich-rechtliche Sender, die durch Rundfunkgebühren finanziert werden, haben den Bildungsauftrag, Kultur zu vermitteln. Doch wenn klassische Musik nicht mehr ernst genommen, sondern zur Belustigung eingesetzt wird, stellt sich die Frage: Warum müssen Gebührenzahler für eine solche Entwertung aufkommen? Wäre es nicht sinnvoller, Subventionen gezielt für eine qualitativ hochwertige Förderung und Vermittlung dieser Musik einzusetzen, anstatt sie für fragwürdige Darstellungen zu nutzen?

Klassik und Jazz
Ein möglicher Ausweg aus der Banalisierung klassischer Musik könnte in der bewussten Verbindung mit anderen Musikstilen liegen. Insbesondere die Verschmelzung von Klassik und Jazz hat in der Vergangenheit bereits faszinierende Werke hervorgebracht. Komponisten wie George Gershwin, Claude Bolling oder Jacques Loussier haben gezeigt, dass klassische Musik durch jazzige Improvisationen eine neue Dimension gewinnen kann, ohne ihre Tiefe und Ausdruckskraft zu verlieren.
Auch im Bereich der modernen Crossover-Musik entstehen interessante Entwicklungen. Künstler wie Ludovico Einaudi, Max Richter oder Ólafur Arnalds kombinieren klassische Elemente mit minimalistischen, elektronischen oder filmmusikalischen Strukturen, wodurch neue Klangwelten geschaffen werden.
Solche genreübergreifenden Ansätze könnten ein Modell für die Zukunft sein: Anstatt klassische Musik der Verflachung auszusetzen, ließe sich ihre Ausdruckskraft durch innovative Fusionen erweitern. Dabei geht es nicht um bloße Popularisierung oder das Anbieten gefälliger Easy-Listening-Varianten, sondern um eine ernsthafte Auseinandersetzung mit den Möglichkeiten, Tradition und Moderne auf künstlerisch anspruchsvolle Weise zu verbinden.
Hier eröffnet sich eine spannende Perspektive: Klassik als lebendiges Erbe, das sich stetig weiterentwickelt, anstatt in musealer Erstarrung oder oberflächlicher Vermarktung zu verharren.

03.04.25- Behringer UB-1 Synthesizer – Ein Blick auf die Geschichte und Innovation

Behringer ist seit Jahrzehnten ein fester Bestandteil der Musikindustrie, bekannt für seine preiswerten, aber leistungsfähigen Audiogeräte. Einer der jüngsten Synthesizer, der UB-1, ist ein kompaktes Instrument, das in die Fußstapfen klassischer analoger Klangerzeuger tritt und die Vision von Gründer Uli Behringer widerspiegelt, innovative Musiktechnologie für jedermann zugänglich zu machen.

Die Ursprünge von Behringer
Uli Behringer, geboren 1961 in Deutschland, zeigte schon früh großes Interesse an Musik und Technik. Bereits mit 16 Jahren baute er seinen ersten Synthesizer – den ursprünglichen UB-1. Dieses frühe Projekt legte den Grundstein für seine spätere Karriere in der Audiotechnik.
1982 zog Behringer nach Düsseldorf, um Klassisches Klavier am Robert-Schumann-Konservatorium und Tontechnik an der Fachhochschule zu studieren. Dort entwickelte er erste Audiogeräte, bevor er 1989 Behringer offiziell als Unternehmen gründete.

Von der Idee zur globalen Marke
Behringer startete als kleines Unternehmen, das Audiogeräte zu erschwinglichen Preisen produzierte. Besonders im Bereich der Studio- und Live-Technik machte sich die Marke einen Namen. 1996 sorgte das Mischpult EURODESK MX8000 für Aufsehen und etablierte Behringer als ernstzunehmenden Player im Markt.
Im Laufe der Jahre expandierte Behringer weltweit, verlagerte seine Produktion nach China und schuf Behringer City, eine eigene Fertigungsstätte in Zhongshan.

Der moderne UB-1 Synthesizer
Der neue UB-1 ist eine Hommage an Behringers Wurzeln und gleichzeitig ein innovatives Gerät. Als Teil der „Soul“-Serie ist er ein tragbarer monophoner Synthesizer, inspiriert von den legendären analogen Synthesizern der 1970er Jahre.

Eigenschaften des UB-1
Analoge Klangerzeugung: Erzeugt warme, klassische Synthesizer-Sounds.
Kompaktes Design: Perfekt für unterwegs und leicht integrierbar in moderne Setups.
Eingebaute Steuerung: Touch-basierte Bedienung für intuitive Soundgestaltung.
USB & MIDI: Verbindung mit Computern und anderen Synthesizern möglich.

Fazit
Behringer bleibt seiner Philosophie treu, hochwertige Audiogeräte zu erschwinglichen Preisen anzubieten. Der UB-1 ist nicht nur eine Reminiszenz an Behringers erste Synthesizer-Experimente, sondern auch ein modernes, vielseitiges Instrument für Musiker aller Genres.
Mit der kontinuierlichen Entwicklung neuer Synthesizer beweist Behringer, dass es weiterhin eine treibende Kraft in der Welt der Musiktechnologie bleibt.

02.04.25- Ein musikalisches Schwergewicht ist verstummt: Peter Jacques (1935–2025)

Foto: Peter Jacques CD Cover
Round Trip To Rio / Sonorama C-09

Die Schweizer Musikwelt nimmt Abschied von Peter Jacques, einer prägenden Persönlichkeit der nationalen Musikszene. Der herausragende Musiker und engagierte Musikvermittler verstarb im Alter von 89 Jahren am vergangenen Donnerstag friedlich im Beisein seiner Ehefrau Ursula Jacques-Schüpbach, wie aus einer Todesanzeige hervorgeht.

Ein Leben im Zeichen der Musik
Geboren 1935 im damaligen Sudetendeutschland, erlebte Peter Jacques die Wirren des Zweiten Weltkriegs hautnah. Als Kind fand er in der Schweiz eine neue Heimat, wo er am Konservatorium Winterthur seine musikalische Ausbildung erhielt. Bereits in jungen Jahren bewies er sein außergewöhnliches Talent: Mit 18 Jahren gewann er den ersten Preis als Solopianist beim renommierten Zürcher Jazzfestival.

Wegbereiter des Schweizer Jazz
Seine Karriere führte ihn in die internationalen Jazzkreise, wo er als herausragender Musiker Anerkennung fand. 1973 kehrte er in die Schweiz zurück und übernahm die Leitung der DRS Big Band. Bis zu deren Auflösung im Jahr 1986 prägte er die Schweizer Unterhaltungsmusik entscheidend mit und setzte neue Maßstäbe in der Jazzszene.

Leidenschaftlicher Musikvermittler
Neben seiner Arbeit als Bandleader war Peter Jacques auch als Moderator im Schweizer Fernsehen tätig. Mit Formaten wie "Jazz in Concert" und "Jazz-In" brachte er die Welt des Jazz einem breiten Publikum näher und präsentierte internationale Größen der Szene.

Ein bleibendes musikalisches Erbe
Auch nach dem Ende seiner Rundfunkkarriere blieb Peter Jacques der Musik treu. Er komponierte, trat auf und gab sein Wissen an junge Musiker weiter. Bis ins hohe Alter war er künstlerisch aktiv. Mit seinem Tod verliert die Schweiz eine ihrer bedeutendsten Musikerpersönlichkeiten, doch sein musikalisches Vermächtnis wird weiterleben.

01.04.25- Trauer um Muff-Potter-Gitarristen Dennis Scheider – Musiker stirbt mit 47 Jahren

Foto: Mr. Rossi
CC BY-SA 4.0 Wikimedia Commons

Die Musikwelt nimmt Abschied von Dennis Scheider: Der langjährige Gitarrist der Punkrock-Band Muff Potter ist im Alter von 47 Jahren verstorben. Die Bandkollegen und Weggefährten bestätigten die traurige Nachricht.
Muff Potter wurde Mitte der 1990er Jahre von Sänger Thorsten „Nagel“ Nagelschmidt und drei weiteren Musikern in Rheine gegründet. Ihr Name geht auf die Figur des Landstreichers Muff Potter aus Mark Twains Klassiker Die Abenteuer des Tom Sawyer zurück.
Die Band etablierte sich schnell in der deutschen Punkrock-Szene, spielte auf renommierten Festivals wie Rock am Ring und Hurricane/Southside und trat im Vorprogramm von Die Ärzte auf. Nach der Auflösung im Jahr 2009 feierte Muff Potter 2019 ein überraschendes Comeback – zeitweise auch wieder mit Dennis Scheider, der bereits 1996 zur Band gestoßen war.
Muff Potter prägten die deutschsprachige Punkrock-Szene mit ihrem markanten Sound und ehrlichen Texten. In den 2000er-Jahren gelang ihnen der Durchbruch mit Alben wie Bordsteinkantengeschichten und Steady Fremdkörper, die nicht nur Kritiker lobten, sondern auch eine wachsende Fangemeinde begeisterten. Dennis Scheider trug als Gitarrist maßgeblich zur musikalischen Entwicklung der Band bei, sein Spiel prägte den rauen, aber melodischen Stil, der Muff Potter auszeichnete. Mit Auftritten auf großen Festivals wie Rock am Ring und Tourneen, unter anderem im Vorprogramm von Die Ärzte, etablierten sie sich als feste Größe in der deutschen Rocklandschaft. Nach der Auflösung 2009 wurde ihr Einfluss auf die Szene erst richtig spürbar, ehe sie 2019 ihr viel beachtetes Comeback feierten. Auch wenn Dennis Scheider nur kurzzeitig wieder dabei war, bleibt sein Beitrag zur Geschichte der Band unvergessen. Sein plötzlicher Tod sorgt in der Musikszene für Bestürzung. Fans und Weggefährten erinnern sich an ihn als leidenschaftlichen Musiker, der den Sound der Band entscheidend mitprägte.